Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Sieben – die fruchtbare Nichtberechenbarkeit, die Gottheit

von Michael Stelzner

Immer wenn die Zahl 7 genannt wird, wird auch eine Unerreichbarkeit angesprochen, weil die Sieben das konkrete Dasein übersteigt. Diese Unerreichbarkeit existiert aber bereits vor der Sieben, denn sie ist die Grundbedingung der Existenz selbst und tritt deshalb bereits mit der Polarität hervor. In der Sieben äußert sie sich lediglich in ihrem Extrem, nämlich im Gegensatz von Diesseits und Jenseits. Die Bibel eröffnet die Flut ihrer Erzählungen mit der Veranschaulichung der Unerreichbarkeit, indem sie als ersten Buchstaben nicht den sogenannten Hauchlaut, das Alef, sondern den zweiten Buchstaben des Alphabets, das Beth setzt. Der mit dem Beth beginnende erste Satz hat symmetrische Eigenschaften und hebt darüber hinaus in mehrdimensionaler Weise die Gegensätzlichkeit aller Dinge und Erscheinungen hervor (siehe Aufsatz „Der erste Satz der Bibel“). Vor allem aber besteht er aus sieben Wörtern. Darin setzt er die Herrschaft der Zweiheit, die über die konkrete Welt hinausreicht ins Bild und konfrontiert den nach Einheit und Ganzheit strebenden Leser mit deren Unerreichbarkeit. Tatsächlich strebt alles in der Polarität Existierende der Einheit und Ganzheit zu und doch bleibt sie für alle Wesen für immer unerreichbar. 

Die Botschaft des ersten Satzes entfaltet ihre wesentlichen Aspekte in einer aus vier Sätzen bestehenden Präambel. Sie endet mit der offensichtlichen Unerreichbarkeit des göttlichen Geistes: „Und Gottes Geist flatterte über der Oberfläche der Wasser“ (Gen 1,2). Diese schon erstmals mit den sieben Wörtern des ersten Satzes beschriebene prinzipielle Unerreichbarkeit begegnet uns wieder auf neuer Ebene am siebten Tag, dem Tag der Gottheit. Die Sieben-Tage-Erzählung entfaltet das bereits Vorgestellte auf der Ebene der konkreten Dinge. Zu ihnen gehören die lebendigen Wesen und der Mensch. Doch das höchste Subjekt ist die unerreichbare Gottheit des siebten Tages. Die sieben Wörter des ersten Satzes entfalten sich in der Vorstellung der Gottheit. 

Die dritte Unerreichbarkeit der Genesis-Erzählung finden wir in der Paradies-Erzählung. Dort ist es der „Baum des Erkennens von Gutem und Bösem“ im Garten Eden, der auf Gottes Geheiß für die Menschen unerreichbar sein sollte und von dem der Mensch dennoch aß. Die erste Oberfläche der Erzählung berichtet davon, dass es des rechten Handelns, alias „Verhaltens“ des Menschen bedarf, um an das von ihm Begehrte zu kommen. Dass der Mensch grundsätzlich begehrt, wird dabei ausdrücklich vermittelt. Das Begehren ist ein abgestuftes und wachsendes Begehren. Das denkbar höchste Ziel auf welches sich das Bewusstsein des Menschen richten kann, ist das Wissen um das Geheimnis der Schöpfung und der eigenen Existenz. Das erste Bild für dieses Begehren ist die Existenz der zwei Paradiesbäume und deren Früchte. Diese Zweizahl fordert den Menschen heraus, in rechter Weise mit ihr umzugehen. Der rechte Umgang mit der Zweizahl führt zum Prinzip der verbindenden und verbindlichen Triade. Nimmt das Bewusstsein diese Hürde und lernt triadisch zu denken und zu handeln, dann erfährt es das wahre Geheimnis der beiden Bäume. Wie sich herausstellen wird, liegt es im Begreifen des Wesens der Zahl Vier. Sie ist der Schlüssel zur Entwicklung des eigentlichen, höheren Bewusstseins.

Der „Baum des Lebens“ hat die Wortsumme 233 und der „Baum des Erkennens von Gutem und Bösem“ hat die Wortsumme 932. Das Verhältnis ihrer Wortsummen ist 1:4. In diesem Zahlenverhältnis – speziell in der Zahl 4 – verbirgt sich das eigentliche Paradiesgeheimnis. Adam und Eva haben entgegen des göttlichen Gebots die Frucht von dem Baum in sich aufgenommen, der für sie inhaltlich noch unerreichbar ist und das „Erkennen von Gutem und Bösen“ durch die Vermittlung der Schlange aus der linearen Perspektive aufgenommen. Sie wurden daraufhin mit dem Wesen der Vierzahl konfrontiert, ohne bereits das Wesen der verbindenden Dreizahl erfasst zu haben. Damit waren sie aus dem Garten Eden, dem „Garten der Wonne“ vertrieben. Adam und Eva haben das Wesen der Zweizahl und das der Dreizahl nicht begriffen und sind deshalb an der Vierzahl gescheitert. Der legendäre Garten der Vollkommenheit ist ein solcher, weil er vom Wesen der Vier durchdrungen ist. Die Gottheit pflanzte ihn „von-Osten“ (40-100-4-40) her. Zudem wird er explizit von vier Flüssen durchzogen. Im masoretischen Text der Genesis ist der Begriff „Garten-in-Eden“ möglicherweise nicht zufällig auch das 444. Bibelwort. Die Vier symbolisiert die Vollkommenheit allen Daseins. Doch kommt sie im Bewusstsein der ersten Menschen nicht an. Vor der Paradies-Pforte stehend und zurückgeworfen schauen sie auf die zwei Engel (Cheruben), die in Form der Polarität die Einheit und Ganzheit des Paradieses bewachen. Der Einlass bleibt ihnen verwehrt, weil sie das Geheimnis der Polarität noch nicht in Erfahrung gebracht haben.

Da Adam und Eva an der Polarität der zwei Bäume gescheitert sind und sich in der Linearität verfangen haben, stellt sich dem besonders aufmerksamen Leser der Paradieserzählung die Frage, warum die Verfasser des Textes gerade die Wortsummen 233 und 932 gewählt haben, um deren vierfaches Verhältnis abzubilden? Die Antwort findet sich im Prinzip des vorgenannten Unerreichbaren, das mit der Zwei in die Welt kommt und zur Ursache allen „Zwistes“ wird. Benennt man das Unerreichbare in der Symbolik der Zahlen, dann spricht man von der Eins, der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit. In den Naturwissenschaften wird das Prinzip u.a. mit dem Begriff „Singularität“ belegt. Auch wenn die Einheit ihrer Natur nach ungreifbar bleibt, so ist sie doch als Begriff vorhanden und wird entsprechend in der unvollkommenen, konkreten Welt von vielen Erscheinungen in Abstufungen vertreten. Aus der Sicht der Zahlen sind es die Primzahlen, die auf diese Qualität aufmerksam machen. Sie sind einmalig, weil sie unteilbar sind. Ein anderes, noch weitgehendes Kriterium der Einmaligkeit ist die erwähnte Unerreichbarkeit. Sie finden wir auch bei den fortlaufenden Zahlen. Eine Zahl wird als unerreichbar bezeichnet, wenn sie in keinem Fall die Summe der Teiler irgendeiner anderen Zahl ist. Die unerreichbaren Zahlen unter 100 sind 2, 5, 52, 88 und 96.“ Die zwei Kriterien der Einmaligkeit, das der unteilbaren Primzahl und das der Unerreichbarkeit kommen in der 52. Primzahl zur Deckung. Die 52. Primzahl ist die Zahl 233. Sie bildet aus zweifacher Perspektive den Urgrund des Unerreichbaren, das der Mensch begehrt. 

Nach dem Ausflug in die Tiefe der Zahl 233 kehren wir zu dem Gebot der Gottheit zurück. Die Gottheit hat in ihrem Gebot über die Frucht der zwei Bäume die rechte – weil archetypische – Hierarchie des menschlichen Begehrens beschrieben. Das Gebot nicht vom „Baum des Erkennens von Gutem und Bösen“, wohl aber vom „Baum des Lebens zu essen, bedeutet für den nach höherem Bewusstsein strebenden Mensch, nicht das Unerreichbare zu sich zu nehmen, sondern vielmehr das unter den Kriterien der Unerreichbarkeit mögliche Erreichbare. Mit anderen Worten hat die von den Archetypen geleitete Gottheit davor gewarnt, den zweiten Schritt noch vor dem ersten zu tun. Hätte Eva zwischen der Linearität und der Triade unterscheiden können, wäre sie nicht sofort der Aussage der „linearen“ Schlange gefolgt und hätte nicht die Ebenen des Seins durchmischt. Der „Baum des Erkennens von Gutem und Bösen“ war seinem Prinzip nach für sie zunächst unerreichbar, wie die 7 aus dem Diesseitigen unerreichbar ist. Wer aber zunächst aus dem Diesseits heraus die entscheidenden Kriterien der Unerreichbarkeit klärt und in sich aufnimmt, der durchschaut die Notwendigkeit der Unerreichbarkeit und wird frei.

Adam und Eva begehrten den falschen Baum. Das nahm ihr Bewusstsein gefangen. Die Geschlechter nach ihnen arbeiten in den zahlreichen Erzählungen und bei heranreifendem Bewusstsein das Versäumnis nach dem Vorbild der Archetypen nach und nach auf. Die Zahl 7 übernimmt dabei als der Archetyp des Unerreichbaren aber Notwendigen eine Schlüsselrolle. Im Alten Testament erreicht der Blick auf sie im 7. Buch, einen besonderen Höhepunkt. Im Neuen Testament wird dieser besondere Höhepunkt in seinem letzten Buch, der „Offenbarung des Johannes“ beschrieben. Die sogenannte Apokalypse wird gänzlich von der Zahl Sieben durchdrungen. Über sie wird das Verhältnis von Diesseits und Jenseits, von Mensch und Gottheit offenbar. Die biblische Offenbarung schließt die Kluft zwischen dem erstem und dem zweiten Testament. Es greift die Bilder der Genesis auf und drängt mit heftigen Bildern einer Gefangenschaft in der Linearität den Leser zu der triadischen Sicht, welche schon mit dem „Baum des Lebens“ aufsteigen wollte:

Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem werde ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, welcher in dem Paradies Gottes ist“ (Off 2:7).

Die Rückschau ins Paradies erfolgt im ersten der sieben Sendschreiben der Offenbarung. Es bezieht sich auf den „Baum des Lebens“ in der Genesis, von dem allein Adam und Eva hätten essen sollen, aber nicht mehr von ihm essen konnten, weil sie zuvor schon vom verbotenen Baum, dem „Baum des Vierfachen“ gegessen hatten und deswegen aus dem Garten der Wonne vertrieben worden waren. Die Offenbarung des Johannes führt die so im Garten Eden über die Vierheit begonnene Katastrophe zu Ende. Diesmal sind es die vier apokalyptischen Reiter, welche das Unheil bringen. Wer aber die wahren Verhältnisse durchschaut und sich das „Zeichen auf seiner Stirn“ verdient, das schon der Brudermörder KAIN trug und das ihm vor der Rache der Anderen schützte und seinem Sohn HENOCH den Platz an der Seite der Gottheit sicherte, der wird für immer auch vom Baum des Lebens essen können.

Fußnoten

¹ In der triadischen Flussform der Zahlen symbolisiert die Triade 4-5-6 die konkrete Welt mit ihren Fehlern und den aus ihnen erwachsenden Bedürfnissen. Die biblische Genesis greift in Vers 2:9 das Begehren mit dem 456. Wort auf. Es richtet sich auf die von der Gottheit vorgegebenen Paradiesbäume. Ihnen werden vier Qualitäten und damit das Siegel der Vollkommenheit zugeordnet:

Und-es-ließ-wachsen  JHWH ELOHIM  aus-dem-Erdboden  jedweden-Baum

  • begehrenswert  anzusehen
  • und-gut  zum-Essen
  • und-den-Baum  des Lebens   in-der-Mitte  des-Gartens

(6-70-90  5-8-10-10-40 = 233)

  • und-den-Baum  des-Erkennens   Gutes  und-Böses

  (6-70-90  5-4-70-400  9-6-2  6-200-70 = 932)

² Adam Spencer erklärt in seinem „Buch der Zahlen“ (dtv, München 2002), was eine unerreichbare Zahl ausmacht: „ … Sie ist in keinem Fall die Summe der Teiler irgendeiner anderen Zahl. Was zum Teufel das nun wieder bedeuten soll? Nun ja, die Teiler der Zahl 38 sind 1, 2 und 19, und 1 + 2 + 19 = 22. Also ist 22 die Summe der Teiler von 38 und somit keine unerreichbare Zahl. Analog dazu sind die Teiler der Zahl 60 1, 2, 3, 4, 5, 6, 10, 15, 20 und 30, und 1 + 2 + 3+4 + 5 + 6 + 10 + 15 +20+ 30 = 108. Also ist 108 ebenfalls keine unerreichbare Zahl. Aber keine Zahl hat Teiler, die in der Summe 52 ergeben. Die einzigen anderen unerreichbaren Zahlen unter 100 sind 2, 5, 88 und 96.

³ Bei dieser Zählung wird im Gegensatz zur modernen, mathematischen Definition die 1 als Primzahl mitgezählt. Aus zahlensymbolischer Sicht ist das, „EINleuchtend“ und unausweichlich, weil nichts anderes das eigentliche Primat besser symbolisiert als die Eins selbst.

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