Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Die Crux mit der Linearität der Welt - oder wie aus der Linie die Triade und das Fraktal entstehen

von Michael Stelzner

Inhaltsverzeichnis

1. Die lineare Beziehung 1—2: Notwendigkeit und Gefahr

Linearität ist ein Ausdruck der Zahl Zwei. Zwei Punkte bilden eine Linie. Durch die Linie wird die zweifache Beziehung der Punkte dargestellt. Sie werden voneinander getrennt und bleiben doch miteinander verbunden. Jene Beziehung ist die Basis jedweder Existenz. Alles was ist, ist es durch eine Beziehung. 

Wer denkt, der bezieht sich auf etwas. Denken ist immer ein Rückbezug auf etwas ihm Vorausliegendes. Im Vorgang des Rückbeziehens auf ein Erstes bildet sich das Wesen des Zweiten heraus. Die durch zwei Punkte entstehende Linie ist das einfachste aller Muster und es zeigt uns, dass auch das Denken entlang von Linien erfolgt. Ohne die Linearität ist Denken nicht möglich. 

Linearität ist eine einfache, notwendige Wahrheit. Gleichwohl vermögen wir die in ihr verborgene Sinnfülle nicht ohne weiteres zu erfassen. Ein befriedigendes Verstehen der Schöpfung ist aber ohne das Verstehen des Wesens der Linearität nicht möglich. Deshalb steht die Lehre über sie am Anfang jeder religiösen Unterweisung. Das gilt, wie wir noch sehen werden, für die Ordnung der ägyptischen Pyramiden ebenso wie für die sogenannten abrahamitischen Religionen. Das zu ihnen gehörende Judentum, Christentum und der Islam, berufen sich gemeinsam auf Abraham, dessen Name von der besagten Urbeziehung der Linearität berichtet (Abram = 1-2-200…). Abraham ist der Urvater der Religionen, weil er sie umfassend wahrnimmt und aus ihr das rechte menschliche Verhalten ableitet.

Die lineare Beziehung 1—2  ist Gegenstand der höchsten religiösen Erkenntnis. Sie nur unvollkommen und falsch zu verstehen, bedeutet die Welt und das eigene Wesen zu beschädigen. Wie sich das unvollkommene Verständnis dieser ersten Beziehung auf unser Denken und Verhalten auswirkt, wird symbolisiert, wenn wir das Bild zweier verbundener und doch getrennter Punkte um einen dritten Punkt linear erweitern. Der dritte Punkt würde das unmittelbare, gegenseitige Gleichgewicht zwischen 1—2 aufheben, denn aus der Sicht des zweiten Punktes heraus würde sich eine andere, eine nicht nur zur 1 hin rückbeziehende, sondern zugleich auch eine zur 3 hin vorausschauende Perspektive eröffnen (1—2—>3). Das sich daraus anbietende Bild wäre eine um den dritten Punkt verlängerte Linie 1—2—3, welche alle drei Punkte geradewegs miteinander verbindet. Genau dieses Bild und das ihm entsprechende lineare Verhalten symbolisiert das Missverständnis der Annahme der Existenz einer vermeintlich fortgeschriebenen Linearität. Trotz des vorgenannten, primär notwendigen Rückbezugs (s. 1—2) gibt es in Wirklichkeit keine gerade Linie, welche einen dritten Punkt erschließt. Jede solch vermeintliche Linearität ist eine Täuschung oder eine künstlich ersonnene und geht auf das schauende Subjekt zurück. So, wie der zweite Punkt gegenüber dem ersten ein völlig anderer und neuer war, so sind es auch alle weiteren, der dritte, vierte usw. gegenüber ihren Vorgängern. Keine Existenz ist mit einer anderen wirklich identisch, so wie auch kein Sandkorn mit einem anderen identisch ist. Jede Existenz ist einmalig.

Die erste aller Beziehungen, die Beziehung 1—2 verlangt, die Täuschung der vermeintlichen geradlinigen Fortschreibung einer Linearität zu durchschauen und aufzuheben. Wer jene Zwiespältigkeit und Tücke der Linearität nicht durchschaut, wird ihr Opfer. Das Subjekt hat natürlich die Freiheit, eine solche über drei Punkte gehende Linie zu ersinnen. Das bekannteste Beispiel ist unsere Vorstellung von einem linearen Leben zwischen einem absoluten Anfang und einem absoluten Ende. Wer eine solche Linearität ersinnt oder ihr verfällt, der sollte wissen, dass sie ausschließlich aus dem Subjekt heraus erwächst und einen Preis einfordert, der das Subjekt wiederum konstituiert.

Das Subjekt ist herausgefordert, mit der Zwiespältigkeit der Linearität umzugehen. Dazu muss es einerseits die Notwendigkeit ihrer Existenz erkennen, andererseits aber auch der Gefahr ihres Fortschreibens begegnen. Die zwei Seiten der Polarität und Linearität, das Sowohl-als-auch, das Trennende und zugleich Verbindende verlangen nach einer Dimensionserweiterung, wie sie in der Dreizahl und ihrem Symbol, dem Dreieck zum Ausdruck kommt. Das über den konkreten Raum und die konkrete Zeit existierende Subjekt muss der Polarität gerecht werden und die Gegenpole in der von ihm erkannten, hierarchischen Ordnung miteinander verbinden (s. pythagoreisches Dreieck als Ordnungs- und Handlungssymbol).

Um sich der verborgenen Ordnung zu nähern, greift das erwachende Bewusstsein auf Erfahrungen zurück, welche es noch nicht triadisch, sondern naiv linear wahrnimmt und interpretiert. Die Linearität fordert so ihr Recht ein. Sowohl unser einfaches tägliches Leben, als auch die strenge Wissenschaft funktionieren nur durch unsere Vorstellung, die Welt wäre weitgehend von linearen Verläufen geprägt. Ohne die Vorstellung von Linearität – mit einem Anfang und einem Ende – ist Denken nicht einmal möglich. Auch die Naturwissenschaften denken in den Grenzen von Anfang und Ende. Die Endpunkte ihres Denkrahmens belegen sie dabei mit den Begriffen Null und Unendlich. Tatsächlich aber sind diese Begriffe nur Joker, hinter denen sich etwas Größeres und Ungreifbares verbirgt, das wir durch lineares Denken eben nicht zu erfassen vermögen. Dennoch bricht es immer wieder in unsere Erlebniswelt ein und entzieht ihr darüber hinaus ihre Grundlage. Die Botschaft hinter diesem Phänomen ist die des pythagoreischen Dreiecks: Das Denken erfolgt zwar entlang von Linien, doch konfrontiert uns die Linearität mit dem Prinzip der Begrenztheit (2), das seine Ordnung in einem größeren Ganzen (1) sucht und auf die Zahlen 5 und 12 verweist (s. Pkt. 7).

Die Polarität und ihre Zwiespältigkeit sind allgegenwärtig. Ist das Denken durch ihre Erscheinung, die Linearität erst einmal in Gang gesetzt, fordert sie es heraus und droht, es gefangen zu halten. Das betrifft alle Bereiche. Selbst wenn die harten Naturwissenschaften wie die Physik von sogenannten Bezugssystemen oder andere wissenschaftliche Disziplinen von den jeweils herrschenden Rahmenbedingungen sprechen, drücken sie damit ihre Vorstellung von einer vermeintlich eindeutigen und doch naiv verstandenen Linearität aus.

Das eigentliche Problem ist das unvollkommen verstandene Wesen der Zweizahl und ihres Bezuges und Selbstbezuges.  Polarität verlangt, auch ihr Gegenteil zu denken – die Polarität der Polarität. Erst so erfüllt sie sich und führt uns zu dem, was uns fehlt und wohin unser Denken unablässig strebt:  zu einer Gewissheit, zu der Gewissheit, dass es so etwas wie Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit gibt und die Schöpfung nicht allein von dem nur negierenden Spaltungsprinzip der Polarität beherrscht wird. Aus diesem Grund treffen wir bei unseren vorwiegend linearen Erfahrungen auch immer wieder auf das Nichtlineare, das Unberechenbare und Zufällige, auf das Wunder, das in den Naturwissenschaften Emergenz genannt wird. Das Leben ist eine emergente Erscheinung (lat. emergere, „das Emporsteigen“). Es ist eben „mehr als die Summe seiner Teile“. Das neue Ganze, das emergiert, lässt sich nicht aus einer Linearität heraus vorhersagen.

2. Das Nichtlineare erhält das Leben

Die lineare Ordnung ist nur ein – wenn auch ein obligatorischer – Pfeiler unserer Erkenntnis. Die lineare Ordnung wird repräsentiert durch unser lineares Zahlensystem: 0 1 2 3 4 5 6 7 … . Der andere Pfeiler ist das Nichtlineare, das durch Emergenz Erscheinende oder aus der Sicht der linearen Ordnung einfach nur „Krummlinige“. Beide Pfeiler tragen das Leben. Moderne Naturwissenschaften bezeichnen diese Pfeiler gern als „Ordnung“ und „Chaos“, zwischen denen sich das Leben abspielt. Jene antagonistische Zweiteilung in Ordnung und Chaos ist aber irreführend, denn sie enthebt durch den Antagonismus das sogenannte Chaos der Ordnung. Ordnung aber ist alles. Chaos ist nur eine andere Art von Ordnung als die, welche allein aus der Vorstellung von Linearität hervorgeht (s. Pkt 4.2. Benoît Mandelbrot).

Ein Beispiel von intakter, umfänglich ordentlicher Funktion ist der Herzschlag. Der Herzschlag ist kein, wie man leicht annehmen könnte, rein linear geordneter. Er folgt vielmehr einem fraktalen Rhythmus. Die Menschen, die einen allzu regelmäßigen Herzschlag haben, sind die Herzkranken. Wenn Herzschlag oder Atemrhythmus zu linear, d.h. zu regelmäßig sind, kommt es am Ende ebenso zum Herzstillstand und Kreislaufversagen, wie wir das beim bekannten Herzflimmern durch übermächtige Unregelmäßigkeit kennen. 

 Weder der eine noch der andere Pol allein erhalten die Bewegung und somit das Leben. Es ist ein Dritter, der die beiden beschriebenen Pole miteinander verbindet. Das Dritte ist offenbar der Drehpunkt des Lebens. Es durchbricht unsere eingeschränkte und trügerische Vorstellung von der Linearität des Lebens. Im Dritten wird ein Neues, ein Höheres und Anderes wirksam, das die vermeintlich herrschende Linearität fruchtbringend durchbricht und eine zusätzliche Dimension eröffnet (s. Abb. I —> II). Die Geometrie erfasst die Dreizahl im Sinnbild des Dreiecks. 

3. Die Konsequenz der Existenz eines Dritten und Höheren am Beispiel der Vermessung einer Küstenlinie

Die Erkenntnis, das neben der allgegenwärtigen Linearität immer auch ein Drittes und Höheres existiert, erweitert die Möglichkeiten unserer Erfahrungen. Sie lässt uns die von der Linearität gesteckten Grenzen unter einem anderen Licht wahrnehmen. Obwohl wir das Lineare im täglichen Handeln benötigen und mit dessen Hilfe uns und unsere Umwelt messen, wird uns immer wieder einmal seine Relativität und  Beschränktheit bewusst. Ein bekanntes Beispiel ist die Vermessung einer Küstenlinie, bei der wir ganz offensichtlich die Hilfe einer Linearität benötigen.

Wie lang ist die Küstenlinie eines Sees? Je näher man an die Küstenlinie herantritt, je größer erscheint sie einem. Das ändert sich auch nicht durch den Versuch einer zunehmenden Objektivierung durch ein immer feineres Maß. Die vermeintliche Objektivität entpuppt sich als Trugschluss. Je mehr man jede kleine Kurve und Einbuchtung misst und je genauer man das noch so kleine Steinchen berücksichtigt, je länger wird die Linie. Die zunehmende Messgenauigkeit führt uns endlich eine Küstenlinie vor Augen, die nicht nur ein Vielfaches des gesamten Erdumfanges betragen würde, sondern darüber hinaus ins Unendliche strebt. Ein solches Ergebnis erweist sich in Hinblick auf die gestellte Frage jedoch als nutzlos.

Was war bei dieser Art Vermessung geschehen? Im Laufe unseres Handelns haben wir die durch Linearität vorübergehend geschaffene Objektivität verloren. Uns war nicht klar, dass die Objektivität in uns, im Subjekt verankert ist. Wir, das Subjekt haben sie verändert und sie unbemerkt durch ihr Gegenteil, die Subjektivität ersetzt. Wenn uns das bewusst wird, erfahren wir einen dritten Punkt. Wir erfahren nichts weniger als das uns bis dahin verborgen gebliebene Prinzip des Selbstbezuges. Am Archetyp der Zweizahl können wir ihn uns bildhaft vorstellen. Die Zweizahl verlangt den Bezug (1—2) und den Selbstbezug (22 = 4) zusammenzudenken. Der in der Zweiheit und Linearität verborgen existierende Selbstbezug führt sie zu einer neuen Erscheinung, zu einer konkreten Manifestation (4). 

Das Bild einer Messschnur führt uns die Linearität vor Augen, mit der wir den Bezug herstellen. Messen bedeutet relativieren. In einem zweiten Schritt relativiert das Subjekt das Relativierende und schließt sich endlich als Ganzes selbst ein. Archetypisch gesehen wird die Polarität (2) der Polarität (2) erzeugt. In der Symbolik der Mathematik handelt es sich um das Prinzip des Quadrierens (22). In ihm verbirgt sich das Geheimnis der Vierzahl, das Geheimnis des Quadrates und des Kreuzes.

4. Fraktale - Die Verbindung von Linearität (1-2 ...) und Dreizahl

Wollen wir die Struktur der Schöpfung in ihrer allgemeinsten Form erfassen, also eine Metaphysik entwickeln, so finden wir einen Zugang offenbar durch das Zusammendenken von Linearität (1-2 …) und dem Prinzip der Dreizahl.

 Die Linearität erfassen wir formal über den Zahlenstrahl, und die Dreizahl über das Dreieck. Wenn wir den Zahlenstrahl direkt mit dem Phänomen der Triade in Beziehung setzen, können wir etwas über die sie einigende Ordnung erfahren. Das geschieht, indem wir die fortlaufenden Zahlen in Dreieckform abtragen. Auf diese Weise verbinden wir sie direkt mit der triadischen Funktion. 

Abb. Die Flussform der Zahlen: Das „Zahlendreieck“ symbolisiert den Algorithmus der Schöpfung. Durch Abtragen des „Zahlenstrahles“ in der Form von Dreiecken entsteht dieses Ur-Muster einer fraktalen Ordnung.

Das Ergebnis ist ein fortlaufend wachsendes Dreieckmuster. Ich nenne dieses Gebilde einfach das „Zahlendreieck“. Es hat inhaltlich eine hohe Verwandschaft mit dem Sierpinski-Dreieck und dem Pascal’sche Dreieck., zeigt ihnen gegenüber aber die unmittelbar fortlaufende Zahlenreihe so auf, dass jede Zahl nur einmal vorkommt. Die sichtbar werdende Struktur ist einfach, überschaubar und in seiner offensichtlich unbegrentzen Wirkung nachvollziehbar. Im Zahlendreieck entfaltet sich die Zahlenfolge als ein fraktales Muster.

Das Fraktal vermittelt uns die hinter der Schöpfung stehende Ordnung als ein Ausdruck der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit, die trotz unendlicher Größe oder Kleinheit immer in gleicher Weise Regie führt. Sie entspricht der Zahl 1 der Zahlenreihe. Als Fraktal wird ihre Wirkung nun aber in der sehr einfachen Form der Triade sichtbar. In der fraktalen Gestalt des Zahlendreiecks entfaltet sich die Qualität der Zahl 1, die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit in ihrer Dynamik. Sie entwickelt die Linearität und stellt die Begrenztheit der konkreten, dimensionsgebundenen Form der einzelnen Elemente als ein Ganzes dar. Jedes Element ist der Punkt einer Linie und zugleich Ausdruck der Einheit. Im Bild der Triade wirkt die Einheit über die Grenzen der Linearität hinaus. Möglich wird das durch die mit der Zweizahl erstmals ansichtig werdende Rückbindung. 

Fraktale entstehen durch den Prozess der Rückkopplung, ähnlich dem Prozess des Denkens, der auch stets ein Prozeß der Rückkopplung ist. Da das Fraktal das Muster jeder Entwicklung ist, bildet es auch die Entwicklung unseres Gehirns, unseres Verstandes und unseres Bewusstseins ab. Betrachten wir ein Fraktal, so nehmen wir das regieführende Ganze ebenso war wie das Fortwährende in Form einer in Hinblick auf die Einheit relativierten Linearität. Nicht anders fuktioniert der Denkprozess. Auch er ist ein selbstbezogener Prozess. Auch in ihm wirkt Linearität. Der Vergleich nun zeigt uns einen Ausweg aus dem Dilemma von „Fluch und Segen  in dem wir uns befinden. Er macht uns deutlich, wie wir die Linearität in rechter Weise verstehen müssen, um unseren selbstbezogenen Verstand positiv einsetzen zu können. 

Das Bewusstsein und das Fraktal wirken paradox. Das Fraktal aber verbildlicht den Vorgang in archetypischer Weise. In ihm wiederholen sich gleiche Zustände in kleineren oder größeren Maßstäben. Wir erleben zweierlei, das Begrenzte einerseits und das unentwegte Überschreiten der Grenze andererseits. Das entspricht der Verfassung unseres Bewusstseins. Unser Gehirn besteht aus einer beschränkten Substanz und ist endlich und doch weist es zugleich über das Beschränkte hinaus und kann das Unendliche denken.

Das Phänomen des Fraktals ist das Vorbild für unsere scheinbar paradoxe Bewusstseinssituation. Während es in allen Dimensionen auf die im Hintergrund unentwegt wirkende Einheit verweist, liefert es uns das eine große Abbild mit dem wir die paradoxen Eigenschaften zusammendenken können. 

4.1 Der Mathematiker Benoît Mandelbrot und die Erkenntnis über das Verhältnis von Chaos und Ordnung

Inzwischen kennen wir eine Unzahl von fraktalen Strukturen. Sie sind keineswegs nur künstlicher Art und auf rein theoretische, mathematische Bilder beschränkt, wie noch das bekannte Apfelmännchen der Mandelbrotmenge. Wir finden sie in nahezu allen Naturen. Das veranlasste ihren Entdecker Benoît Mandelbrot sein bekanntes Buch mit dem Namen „Die fraktale Geometrie der Natur“ zu verfassen. Nicht nur Farne und Bäume entwickeln sich nach einem fraktalen Muster, sondern alle lebendigen Wesen. Ihre Blutgefäße, Lungenstrukturen und Nervensysteme folgen ihr. Selbst die Spitze der Evolution, die Entwicklung der Gehirne folgt einer fraktalen Struktur. Die konstant gebrochene Dimension führt uns zu dem Muster, das nicht nur die Ordnung der Welt sondern folgerichtig auch die Verfassung unseres Bewusstseins abbildet.

Da sich die grundlegenden Strukturen in den jeweils kleineren oder größeren Objekten prinzipiell wiederholen und jedes Teilstück das jeweils Ganze repräsentiert, richtete der Mathematiker Mandelbrot sein Augenmerk weniger auf die Struktur selber als auf das jeweils vorliegende Größenverhältnis der Strukturwiederholung einer Oberfläche und definierte es mit einfachen Zahlen. Benoît Mandelbrot spricht in dem Zusammenhang von der sogenannten Rauigkeit einer Struktur und Oberfläche. Die Beschreibung von Fraktalen bezeichnet er regelrecht als die „Kunst der Rauigkeit“ (s. Symposiums „TED2010“).

Indem er die Unregelmäßigkeit durch den Begriff der Rauigkeit ersetzt, erweitert er die rein gegenpolare Vorstellung von Ordnung und Chaos alias Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit und beschreibt deren Beziehung als eine hierarchisch geordnete unter der Regie der Ordnung.

Mandelbrot unterstellt das Raue einer prinzipiellen Ordnungsstruktur. Damit besteht die Welt aber – das muss man sich bei aller Mathematik deutlich machen – grundsätzlich in allen ihren Teilen und Dimensionen, ob sehr einfach oder hoch komplex erscheinend, aus ein und der gleichen musterartigen Struktur und Ordnung. Die Unterscheidung der Oberflächen ist dann nur noch eine nach dem Grad ihrer jeweiligen Rauigkeit.

Das ist insofern bedeutsam, da er damit in allgemeiner Form eine Ur-Beziehung beschreibt. Mandelbrot erhellt auf diese Weise das Wesen der Polarität (2) in ihrer hierarchisch abhängigen Beziehung zur Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit (1) aus der heraus sich alle Ordnungsstrukturen ergeben.

5. Die Religionen und die Botschaft von Linearität, Dreieck und Fraktal

5.1. Der Prolog der Bibel berichtet über Polarität und Fraktalität

Mandelbrot macht auf mathematische Weise deutlich, was schon Jahrtausende vor ihm zur Grundlage der großen Religionen wurde. Das Bild eines sich in unterschiedliche Dimensionen hinein entfaltenden universellen Prinzips, dass er als unterschiedliche „Rauigkeit einer Struktur und Oberfläche bezeichnet, verwendet auch der aus 4 Sätzen bestehende Prolog der Genesis (Gen 1,1-2). Schon dort wird der Begriff der sich verändernden „Oberflächenstruktur“ gebraucht. Der biblische Prolog gebraucht genau diesen Begriff einer „Oberflächenstruktur“ zweimal, um die fortlaufende Dynamik zu beschreiben, welche die verschiedenen „Stufen der Rauigkeit“ hervorbringt.

Nach der aus zwei Sätzen bestehenden Darlegung der allgegenwärtigen Polarität wird aus der Oberfläche (Antlitz) von „Finsternis + Urflut“ eine Oberfläche von „Gottes Geist + den Wassern“. Dem Prolog folgen nicht enden wollende Erzählungen. Sie machen nichts anderes, als das in 4 Sätzen vorgelegte Prinzip fraktal durch alle denkbaren Dimensionen hindurch zu entfalten.

Die Grundbotschaft verbirgt sich allerdings bereits in der Zweizahl und ihrem Verhältnis zur Zahl 1 oder im Bild der zwiespältigen Linearität.

5.2 Die Vermeidung von Linearität in der heiligen Schrift und bei die Pyramiden

Wir denken notwendigerweise in Polaritäten und somit in Reduktionen und Linearitäten. Die Welt täuscht vor, sie würde ausschließlich aus ihnen bestehen. Doch die fortgesetzte gerade Linie (1—2—3) widerspricht der göttlichen Ordnung (s. Abram / Pyramiden). Diese Täuschung von Linearität aufzuheben, ist das Anliegen von Religion und Philosophie. 

Der Versuch die Linearität zu durchschauen und ihren Kontext zu erfassen, führt zur Triade. Sie wandelt unsere hilfsweise Vorstellung von Linearität im Sinne des einfachen Zahlenstrahles und lenkt unser Augenmerk auf etwas, das höher steht als die einfach verstandene Polarität 1—2 zwischen zwei Punkten.

Egal in welcher Entfernung und Richtung wir den zweiten Punkt gegenüber dem ersten setzen, immer entsteht die Linie. Anders verhält es sich mit dem dritten Punkt. Machen wir ihn zur Verlängerung der Linie 1—2, dann schreiben wir die Linearität endgültig fest und binden unser Vorgehen an die vorhandene 1. Dimension, an die zu eng verstandene Linearität. Setzen wir den 3. Punkt über die vorhandenen Gegenpole 1 und 2, dann kann er die der Drei innewohnende Qualität erfüllen und die ihn vorausliegenden Gegensätze miteinander verbinden. Das Resultat ist das Erscheinen einer neuen und höheren Dimension, der Fläche. Auf das Wirken des Triadischen aufmerksam zu machen und es tätig umzusetzen, ist das Uranliegen von Religion und Philosophie.

Mit dem Erkennen der Qualität der Drei verbietet sich die metaphorische Darstellung der Linie 1—2—3. Sie wäre der Kardinalfehler einer Weisheitslehre. Sollten wir ihr dort begegnen, so begegnen wir Unwissen und Falschinterpretationen. 

Religionen und Weisheitslehren lassen sich auf sie hin überprüfen. Besonders einfach gestaltet sich das bei der alttestamentlichen, jüdisch-christlichen Tradition. Ihre Schriften sind in der hebräischen Sprache verfasst, in der jeder Buchstabe ausdrücklich einem Zahlenwert zugeordnet ist. Jedes Wort bildet somit eine bestimmte Zahlenfolge ab. Tatsächlich findet sich bei der Vielzahl der möglichen Zahlenfolgen in der ganzen Schrift nicht ein einziges Mal die Zahlenfolge 1-2-3. Die Verfasser haben sie vermieden, weil es sie eben in der letzten Wirklichkeit nicht gibt!

Die Zahl Drei erfüllt ihre verbindende, dimensionserweiternde Aufgabe nur, wenn sie sich der profanen Linearität enthebt. Die hebräische Schriftsymbolik verdeutlicht das durch die der Zahlenfolge 1-2-30, welche besonders häufig vorkommt und die Bedeutung von „gewiss“ und „Gewissheit“ hat, eben jenem Inhalt, dessen Offenbarung die Zweiheit mit ihrer Zwiespältigkeit dient. Bestätigt wird diese Aussage durch einen anderen Zahlenwert, die Zahl 123. Wie jede andere Zahl existiert sie sowohl im Zahlenstrahl als auch im Leben. Man könnte in ihr doch noch die lineare Abfolge der ersten drei Zahlen erkennen, was der Vermeidung von 1-2-3 widersprechen würde. Befragt man aber die Bibel nach der Bedeutung von 123, so steht sie für das Gegenteil dessen, was der Archetyp der Dreizahl aussagt. Die Zahl 123 steht für „Krieg“ und „Schlachtordnung“, also für die gewaltsame Auseinandersetzung mit dem Ziel der Vernichtung der Gegner.  

Der Krieg steht, wie die Dreizahl an sich für eine Dynamik (3). Doch wird in ihm die verbindende Funktion, wie sie die Drei archetypisch fordert, nicht unmittelbar umgesetzt. Im Krieg wird die „Einheit der Teile“ nur über das Gegenteilige, die Auseinandersetzung bewirkt.

Abb. Pyramiden: Der Dreizahl bewirkt mit Hilfe der vermeintlichen Linearitäten Orientierung. Sie ist die rechte, auf Einheit gerichtete Funktion (3) und stellt die Verbindung zur „Eins“ erneut her.

Wie bedeutend die Weisheit um das Wesen der Triade ist, wird an der Religion sichtbar, aus der die hebräische hervorgegangen ist, die altägyptische. Ihr steinernes Zeugnis sind die drei großen Pyramiden zu Gizeh. Ihre uns eigenartig anmutende Anordnung ist das Urbeispiel für die rechte Verbindung einer anfänglich unvermeidbaren Linearität und deren sodann bewusst erzeugten Bruch. In der Verbindung von Linie und Bruch sind die Pyramiden im wahrsten Sinn des Wortes vor allem ein gewaltiges Symbole für das Prinzip „Einsicht“.

Anhand der Pyramidentrilogie zu Gizeh (Abb. Pyramiden) können wir erkennen, dass das Wissen um das Wesen der Triade schon älter als 4000 Jahre ist. Die eigenartig erscheinende Anordnung der drei Pyramiden war bisher ein Rätsel. Alle drei Pyramiden haben eine gemeinsame und baulich sehr exakt ausgeführte Nord-Süd-Ausrichtung. Ihre Zusammengehörigkeit als Triade kann man nicht bezweifeln. Sie fällt regelrecht ins Auge. Anders verhält sich das mit der vorhandenen und wiederum nicht vorhandenen Linearität. Der erste Blick scheint eine solche auszumachen. Der zweite Blick stellt sie jedoch wieder in Frage. Zumindest die dritte Pyramide tritt zweifelsfrei aus der Reihe. Ob nun auch die erste und die zweite noch eine exakte Linie bilden, das kann man nicht unmittelbar erkennen. Spätesten an diesem Punkt wird der fragende Betrachter aufgefordert, sich genauer mit ihnen auseinander zusetzen. 

Tatsächlich steht die 2. Pyramide, die Chefren-Pyramide nicht auf der Mittelachse der Cheops-Pyramide. Die Erbauer haben die exakte Linearität vermieden. Ihre Abweichung aber wurde nicht willkürlich gewählt. Sie wurde wiederum am Prinzip der Ganzheit orientiert, denn sie erstellt eine neue, scheinbare Linearität. Die Chefren-Pyramide wurde gerade so weit aus der Achse der Cheops-Pyramide ausgerückt, bis die Chefren-Pyramide eine gemeinsame Außenlinie mit der Cheops-Pyramide bildet. Die anfängliche Linearität wurde aufgehoben, um eine neue zu bilden. Das Richtmaß ist dabei wiederum die Einheit, die nun über die Außenkannte sichtbar wird. 

Die dritte und kleinste Pyramide, die des Mykerinos bestätigt zwar, wie die anderen beiden die Ausrichtung nach Nord-Süd, steht aber völlig außerhalb ihrer Achsen. Dabei hat sie die Aufgabe, ihre beiden Vorgängerpyramiden zu einer Einheit zu verbinden. Tatsächlich macht sie das wiederum durch Abweichung. Sie rückt noch einmal so weit aus der Mittelachse ihrer Vorgängerinnen heraus, bis sie über die Kante und Seitenlinie der Chefren-Pyramide hinaus die Verbindung zur ersten Pyramide aufnehmen kann. Wieder entsteht eine Linie. Spätestens bei dieser dritten Linearität kann man den Sinn von Linearität an sich erkennen. 

Linearität dient der Offenbarung der Einheit. Ihre Orientierung erfolgt an den Ostkanten der Bauwerke. Der Osten steht für das aufgehende Licht. Über sie erfüllt die dritte Pyramide ihre Aufgabe, nämlich die Verbindung der Archetypen 1 und 2 zu bewirken. Dabei ist der konkrete Orientierungspunkt der Archetyp der Einheit, die Cheops-Pyramide. Das dritte Bauwerk greift ihren Neigungswinkel und somit deren Grundbotschaft auf. Insgesamt aber wird über die Dreizahl mit Hilfe der Linearität die Einheit neu erstellt. 

Um jene Botschaft dauerhaft zu übermitteln, bedurfte es vor über 4000 Jahren noch der Errichtung von Sakralbauten wie den Pyramiden. Später entwickelten die Israeliten die Zahlenschrift und entfalteten die gleiche Grundbotschaft unter allen erdenklichen Aspekten über lange Texte hinweg. Das dem Beispiel der Pyramiden vorangestellte biblische Beispiel ist nur eines von vielen. Tatsächlich basiert das Gesamtwerk in allen seinen Teilen auf dieser Grundweisheit. Sie machte es zu der wirkmächtigen, hebräischen Bibel, wie wir sie kennen.

Anschlussthema:

6. Das allgemeine Dreieck und das pythagoreische Dreieck der Seitenlängen 3-4-5

Weisheit setzt Wissen voraus. Doch ist sie mehr als Wissen. Weisheit wird von dem Wissen über die ersten drei ersten Archetypen getragen, (1) der Vollkommenheit, (2) der Linearität und (3) der Triade.

Wie vorangehend dargestellt reflektieren das die Weisheitslehren der Ägypter ebenso wie die der Schriftreligion der Israeliten. Sie thematisieren die Botschaft der Triade auf vielfältige Weise. Immer geht es um deren Eigenschaft, die ersten beiden Archetypen zu einem neuen Ganzen zusammenzufassen. Die praktische Konsequenz daraus führt zu dem Kerngedanken, dass die Welt eine fortlaufende Linearität vortäuscht, welche es gilt, zu durchschauen und im Sinne der Triade handelnd umzusetzen.

6.1 Das Rätsel des Sphinx

Der Mythos des Odysseus versucht die Weisheit um das rechte Verständnis der Zahl 2 und der vermeintlichen Linearität der Welt im „Rätsel der Sphinx“ auf den Punkt zu bringen. Der Sphinx symbolisiert die Herrschaft über die Erde. Er fordert die zweifache Logik des Menschen heraus, die sich einerseits der kurz aufscheinenden Linearität des Erdhaften bedient, andererseits der Mensch aber auch die Fähigkeit besitzt, die höhere, göttliche Dimension (s. 1-2-30) zu erfassen. 

Der Sphinx ist ein Schwellenwesen zwischen den Dimensionen. Er hält die Erden- und Himmelskräfte zusammen, ordnet und beherrscht sie. Das leistet er durch sein besonderes Bewusstsein, das er durch die Verbindung zwischen einem Löwenkörper und dem  Haupt des königlichen Menschen symbolisiert. Wer Herrscher über Körper (4) und Geist (3) ist und darüber hinaus beide auf rechte Weise miteinander verbinden kann, der bringt ein Bewusstsein (5) hervor, wie es das geometrische Gleichnis des pythagoreischen Dreiecks der Seitenlängen 3, 4 und 5 beschreibt. Ein solches Bewusstsein ist übermächtig, denn es erfüllt seine ureigene Aufgabe und durchschaut den Sinn der allgegenwärtigen Linearitäten und deren Gefahr.

Das Rätsel der Sphinx ist ein Zahlenrätsel, in dem die Zahlen 4, 2, 3 in einer Folge gedacht werden, die mit der gewohnten Linearität … 2, 3, 4 … bricht. Nur wer diese Aufgabe löst, kommt an der Sphinx, dem Hüter der Schwelle vorbei.

Die Sphinx in der griechischen Ödipus-Sage war ein auf einem Felsen vor Theben lagerndes Ungeheuer, welches den vorbeikommenden Menschen Rätsel aufgab. Wer sie nicht lösen konnte, den zerriss sie und fraß ihn auf. Das Rätsel lautete: Was ist es, das eine Stimme hat, erst vierbeinig, dann zweibeinig und schließlich dreibeinig wird? Ödipus löste das Rätsel mit der Antwort: Es ist der Mensch! Als Kind krabbelt er auf Vieren, als Erwachsener geht er auf Zweien und im Alter gebraucht er den Stock als ein Drittes. Nach der rechten Antwort des Ödipus vernichtete sich das bis dahin drohende Ungeheuer sofort von selbst und die Bewohner der Stadt waren von ihrem Unheil befreit.

Das Bild dieses Zahlengleichnis hat eine zweite Bedeutungsebene auf welcher sich der so offenkundige Entwicklungsverlauf des Menschen über die Zahlen-Archetypen inhaltlich erklärt: Die Existenz des Menschen beginnt wie jede Existenz mit dem alles umspannenden Weltgesetz der Vierheit. Sobald der Mensch sich erhebt, erkennt und durchschaut er die Polarität (2) sowohl in ihrer Notwendigkeit und fruchtbringenden Seite als auch in ihrer Drohung durch Linearität. Der Mensch erlernt das „Gehen auf zwei Beinen“. Am Ende kann er das Negative in der Welt, hier durch die Gebrechlichkeit des Alters beschrieben, mit Hilfe der Qualität der Dreizahl überwachsen. Es ist diese Weisheit, welche nicht der todbringenden Linearität anheimfällt und sich in der rätselhaften Zahlenfolge 423 ausdrückt. 

Die Lehre des Sphinx ist komplex. Sie bereitet den Archetyp der Fünfzahl, den Archetyp  des Bewusstseins vor, der im pythagoreischen Dreieck der Seitenlänge 3-4-5 entwickelt wird. Um jenes zu verstehen, sollen die ersten 4 Qualitäten, wie sie hier vorausgesetzt und von der Sphinx abgeprüft werden, noch einmal kurz umrissen werden: 

Die Zweiheit und ihre vornehmliche Erscheinung, die Reduktion sind allem eigen. Reduktion macht Existenz erst möglich. Wer denkt, der denkt in Reduktionen. Denken bedeutet in Linearitäten mit einem Anfang und einem Ende zu denken. Zweiheit, Reduktion und Linearität sind notwendig und damit bindend. Sie sind ihrem Wesen nach aber nicht willkürlich sondern verbindlich in höchster Weise, denn ihre Wirkung (3) zielt endlich immer auf das Wiedererstellen von Einheit (1). Aufgrund der unauflöslichen Verbindung der Zweiheit zur Einheit wird sie zum Kern von Ordnung.

Das Bewusstsein erzeugt immer wieder neue Polaritäten und Linearitäten, welche stets, früher, später oder auch unmittelbar in ein Drittes und Höheres münden. Zu den vorangehenden, linearen Erscheinungen (1—2) bildet das Dritte eine neue Dimension. Das macht drei unterschiedliche Sichtweisen möglich. Aus den Sichtweisen der 1 und der 2 existiert die Linearität sehr real. Aus der Sicht der 3 wird diese Linearität aufgehoben. Doch geschieht das nicht durch Aufhebung im Sinne von Vernichtung sondern durch ein sowohl 1 als auch 2. Was daraus folgt (II), ist wiederum ein Gegensatz zur Ebene 1—2, der eine neue, diesmal vertikale Linearität (s. I—II) ins Bild setzt. 

Die Auflösung der Linearitäten geschieht in einer Art und Weise, welche aus der jeweils herrschenden, linearen Sicht heraus zumeist unvorstellbar ist, ähnlich der Vorstellung der dritten Dimension aus der zweiten Dimension heraus. Obwohl man sich ihr über Metaphern ein Stück weit näher kommt, kann man sie nicht wirklich greifen und doch können wir durch unsere Vorstellungskraft das eigentlich Unvorstellbare in einer prinzipiellen Weise denken. Wir können es „be-greifen“, sodass seine Existenz zur Gewissheit wird. Auf diese Gewissheit kommt es an. Sie bleibt gewiss, auch wenn man noch keinen Zugang zu deren konkreten Erscheinungen findet. Der Wunsch nach dem allzu Konkreten entstammt der Linearität der Ebene I.

Was hier sehr theoretisch klingt, hat konkrete Entsprechungen in unserer wissenschaftlichen Welt, denn der Wunsch nach einem konkreten Beweis entstammt einem fortlaufend-linearen Denken (I), welcher die höhere Qualität der Dreizahl (II) verkennt. Man kann auch sagen, der Beweis bezüglich der letzten Dinge ist die „Versuchung der Zweiheit“. 

7. Das pythagoreische Dreieck - der nichtlineare der Weg zur Gewissheit

Abb. Glaube + Wissen (I) gehören zur niederen, I. Dimension (Linie). Gewissheit entsteht in der höheren, II. Dimension (Fläche).

Die Polarität (2) scheint das Gegenteil von Gewissheit zu sein. Über sie kam die Zwiespältigkeit in die Welt. Sie nimmt bis zu dem Augenblick an Gewicht zu, in dem ihre verborgene, höhere und göttliche Qualität erkannt wird, die in ihrer unauflöslichen Bindung an die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit besteht (1-2 …). Jede Existenz bedarf der Polarität. Auch unser Erkennen erfolgt durch Differenzierung – eine Qualität der Polarität. So kann es nicht anders sein, als dass die vermeintliche Negativität im Sinne von Zwiespältigkeit und Bösartigkeit der Polarität nur durch die Polarität selbst überwunden werden kann. Mit anderen Worten: Die Überwindung besteht im Selbstbezug der Polarität. Die Polarität (2) der Polarität (2) ist die Einheit (1). Mathematisch sprechen wir vom Prinzip des Quadrierens (22 = 4). Zahlensymbolisch erlöst sich das scheinbare Problem in der Zahl 4. Über die 4 erkennen wir die wahre Beziehung der 2 zur 1.  

Abb.: Das Prinzip Triade formiert sich im Konkreten und Linearen (1 2 3 4 5 6) und wird zur Triade von Geist (3), Materie (4) und Bewusstsein (5).

Jede in der Welt (4) auszumachende Beziehung ist letztlich ein Abbild der Urbeziehung 1—2, welche sich vollkommen nur in der Triade erklärt. Das geometrische Symbol der Triade ist das Dreieck mit seinen die Gegenpole verbindenden Eigenschaften. Dessen allgemeinste Form ist das gleichseitige Dreieck (s. Abb.???). Es zeigt die Urspannung von Einheit und Gegensatz (1—2) auf und gilt universell. In Bezug auf den Menschen formiert sich diese Urspannung in der Spannung zwischen Geist und Materie. Was Einheit und Zweiheit im Allgemeinen sind, das sind für das Bewusstsein des Menschen sein Geist (3) und die konkrete Materie (4), in der er lebt. Die trennende Frage, ob der Geist (3) aus der Materie (4) erwächst oder umgekehrt, ein vorhandener Geist die Materie formt, verkennt die triadische Wahrheit, nach welcher das Bewusstsein beide auf rechte Weise miteinander verbindet und eine neue Ebene (6) entstehen lässt.

Das vorab beschriebene Problem der scheinbaren Linearität von Einheit und Zweiheit erhält mit dem Bewusstsein des Menschen eine neue, formale Dimension. Was wir unter Linearität zu verstehen haben, wird im rechtwinkligen Dreieck der Seitenlängen 3, 4 und 5 plastisch. Obwohl uns bei diesem Dreieck zunächst die Zahlenfolge 3-4-5 ins Auge fällt, so enthält es dennoch die Zahlen 1 bis 6 in Folge. Dabei stehen die Zahlen 2 und 6 für eine andere Dimension. Die Zahl 2 steht für das „Andere“ und zunächst Fremde. Sie wird von dem Quadrat gebildet, das sich in dem Einheitskreis entfaltet, der auch die Grundlage des Bewusstseins ist. 

 

Das erkennende Subjekt blickt auf diese Vierheit und realisiert das logische Zusammenwirken der Archetypen 1 bis 6. Das archetypische Sinnbild für dieses Zusammenwirken ist das pythagoreische Dreieck mit den Seiten 3, 4 und 5. Es ist das geometrische Gleichnis der Triade von (3) Geist, (4) Materie und (5) Bewusstsein. In ihm erscheinen die ersten 6 Archetypen als konkrete, ganze Zahlen und zeugen so von ihren Inhalten.

8. Die Dialoge in Platons Werken und die Aufgabe der Aporie („Ausweglosigkeit“)

Ein wesentliches Merkmal der Werke Platons ist der Dialog – die dialektische Auseinandersetzung. Der Dialog und die Dialektik sind ein Ausdruck der Zweizahl und ihrer Polarität. Sie setzen das Prinzip der Linearität und ihrer Überwindung durch das Subjekt ins Bild. 

Die dialektische Methode funktioniert durch die systematische Anwendung einer Trias. Dabei einigt sich Sokrates/Platon in einem ersten Schritt mit seinem Gesprächspartner auf eine scheinbar unangreifbare Gegebenheit, auf ein scheinbar unangreifbares Argument. In einem zweiten Schritt entwickelt er ein ebensolches, scheinbar unangreifbares Argument, welches dem ersten aber entgegensteht und ihm widerspricht. Die so zweifach gewonnenen und zugleich untermauerten Erkenntnisse, sind paradoxer Art. Sie führen den Dialogpartnern eine „Ausweglosigkeit“, eine Aporie (altgrch.  ἡ ἀπορία / he aporía) vor Augen, welche in der Sache, den Dingen und Begriffen wurzelt. Die Aporie zeigt zweierlei. Sie zeigt die Notwendigkeit der Linearität (•—•) aufgrund derer die Argumente entstehen und sie zeigt zugleich ihre Begrenzung auf, welche die ihr stets anhaftende Dinglichkeit mit sich bringt. Das Begrenzte (2), das nur ein solches aus der linearen Sicht ist und die im Hintergrund wirkende Drei () noch nicht kennt, erzeugt den  Eindruck der „Ausweglosigkeit“. 

Platon bedient sich dieses dritten, vorwiegend unbemerkt bleibenden Schrittes, der den Gesprächspartner dazu führt, seinen Standpunkt zu verändern, und sich geradezu über diesen zu erheben. Er führt seinen Gesprächspartner über das Unmittelbare und Dingliche hinaus, das zuvor seine Argumente bestimmt hat. Das hinter allen Dingen stehende, jeweils höhere Dritte, dessen Natur es ist, die Gegensätze zu vereinen, gewinnt an Gewicht. Insofern ist die so genannte „Ausweglosigkeit“ (Aporie) keine „Ratlosigkeit“, denn ihr verborgener Rat steckt in der Dreizahl. Sie rät dazu, das rein Dingliche durch einen Dimensionswechsel zu überwachsen. 

Das Mittel der aufkommenden Ausweglosigkeit macht deutlich, dass allen Diskursen über Sachen oder auch nur über Begriffe eine Dinglichkeit anhaftet. Jene Gegenständlichkeit steht sich selbst entgegen. Sie macht es unmöglich, einen allzu „konkreten Ausweg“ benennen zu können. Wohl aber dynamisiert die Aporie und verweist auf ein Geistiges und Höheres hinter den Dingen. Die unauflösbar wirkenden Probleme in der Sache zwingen den wahrhaftigen Gesprächspartner auf einen Weg! Insofern ist es keine  „ausweglose“ Situation.

P.S.   s.a.  Aufsatz:  Vier, Identität und Heimat vs. Linearität

Fußnoten

¹ Diese Weisheit darüber führte im Mittelalter zu einem metaphorischen Bild, das vom Okkultismus vereinnahmt wurde und besagt, dass Engel in Spiralen fliegen, der Teufel aber geradeaus.

² Aufgrund der Allgegenwart von Linearität leben und denken wir immer in geschlossenen Systemen. De facto aber gibt es kein vollkommen geschlossenes System, denn niemand kann ein wirklich geschlossenes System nachweisen. Was uns zeitweise als geschlossen erscheint, das ist es durch die Grenzen und die Linearität unseres Verstandes. Das Dilemma ist, dass der Verstand einerseits durch Grenzen hervorgebracht wird, er andererseits aber diese Grenzen nicht eindeutig zu erfassen vermag. Unser Verstand bleibt selbstbezogen. Auf der Ebene der Objekte und ihrer Objektivität gibt es keine Lösung. Eine solche muss das denkenden Subjekt selbst mit einbeziehen. Eine Ordnung im höchsten Sinne kann weder außerhalb des Subjektes liegen noch dort erkannt werden. Die Zweiheit (2) und ihre Beziehung zur Einheit (1) können nur durch das Bewusstsein, durch das Subjekt (5) zusammengebracht werden. Auf welche Weise das geschieht, verrät uns die Zahl 5 und der ihr zuzurechnende goldene Schnitt.

³ Das Denken wird durch die Zweiheit erst möglich und bleibt doch in sich gefangen. Die Zweiheit erlöst sich erst über ihren Selbstbezug – ihre Quadrierung. Zweiheit offenbart ihre eigentliche Vollkommenheit erst in der Vierheit. 

⁴ Der Komiker Karl Valentin hat dies einmal so auf den Punkt gebracht: „Nichts ist sicher. … Auch das nicht“.

⁵ Neue, emergente Eigenschaften sind nicht oder nicht unmittelbar auf die Eigenschaften der Elemente zurückzuführen. Die Naturwissenschaft ist voll solcher Beispiele. Allein die Existenz der Aggregatzustände ist ein solches. So hat ein einzelnes Wasserstoffatom noch nicht die Eigenschaften eines Gases. Ganz offensichtlich ist Emergenz des Lebens an sich, denn die chemischen Bestandteile eines Lebewesens können nicht erklären, was Leben ist. Mit dem Prinzip Leben tritt eine völlig neue Qualität in Erscheinung. Das Leben entsteht durch Emergenz und es emergiert auf immer neue Weise. Emergenz ist die Ursache der Vielfalt des Lebens.

⁶ Für die Wirkung der Dreizahl zur Überwindung einer falsch verstandenen Linearität gibt es sehr viele Beispiele. So hat u.a. Goethe seinem Faust-Drama drei Einleitungen vorangestellt in denen auf drei verschiedene Weisen das Thema der Zweiheit und der aus ihr heraus drohenden linearen Sichtweise beleuchtet wird. Am Ende jeder solcher Darstellungen führt der allgemeine Blick auf die Triade, wie hier bei Goethes Faust immer auch zu den speziellen Blick auf das pythagoreische Dreieck der Längen 3-4-5. Erst in ihm wird die durch das Bewusstsein (5) die Einheit von Geist (3) und Materie (4) hergestellt (s. Bu-part/Faust 3Einleitungen.docx).

⁷ Die Verbindungen und Beziehungen der drei Dreiecke von Sierpinski, Pascal und dem Zahlendreieck n. Stelzner wird im Aufsatz „ …/Philosophie/Platon/ Platon+Dreiecke.docx“ gesondert beschrieben. 

⁸ Die Redewendung „Fluch und Segen“ ist eine jüdische Redensart und kommt aus dem 5. Buch des Pentateuch. In Dtn 11,26ff benennt die Gottheit JHWH den Israeliten kurz vor der Landnahme des Verheißungsgutes (das gelobte Land) die Fluch- und Segenssituationen. Das Augenmerk liegt dabei auf dem untrennbaren Zusammenhang beider und der Symbolik der Zahl 12 (später geteilt in 6 + 6). Die 12 symbolisiert den hierarchischen Zusammenhang des Spaltungsprinzips (2) mit dem Einheitsprinzip (1). Dem symbolisch geschulten Exegeten fällt dabei auf, dass die Fluch auslösenden Situationen auf jeweils verkürzte und fortgeschriebene Linearität beruhen. Der Segen hingegen beruht auf deren Vermeidung und dem fortlaufenden Entstehen einer neuen Qualität.

In jener Symbolik verbirgt sich das rechte Verständnis vom Verheißungsgut – vom sogenannten „gelobten Land“. Das ist danach nämlich nicht mehr als ein Land im linearen Sinn zu verstehen sondern als die rechte Auffassung des Manifestationsprinzips – symbolisiert in der Zahl 4.

⁹ Der biblische Prolog (Gen 1,1-2) besteht aus 4 Sätzen:

  • „Im Anfang schuf(en) die Götter die Himmel und die Erde.
  • Und die Erde, sie war Verlangen und Gegenverlangen.
  • Und Finsternis (war)                                  über der Oberfläche  der Urflut
  • Und der Geist der Götter war flatternd über der Oberfläche  der Wasser.“ 

¹⁰ Der Vorgang findet sein geometrisches Gleichnis beim Entstehen der Kreisfläche aus dem Punkt. Beim Entstehen der neue Dimension, der Kreisfläche, wird ersichtlich, dass das Auftreten eines Anderen in Form einer Linearität notwendig ist.:

¹¹ Die Zahl 123 gehört wie jede andere Zahl zum Leben und ist deshalb nicht zu vermeiden. In Gen 14,2 u.a. bedeutet sie „Krieg“ oder „Schlachtordnung“ (hmjlm ). Ihre Zahlenfolge 40-30-8-40-5 ergibt die Wortsumme 123. Es kommen auch andere in der hebräischen Bibel verwendete Wörter mit der Zahlensumme 123 vor. In allen wird aber der das konkrete, irdische Leben relativierende Zusammenhang sichtbar. Solche sind unter einigen anderen die Ausdrücke „und-er-war-nicht-mehr“ (Gen 5,24) oder „mit-Gewalt-berühren“ (Gen 32:33).

¹² Der älteste und bekannteste Sphinx ist der ägyptische, große Sphinx von Giseh. Er ist ein männliches Wesen, weshalb er auch so bezeichnet werden muss. Die griechischen Sphingen hingegen sind weiblicher Natur. 

¹³ Die Spannung zwischen der realen Polarität und der Sehnsucht nach Gewissheit kennzeichnet das Wesen des menschlichen Bewusstseins. Von der Polarität und ihrer vornehmlichen Erscheinung, der Linearität verführt, denken wir stets in vermeintlich geschlossenen Systemen. So bleibt unser Verstand selbstbezogen. Andere nennen diesen Zustand den Aquarium-Effekt.

Es mag frustrierend erscheinen, dass unser Denken in einer Art Aquarium gefangen ist. Doch da gibt es mehr:

1  Wir wissen um diese Grenzen! 

2  Dieses macht den entscheidenden Unterschied !

3  Er zeigt uns, dass wir doch über mehr verfügen, als nur über lineares Denken !!! 

4  Wir sind das Abbild eines Vollkommenen. Wir sind das Bewusstsein, das über zwei gegenläufige Anlagen verfügt, die es zusammendenken kann und so diese doch nur hilfsweise Linearität überwächst !!!!

¹⁴ Die nachfolgenden geometrischen Gleichnisse zeigt die verbindenden Eigenschaften der Dreizahl:    a) Bild  r=1, r=2, HD=3        b) D1=      D2=    rD=  

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