Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Der Sabbat, das Sabbatjahr, das Jubeljahr und die Zahl Sieben

von Michael Stelzner

Inhaltsverzeichnis

1. Die Sieben und der Gedanke der Freiheit

Der Archetyp der Sieben (Link setzten) beschreibt ein Beziehungsmuster das über die substantielle Welt hinausreicht. Er überschreitet darin den nur auf die Dinge gerichteten Begriff der Kausalität. Der Archetyp der Sieben setzt eine ganzheitliche, „heilige Kausalität“ ins Bild, welche auch die Subjekte und ihr Bewusstsein umfasst. Jene Holokausalität ist Gegenstand jeder Religion. 

Die Sieben bringt Klarheit in das Verhältnis zwischen der für uns unerlässlichen, linearen Sicht der Dinge und der höheren, triadischen Schau, die uns im Widerspruch von Berechenbarem und Unberechenbarem oder im Widerspruch von Symmetrie und Asymmetrie begegnet. Die Sieben erlaubt es, eine Anders-Welt in der Diesseits-Welt zu erkennen, anzunehmen und mit ihr umzugehen. Sie macht das Jenseitige begreifbar und erschließt darin eine Ordnung, die Sicherheit und Freiheit vermittelt, weil der um ihr Wesen wissende Mensch nicht mehr dem Zufall im Sinne von Willkür unterworfen ist. Die Sieben wurde deshalb für das Verstehen der Religionen zu einer Art Schlüsselzahl. Immer wenn sie erscheint, scheint selbst in den größten Spannungsverhältnissen der Ganzheits- und Gottcharakter auf. Das macht die Sieben zur „Zahl der Befreiung“ ! ( 7+Freiheit.docx ).

Freiheit ist das Ziel des menschlichen Bewusstseins. Dabei ist Freiheit keine – wie oft angenommen wird – unabhängige Größe, sondern basiert auf dem Archetyp der Polarität (2) und dem Archetyp der Beziehung (3). Freiheit ist immer die „Freiheit von …“. Sie ist immer auf ihren Gegenpol bezogen. Da das Jenseitige und Göttliche der denkbar höchste Gegenpol zur diesseitig beschränkten Existenz ist, thematisiert die Sieben die Frage nach der Freiheit von dieser Gottheit. Die letzte und höchste Polarität ist als solche unerbittlich. Ihr kann der Mensch nicht entkommen. Ihre Unberechenbarkeit bedroht den Menschen solange, bis dieser seine Berechenbarkeit um ein Maß erweitert, das auch dem Unberechenbaren einen Platz einräumt. Im Grunde geht es darum, das Andere alias die Zwei als eine Erscheinung der Eins und Einheit zu sehen. Mit anderen Worten muss der Mensch sich von jenen Polaritäten befreien, die ihn abwerten. Der Mensch will die Ganzheit abbilden und nicht mehr von ihr ausgeschlossen sein und nicht mehr „aus dem Paradies vertrieben sein“. Von der Vorstellung einer willkürlichen und bestrafenden Gottheit kann ihn nur das Heranreifen seines Bewusstseins befreien.

Das Wesen der Sieben ist auf den Freiheitsgedanken gerichtet. Er ist der Kerngedanke von Weisheitslehren und Religionen, auch wenn selbige in der Geschichte häufig als Mittel der Unterdrückung instrumentalisiert wurden. Kurzum: Alle religiösen Erzählungen über die Zahl Sieben sind Erzählungen über die Freiheit. Weil sich das Wesen der Sieben über alle linearlogischen Betrachtungen und alle denkbaren Daseinsdimensionen erhebt, befreit sie das Individuum in letzter Konsequenz sogar von der Religion, die ihm die Werkzeuge des Erkennens einst lieferte. Dieser gewaltige Rahmen wird jedoch erst erkennbar, wenn man sich auf die wahre Tiefe einer Religion einlässt und das Schrifttum überschaut.

2. Die Sieben, die ruhende Mitte und die Zeitgliederung

Blickt man mit Hilfe der triadischen Flussform der Zahlen auf das Entstehen der Sieben, dann wird deutlich, dass sie die archetypischen Qualitäten der Einheit (1), der Polarität (2) und der verbindenden Funktion (3) in sich vereinigt. Als Folge dessen manifestiert sie auf unberechenbare Weise potentiell ein neues konkretes Dasein. Diese der Vierzahl zuzuordnende, qualitativ neue Existenz wird von einem reifen und bewussten Individuum als die „ruhende Mitte“ seiner selbst wahrgenommen. 

Die Sieben ist eine verborgene aber wirkende Mitte

Die manifestierte Mitte befreit das Individuum in dem Maße, wie es das wahre Wesen der Sieben durchdringt. Das gilt insbesondere für die jüdische Religion, deren Mitte für alle sichtbar die Zahl Sieben ist (Link setzen). Die heilige Schrift thematisiert das Wesen der Sieben in allen ihren Dimensionen. Die durch sie aufgespannten Zeitdimensionen nehmen ihren Anfang am siebten Tag der Schöpfungserzählung, dem Tag der Gottheit. Der wird zum Kern des Sabbats, dem siebten Tag der jüdischen Wochenzählung und der wiederum zum Kern des Sabbatjahres. Ihm folgt das „Jobeljahr“, das die Christen unter dem Begriff „Halljahr“ kennen. Alle die Zeitabschnitte beschreiben die zunehmend befreiende Wirkung der Sieben. Der Sabbat, der siebte Wochentag befreit das Subjekt vom „Werken“ und dient der Schau auf das göttliche Gesamtwerk. Im siebten Jahr, dem Sabbatjahr sollen die Sklaven freigelassen werden (Ex 21,2; Dtn 15,12). Auch sollen im siebten Jahr die Äcker und Weinberge ruhen (Ex 23,10-12). Nach Ablauf von 7 x 7 Jahren) hallt das Sabbatjahr im sogenannten Jubeljahr siebenfach nach. Das später von Luther als Halljahr bezeichnete 50. Jahr (Lev 25,8ff) hat seinen ursprünglichen Namen, das „Jobeljahr“ vom Horn des Widders (hebr. jôbel). Durch dessen Blasen wurde ein neuer Anfang gesetzt. Schon das Sabbatjahr war ein Erlassjahr. Doch das Halljahr geht darüber hinaus und befreit auch noch das Zahlenelement Sieben durch ihr eigenes Wesen. In diesem Jahr tritt der vollständige Selbstbezug ein und alle im Lande Wohnenden werden freigelassen und jegliches Eigentum wird an den einstigen Besitzer zurückgegeben.

Das Jubeljahr hat als Erlassjahr seinen Eingang ins Christentum gefunden. Dort betrafen die vollständigen Erlässe zunächst jedes 50ste, später jedes 33ste und schließlich jedes 25ste Jahr. Die Symbolik der Sieben und der 50, hier des Sabbat- und des Halljahres berichtet vom Ende jeglicher, fremder Verfügungsgewalt. Die Befreiung führt das Subjekt auf sich selbst zurück und macht es zum Individuum im eigentlichen Sinn.

3. Der Sabbat als befreiende Mitte

Die Sieben ist Wirkung und Ruhe zugleich. Sie erschafft darin eine neue Mitte. Jene Botschaft finden wir in sehr konzentrierter Form bereits im Text vom siebten Tag in der Schöpfungserzählung. Dort erfahren wir, dass das Wesen der Sieben im „Aufhören“ und „Beenden“, sowie im Prinzip des „Vollendens“ und im „Heiligen“ besteht. Was dort grundgelegt wird, nimmt in der Tora in Form der 10 Gebote als neue inhaltliche Mitte Gestalt an. Das inhaltliche Zentrum des sogenannten Zehnworts (Dekalog) ist das vierte Gebot. Das vierte Gebot ist das Gebot der Manifestation. In ihm manifestiert sich der Kern der Religion, die Sieben. Der Tag des Sabbats gießt die Botschaft des siebten Tages der Genesis in eine greifbare Form. Was dort noch mit dem „Ruhen“ und dem „Aufhören“ der Gottheit, sowie dem „Heiligen“ beschrieben wird, das wird nun in greifbare Bilder und Verhaltensregeln gegossen. Um die aber wirklich auf rechte Weise verstehen zu können, ist es notwendig, sie inhaltlich auf den siebten Tag der Genesis rück zu beziehen. 

Den „siebten Tag zu heiligen“, d.h. „ganz zu machen“, wie es das vierte Gebot fordert, bedeutet nicht, am sogenannten Sabbat nichts zu tun – im Gegenteil. Der siebte Tag steht für das denkbar größte Tun im Sinne von Stellung zu beziehen. An ihm soll der Mensch das Ganze würdigen und darin dem notwendigen Schatten- und Spiegelanteil unserer Existenz sein Recht zukommen lassen. Nur die Schau auf ein so verstandenes Ganzes vermag das Bewusstsein zu befreien. Das im siebten Tag der Genesis verankerte „Aufhören“ („Ruhe“) darf nicht belasten, wie es beispielsweise das Handwerk, das stets einem Werkziel folgt, mehr oder weniger tut. Der Sabbat soll die Schau aus der Sicht des Ganzen möglich machen und somit den Menschen von aller Last befreien. Die Metaphorie der Schrift besagt, dass am Sabbat „keine Sachen aus dem Haus getragen“ werden dürfen, denn dann würde der Ganzheit des Hauses etwas fehlen!

So spricht der JHWH: Hütet euch bei eurem Leben, daß ihr am Tag des Sabbats keine Last tragt und durch die Tore Jerusalems hereinbringt! Und ihr sollt am Tag des Sabbats keine Last aus euren Häusern herausbringen und sollt keinerlei Arbeit tun! … (Jer 17,22f).

Die Sieben selbst ist es, die verlangt, dass die durch sie entstehenden Vorschriften metaphorisch und nicht dinglich zu verstehen sind. Das verrät schon der Begriff Schabbat (dt. Sabbat), der „Absonderung“ oder das „Andere“ bedeutet. Er meint nicht allein die mit dem 7. Tag entstehende und vom Rest der Woche abgesonderte „Insel in der Zeit“, sondern ordnet die in allem notwendige Absonderung der Einheit zu! Das Abgesonderte dient der Ganzheit. Das Judentum scheut die Absonderung nicht. Das Annehmen, Verstehen und Umsetzen von Unterscheidungen und Absonderungen ist geradezu sein Kernthema. Das stellt die Genesis von Anfang an klar: Die in sieben Tage gegliederte Schöpfungserzählung ist nichts anderes als eine Folge von Absonderungen, welche fruchtbringende Polaritäten erschaffen: Licht – Finsternis, Wasser oben – Wasser untern, Erde – Wasser, Erde – Pflanzen, Sonne – Mond, Meerestiere – Lufttiere (Vögel), Landtiere – Mensch, Mensch – Gottheit. Mit jedem Tag werden Grenzen (2) gezogen, aus denen Aufgaben und Funktionen (3) erwachsen. Alle so entstehenden Existenzen erhalten, wie am Ende sogar die Zeit selbst eine Bestimmung. Die hervorgebrachten Gegensätze (2) werden stets in das wachsende Ganze (1) eingebunden. Insgesamt ist die Genesis eine Schau auf die Archetypen und die berichtet endlich nur vom wahren Wesen des Zweiseins, das sodann im Archetyp der Vier das einst verborgene Ganze zur manifesten Erscheinung bringt. Die rechtverstandene und die die Polarität erlösende Vierzahl ist die Basis solchen Schauens auf Raum und Zeit.

Am 4. Tag wird mit dem „großen und dem kleinen Licht“, alias Sonne und Mond die Zeit geboren. Der vierte Tag ist der Tag der konkreten Physis, der Tag von Raum und die Zeit. Die Vier ist das Zentrum der hier noch linear erscheinenden sieben Tage (123-4-567). Inhaltlich ist der vierte Tag ausgerichtet zwischen der vorangehenden, prinzipiellen Dreizahl und den zukünftigen drei Bewusstseinsebenen Tier, Mensch und Gottheit.

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Die prinzipielle Triade die Triade des Bewusstseins

  Tier, Mensch und Gottheit

Mit dem Erscheinen der Substanz am vierten Tag ist auch das sich später aus der Physis erhebende Bewusstsein in seinem Kern bereits angelegt. Das verlangt das Gesetz der Polarität, das den Dingen der Natur (4) das Übernatürliche (5) gegenüberstellt. Das sodann herangereifte Bewusstsein, von dem die 10 Gebote später berichten, reflektiert das. Es erschaut im vierten Gebot, also im Wesen der Vier schon das Wesen der in ihr verborgenen Sieben. Das vierte Gebot ist nach der originalen hebräischen Zählung nicht zufällig das sogenannte Sabbat-Gebot. Es würdigt das „Andere“ und „Abgesonderte“ und erkennt es als hierarchischen Teil in der archetypischen Ordnung. Die in Ex 20:11 genannte, siebengliedrige Abfolge (1) Subjekt, (2) Sohn, (3) Tochter, (4) Knecht, (5) Magd, (6) Vieh und (7) Gast wird dabei nicht als eine absolute beschrieben, sondern innerhalb einer sie rahmenden Polarität erkannt. Das meint der Zusatz „innerhalb deiner Tore“ (s. II). Mit anderen Worten: Die Sieben erwächst aus den „Toren“ der Polarität.

Schon die nach dem Mondkalender geordnete Welt des alten Orients kannte den 7.Tag als einen herausgehobenen Tag. Dort ist er – da an den Mondkalender gebunden – zwar herausgehoben, aber zweiseitig, also auch negativ, beispielsweise als schlechtes Omen. Der Inhalt des biblischen Sabbats greift darüber hinweg und erfasst die nächst höhere Ebene, indem er das aus dem Mondhaften (2) Geborene und somit archetypische Unstete und Veränderliche gleich zweifach, d.h. aus zwei Perspektiven und damit ganzheitlich einbindet. Die Ganzheit des Sabbats erkennt man zum einen in seiner Zuordnung zum 4. Gebot. Zum anderen verbindet das Gebot den Anfang, das erste Gebot mit dem Ende, dem 10. Gebot. Der Bezug zum 1. Gebot ist der der Befreiung. Wie JHWH einst die Israeliten aus ihrer Gefangenschaft befreit hat (1. Gebot), so befreit sie nun das Bedenken und das Einhalten des Sabbats.

Während das 4. Gebot die Befreiung noch auf die substantielle Ebene bezieht, wird im weiteren und gemäß der Tetraktys  (1+2+3+4 = 10) die Befreiung auf das gereifte Bewusstsein der Subjekte übertragen. Die dem Sabbatgebot folgenden Gebote sind Bewusstseinsgebote und beschreiben eine nächsthöhere Dimension. Sie gipfeln im 10. Gebot, dem Begehrensverbot. Die Vierzahl manifestiert sich in der Zehnzahl auf der Ebene des Bewusstseins – analog der JHWH-Formel (10 = 5+5). Die Verbindung von Sabbatgebot und Begehrensverbot wird durch die gemeinsam verwendeten Begriffe „Knecht, Magd, Vieh, Gast, Haus, Weib, Ochs und Esel oder Genosse“ deutlich.

Bei genauem Hinschauen eröffnet schon das Sabbat-Gebot einen mehrdimensionalen Blick, indem es sich sowohl auf das erste als auch auf das zehnte Gebot bezieht. Die Vier, die Mitte verbindet scheinbar unüberbrückbare Gegensätze. Das äußert sich beispielsweise in der Eigenart, dass der Sabbat gleichermaßen ein Ruhe- und ein Feiertag ist. Ruhe und Feiern sind aus profaner Sicht Gegensätze. Ihre Verbindung bedarf einer Erklärung, insbesondere weil beide Begriffe noch nicht Gegenstand des siebten Tages der Genesis sind und deren Verbindung erst im Dekalog vorkommt.

Warum ist das so und in welchem Zusammenhang steht das „aufhören“ (šābat) mit den Begriffen von „Ruhe“ und „Feier“? Die gleichsam auf der Hand liegende Antwort, „erst wenn ich Ruhe habe, kann ich die Ganzheit sehen“, bleibt unbefriedigend, denn sie beantwortet noch nicht die Frage, WARUM ich überhaupt die Ganzheit sehen kann, die mich zur (inneren) Ruhe bringt und Feierlaune auslöst? Die Antwort findet sich im Begriff „aufhören“ (šābat / 300-2-400), der in der Genesis „am Tag, dem siebten (5-300-2-10-70-10) genannt wird. Die Verbindung von „sieben“ und „aufhören“ erklärt sich mit der Definition von Freiheit, die der siebte Archetyp ins Bild setzt. Die Feierlaune ist die Laune des Befreiten. Das mit der Sieben hervortretende „Aufhören“ befreit von der alten Vorstellung von Religion und Gottheit und erzeugt die Feierlaune, die eine Ganzheitslaune ist. Erst durch eine derart umfängliche Befreiung entkommt das Individuum der scheinbaren Willkür der Sieben.

Fasst man die Botschaft der 7 Tage der Genesis und die 10 Gebote zusammen, so handelt es sich um den Wechsel des Blicks auf den Archetyp der Zwei und folgerichtig auf den rechten Umgang mit dem Andersartigen und Abgesonderten. Wie schon die Genesis auf Trennung basiert, so basiert auch das zentrale vierte Gebot auf der Zweizahl.

Noch heute wird im jüdischen Ritual der Sabbat am Freitagabend mit dem Hervorheben des fruchtbaren Zweiten , eingeleitet. Das Andere und Abgesonderte eröffnet die ganzheitliche Feier. Die „Frau über das Haus“ (Hausfrau, …nicht unbedingt Ehefrau!) leitet ihn ein. Indem sie zwei Kerzen anzündet und das Gebet über den Tag und über den Wein spricht. Diese Lobsprüche nennen sich „Heiligung“, jüdisch „Kiddusch“ und entstammen dem Wort „kadosch“, was ursprünglich „Abgesondertsein“ bedeutet. Gleichzeitig ist es eine „Heiligung“ (heil-und ganz machen) und bezieht sich auf Gen 2,3:

Und-es-segnete  Gott **-d.-Tag, den-siebten. Und-er-heiligte ihn ….“

[heiligen / wajekadesch bedeutet zugleich auch „einzig machen“]

Das Unterscheiden ist zugleich ein Herausheben und damit „einzig machen“. Das Einzigsein hat zwei Seiten. Zum einen das eigene Herausgehobensein aufgrund des Bezuges auf JHVH und der Befreiung aus Ägypten und zum anderen das Herausgehobensein des Anderen zu uns, den Fremden, die uns unterstellt sind sowie Ochs und Esel als Geringste in der Kette.

Der Sabbat basiert auf der Anerkennung der Zwei, dem Abgetrennten und Gesonderten und dem richtigen Umgang mit ihr. Er setzt Grenzen (s. Septum). Diese Grenzen machen das Leben möglich und bestimmen unser eigenes Dasein. Zugleich sind auch sie der Einheit und Ganzheit unterstellt und werden von ihr geschützt.

4. Sieben und das jüdische Neujahrsfest „Rosch Haschana“

Nach dem Buch Exodus, dem 2. Buch Mose ist der erste Monat des jüdischen Kalenders der Frühlingsmonat Nissan. An ihm zogen die Israeliten aus Ägypten aus (Ex 12,2) und legten damit den Grundstein für ihre neue, religiöse Existenz. Aber nur die Samaritaner feiern mit Beginn des ersten Monats auch den Beginn eines neuen Jahres. Bei den anderen, die Mehrzahl bildenden Juden entsteht eine Diskrepanz zwischen der Monatszählung und dem Jahresbeginn. Sie feiern das jüdische Neujahr erst am ersten Tag des siebten Monats, dem Monat Tischri. An ihm beginnt auch die jeweils nächsthöhere Jahreszahl. Der Grund ist nach allem Gesagten einfach: Ein wirklicher Neubeginn ist erst möglich, wenn das Bewusstsein auch die denkbar höchste Polarität, die Polarität von Diesseitigem und Jenseitigem und somit das Wesen der Sieben reflektiert. Jener Neujahrstag fällt in den Herbst und trägt den zweiteiligen Namen „Rosch Haschana“. Er fällt 163 Tage nach Pesach und kann nur auf einen Montag, Dienstag, Donnerstag oder Samstag fallen. 

Das Auseinanderfallen von Monatszählung und Jahresbeginn ist weder willkürlich noch zufällig. Es wurde bewusst gewählt. Es krönt die Sieben, denn die Sieben befreit ihrem eigenen Wesen nach von aller einengenden Willkür und dazu zählt endlich auch die rein numerische Betrachtung der Zahlen selbst!

Mit der Feier zu Rosch Haschana beginnen die sogenannten „10 ehrfurchtsvollen Tage“, welche Tage der „Rückkehr“ und der Bilanz sind. Sie enden am 10. Tag mit „Jom Kippur“, dem Versöhnungstag zwischen Gott und den Menschen. Dieser höchste jüdische Feiertag ist ein Tag des höheren Bewusstseins. Er wird nicht gefeiert und ist der strengste Fastentag. Die Versöhnung der Gottheit mit den Menschen stellt den denkbar höchsten Anspruch an das erwachende Bewusstsein. Die Zehnzahl nimmt dabei eine besondere Position ein, weil mit ihr ein Bewusstsein sich mit seinem Gegenbewusstsein zu einem noch größeren Bewusstsein vereint. Der Dekalog (Zehn Gebote) und die Signatur des Gottesnamens JHWH (10 = 5+5) berichten von dieser geheimen Formel, die sich nur mit der Einsicht in das Wesen der Siebenzahl verstehen lässt. Der Versöhnungstag basiert auf dem Neujahrstag und dieser bezieht sich auf die vom Menschen empfundene Diskrepanz, welche die Siebenzahl mit sich bringt.

Der Name des Neujahrsfestes Rosch Haschana (hnCh Car) besteht aus den Worten „Kopf“ (Rosch) und „Jahr“ (Haschana). Er ist ein Gleichnis für den Neubeginn und der mit ihm einhergehenden Richtungsvorgabe. Wie der Kopf die Bewegung des Körpers steuert, so steuert dieser erste Tag das beginnende, neue Jahr. Nach der rabbinischen Literatur des Talmuds ist dieser Tag ein „Tag des Gerichtes“. An ihm schaut Gott auf seine Schöpfung zurück und entscheidet für das kommende Jahr. In der Zahlensymbolik ist der über allem stehende Kopf des Diesseits die Zahl Sieben. Dementsprechend fällt das Neujahrsfest auf den ersten Tag des siebten Monats im geltenden jüdischen Mondkalender.

In dem kalendarisch festgehaltenen Zusammenhang der Handlungen der der Siebenzahl zugeordneten Gottheit und denen der Menschen entreißt der Willkür und dem Zufall den Boden und stellt den Menschen in seine volle Verantwortung. Danach täuscht der Eindruck von Willkür, denn er entspringt der Begrenzung unseres Wissens. In Wirklichkeit transportiert der Begriff Willkür einen ganzheitlichen Zusammenhang, der deutlich wird, wenn wir ihn auf seine eigentliche Wortbedeutung zurückführen und die berichtet von einem „gekürten Willen“, also den höchsten, göttlichen Willen. Wenn die jüdischen Rituale am Neujahrstag ausdrücklich auf das symbolisch erste Menschenpaar Adam und Eva verweisen, dann verweisen sie auch auf den gekürten, göttlichen Willen, der ihnen im Wesen der Schlange begegnete.

Fußnoten

¹ 

Abb. Die Flussform der Zahlen: In der Sieben erscheint die über das konkrete Dasein (I – II) hinausgehende Triade. Sie manifestiert sichtbar deren drei Qualitäten, denn die Sieben

((3)) ist ein (Zurück)Wirkendes und hat eine steuernde und lenkende Funktion (3).

Von der Sieben geht Weisung aus. (s.a. Samen / Handlung)

((2)) manifestiert die vierte Polarität und damit ein Anderes (2) und Abgegrenztes, welches in Form eines
Spiegels das Diesseits (be)greifbar macht. Die Grenze erhält als „Septum“, den ihr scheinbar verlorengegangenen Wert zurück.

((1)) lässt die Einheit von Bild und Spiegelbild und somit die Ganzheit und Vollkommenheit erkennen.
Die Sieben symbolisiert im unaufhörlichen Fluss der Dinge („pante rhea“) die „Ruhe“ des Göttlichen.

² „Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst, so soll er dir sechs Jahre dienen; im siebenten Jahr aber soll er freigelassen werden ohne Lösegeld.“ (Ex 21,2)

³ (Ex 23,10-12) „Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seine Früchte einsammeln. Aber im siebenten Jahr sollst du es ruhen und liegen lassen, daß die Armen unter deinem Volk davon essen; und was übrigbleibt, mag das Wild auf dem Felde fressen. Ebenso sollst du es halten mit deinem Weinberg und deinen Ölbäumen. Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber am siebenten Tage sollst du feiern, auf daß dein Rind und Esel ruhen und deiner Sklavin Sohn und der Fremdling sich erquicken.

⁴ (Lev 25,8ff) „Und du sollst dir sieben Sabbatjahre abzählen, nämlich siebenmal sieben Jahre, so daß dir die Zeit der sieben Sabbatjahre 49 Jahre beträgt. Da sollst du Hörnerschall ertönen lassen im siebten Monat, am Zehnten des siebten Monats; am Tag der Versöhnung sollt ihr ein Schopharhorn durch euer ganzes Land erschallen lassen. Und ihr sollt das 50. Jahr heiligen und sollt im Land eine Freilassung ausrufen für alle, die darin wohnen. Es ist das Halljahr, in dem jeder bei euch wieder zu seinem Eigentum kommen und zu seiner Familie zurückkehren soll.  Denn das 50. Jahr soll ein Halljahr für euch sein. Ihr sollt nicht säen, auch seinen Nachwuchs nicht ernten, auch seine unbeschnittenen Weinstöcke nicht lesen. Denn ein Halljahr ist es; es soll euch heilig sein; vom Feld weg dürft ihr essen, was es trägt.

⁵ Das Sabbat-Gebot ist nach jüdischer Zählweise das vierte der Zehn Gebote

Textversion lt. 2. Buch Mose 20,8-11 Textversion lt. 5. Buch Mose 5,12-15

Gedenke den Tag des Sabbat, um ihn zu heiligen.

Sechs Tage dienst du und erledigst all deinen Auftrag.

Aber der siebte Tag ist der Sabbat für JHVH, deinen Gott.

Nicht verrichtest du jedwede Arbeit,

    (1) du,  und (2) dein Sohn   und (3) deine Tochter 

(4) dein Knecht  und (5) deine Magd

und (6) dein Vieh,  und dein (7) Gast,

der, innerhalb-deiner-Tore (II),

denn sechs Tage machte JHVH die Himmel und die Erde, das Meer und allem was darinnen. Und er ruhte am siebten Tag. Außerdem segnete JHVH den Sabbattag und er heiligte ihn.

(Be)wahre den Tag des Sabbat, um ihn zu heiligen,

so wie dich angewiesen  JHVH dein Gott.

Sechs Tage dienst du und erledigst all deinen Auftrag.

Aber der siebte Tag ist der Sabbat für JHVH, deinen Gott.

Nicht verrichtest du jedwede Arbeit,

    (1) du,  und (2) dein Sohn   und (3) deine Tochter

und dein (4) Knecht  und (5) deine Magd 

und (6) dein Ochs und (7) dein Esel (8) und all dein Vieh und (9) dein Gast,

der innerhalb-deiner-Tore (II),

damit sich ausruhen kann dein Knecht und deine Magd, dir gleich! Und du gedenkest, dass du Knecht gewesen im Lande Ägypten und dass dich herausgeführt JHVH dein Gott von dort mit starker Hand und mit gerecktem Arm. Deswegen wies an dich JHVH dein Gott zu begehen den Tag der Feier.

⁶ Das zweite (Exodus) und fünfte Buch (Deuteronomium) der Tora bezeichnen den Monat als „Aviv“, den „Frühlingsmonat“.

⁷ Die jüdische Woche beginnt nicht wie im Christentum mit dem Montag, sondern mit dem Sonntag. Der 7. Tag ist der Sabbat. Danach kann der Neujahrstag nur auf den 2. (Mo) 3. (Die), 5. (Do) und 7. Tag (Sa), nicht aber auf den Sonntag (1.), Mittwoch (4.) oder Samstag (7.) fallen.

⁸ Das Fest Rosch Haschana bezeugt die jüdische Bibel in Lev 23:24f, Num 29:1ff und Ez 40:1.

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