Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Das Römische Dodekaeder

von Michael Stelzner

Die Pentagon-Dodekaeder sind im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus gefertigte, ca. 4 bis 11 cm große, hohle Bronzeobjekte mit zwölf fünfeckigen Außenflächen. Die besonderen Dodekaeder werden auch Römische Dodekaeder genannt, weil sie mehrheitlich in den nördlichen Römergebieten Europas gefunden wurden, die zuvor von Kelten besiedelt waren.

Abb. 1  Römischer Dodekaeder, ausgestellt im Römer-Museum Schwarzenacker / Saarland.

Welche Bedeutung sie hatten, das vermittelt ihre besondere Form, denn sie sind keine schlichten Dodekaeder. Jeder ihrer 20 Ecken trägt eine kleine Kugel und die 12 Flächen des Körpers haben alle ein Loch in ihrer Mitte. Die 12 Löcher sind dabei alle von unterschiedlicher Größe. Da heute mehr als 100 solcher Artefakte existieren, weiß man, dass die ungleiche Lochgröße bewusst gewählt wurde und deshalb von Bedeutung ist. Um sie und den Kult, dem sie dienten zu erschließen, muss man die Besonderheiten des Körpers systematisch zu einem Ganzen verbinden. Dabei muss man die «Kunst der Zahlen» (Platon) bemühen, die im Falle des Dodekaeders die Zahlen 5 und 12 sind und bei dem Römischen Dodekaeder durch die 20 zusätzlich an seinen Ecken angebrachten Kugeln ins Auge fallen.

Die Zahl 12 ist die Zahl der Ordnung. Sie ist es, weil sie die Polarität der ersten zwei Archetypen, Eins und Zwei als ein Dual, als ein (einheitlich) Ganzes sichtbar macht. Das vermag die 12 aufgrund der Umsetzung der natürlichen Hierarchie der Archetypen. Sie ist die erste Zahl, welche die zwei scheinbar gegensätzlichen Archetypen als ein Ganzes darstellt. Die 12 fängt als erster Archetyp, die Zweiheit und Unterschiedenheit zweier Dimensionen (1+2) in Form eines sichtbaren Ganzen (12) ein.

Das Erschauen des so entscheidenden Vorgangs ist eine Leistung des Bewusstseins (5), das die Fähigkeit der Schau hervorbringt. Dass hinter dem Phänomen die Gesetze von Symmetrie und Asymmetrie wirken, verrät die schon an derer Stelle ausführlich beschriebene «Flussform der Zahlen» (Abb. 2). Das Wesen der Fünf besteht in ihrer Fähigkeit, zwei Perspektiven zu entwickeln und sie als Konstitutionsmerkmal des schauenden Subjekts (5) zu entdecken.

Abb. 2  Die Zahl 5 zeigt in der (triadischen) «Flussform der Zahlen», dass sie das schauende Bewusstsein des Subjekts (5) symbolisiert und zugleich die Einheit und Ganzheit (1) spiegelt (1—5).

Die nachfolgende Abb. 3 zeigt, dass schon allein die Ordnung der platonischen Körper den wesentlichen Zusammenhang der Zahlen Fünf und Eins verrät. Im Dodekaeder und im Ikosaeder erreicht die alle Existenzen prägende Einheit und Ganzheit ihren höchsten geometrisch Ausdruck.

Abb. 3  Die allseitige Symmetrie der platonischen Körper spiegelt die Beziehung der Fünf zur Einheit (1). Das «Maßgebende» ist die Eins alias der Punkt, das «Kugelhafte» bzw. die Zahl der Schnittpunkte.

Der Kreis ist das Symbol der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit und somit das der Gottheit. Seine dreidimensionale Erscheinung ist die (einflächige) Kugel. Sie ist der Ursprung des Raumes, der von den allseitig symmetrischen, fünf platonischen Körpern und deren Mehrflächigkeit auf archetypische Weise repräsentiert wird. Wie die Zahl Eins den Strahl der Zahlen und der Kreis alle weiteren Flächen entlässt, so entlässt die Kugel die platonischen Körper. Das Eine des Anfangs ist dabei immer das Maßgebende. Auf jene Rückverbindung («Religo») machen die an den Schnittpunkten der Körperflächen des römischen Dodekaeders angebrachten Kugeln aufmerksam.

Das Römische Dodekaeder verweist auf das Wesen der Zahl 12 und das Wesen der Zahl 5, macht vor allem aber deutlich, was der Ursprung allen Daseins ist – nämlich die Einheit und Ganzheit, die hier in Form von Kugeln abgebildet wird.

Wer den theologischen Zusammenhang erkennt, der erkennt die dem Bewusstsein (5) eingeborene zweifache Konstitution, die von Geist und Substanz und die ihm dadurch eröffnete Möglichkeit der zweifachen Perspektive (siehe Abb. 2 / 1 ¬5 und 4 ¬5). Der Mensch blickt einerseits auf die Substanz (4) und er blickt andererseits auf die Einheit und Ganzheit (1), aus der alles hervorgeht. Da er selbst ein in der Substanz und ihrer Subjektivität und Relativität Verhafteter ist, wird er herausgefordert, über seinen subjektiven Blick das einheitlich Ganze zu erschauen. Das verlangt von ihm, durch die Oberfläche seines persönlichen Daseins hindurch zu schauen und den Kern der Dinge zu erblicken. Das vermitteln im Römischen Dodekaeder die unterschiedlich großen Löcher in seinen 12 Flächen. Aus jeder Oberfläche kann man die Einheit erschauen. So verschieden die Perspektiven auch sind, sie sind eingebettet in einer ganzheitlichen Ordnung (12). Der eine erkennt sie in der Geometrie des goldenen Schnitts, der aus dem Pentagramm hervorgeht. Ein anderer erkennt die gleiche Göttlichkeit in der Schönheit der Natur. Wiederum ein anderer erkennt die Göttlichkeit sogar in der alles Sein und Dasein umfassenden Liebe, welche sich der unterschiedlichsten Formen bedient. Trotz aller Unterschiede, Formen und Ausdrücke ist sie immer das Zusammenfassen von scheinbar Gegenteiligem. Das trifft auf die Geschlechter ebenso zu wie auf den archetypischen Anfang, in dem die Einheit und Ganzheit (1) mit der Zweiheit und dem Getrenntsein (2) in der Zahl der «Ordnung 12» eins wird.

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