«Der Fischer und seine Frau», ein Märchen der Gebrüder Grimm
«Der Fischer und seine Frau», ein Märchen der Gebrüder Grimm von Michael Stelzner Dieses Märchen der Gebrüder Grimm wurde einst in der originalen, plattdeutschen Sprache
Die Kalenderordnung – gesehen unter zahlensymbolischen Aspekten
von Michael Stelzner
Vor der Beschreibung der vier Kriterien, die zum bekannten Julianischen Kalender führten, möchte ich die Jahreseinteilung der Germanen erwähnen, denn ihrer Tradition entstammt die Bezeichnung der sogenannten Raunächte, die Nächte „zwischen den Jahren“.
Die Germanen teilten das reale und etwas Irrationales enthaltene Jahr von 365 Tagen nach dem Mondrhythmus. Das Sonnenjahr umfasst 12 Mondzyklen. Die übrigen 11 bzw. 12 Tage blieben für den rational erfassenden, menschlichen Geist im Dunkeln. Man bezeichnete sie als „Raunächte“. Da man aber trotz aller Abweichungen und Irrationalitäten einer ewig bestehenden Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit gewiss war und diese im höchsten Licht, in der Sonne sah, postulierte man bewusst – und damit in gewissem Maße gegen die eigene Vernunft -, dass an diesen Tagen „dazwischen“ die Sonne stillstand. In diesem paradoxen Akt wurde der Verstand in das ewige Ganze, das sowohl Rationales und als auch Irrationales umfasst, eingebunden. Der Blick zurück lässt manchen vielleicht diese Leistung als primitiv erscheinen. In Wirklichkeit aber verbirgt sich in ihr der Versuch, das auszudrücken, was wir in den Worten Sokrates hören und gern akzeptieren: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Es ist der „übermächtige Rest“ des Nichtwissens, dem wir Menschen immer ausgesetzt sind und den wir als Ordnung begreifen wollen, weil wir wissen, dass die Ordnung uns hervorgebracht hat. Wir suchen die Ordnung auf verändernde Weise im Jahreslauf zu erfassen. Sie aber bringt immer wieder, wie alle Kalenderordnungen zeigen, einen „Rest“ mit sich.
Der Julianische Kalender wurde 46 v. Chr. von Julius Cäsar festgelegt. Er richtete sich nicht nach dem „kleinen Licht“, dem Mond, sondern nach dem großen, der Sonne (1). Das Sonnenjahr hat ca. 365 ¼ Tage¹. Weil das Kleine (2, Mond) und das Große (1, Sonne) eine hierarchische Ordnung abbilden mussten, so wie es der Mondrhythmus im Groben auch vorgibt, wurde das Sonnenjahr in 12 Monate unterteilt.
Das die Menschen täglich, also unmittelbar betreffende Kriterium der Ordnung war die Siebenzahl – die Verbindung des Jenseits und Irrationalem mit dem Irdischen und Rationalem. Diese aus dem Jüdischen kommende und einsichtige Verbindung verlangte die Sieben-Tage-Woche.
Die so vorgestellte Ordnung von Woche, Monat und Jahr war, gemessen an der Wirklichkeit, nicht vollständig. Es gab eine über alle sorgfältig ausgewählten Kriterien hinausgehende und weiter bestehende Differenz. Sie nun konnte nur noch durch die Vierzahl, das Sinnbild des Logos ausgeglichen werden, denn sie liefert das letzte und höchste Kriterium für das Zusammenwirken von Einheit und Vielheit. Das führte endlich zum Schaltjahr alle vier Jahre.
Das Julianische Jahr wies trotz Schaltjahr noch eine kleine Differenz zur Wirklichkeit auf. Es war 11 Minuten zu lang, was nach 130 Jahren zu einem überzähligen Tag führt. Im 16. Jahrhundert entstand zwischen der errechneten Tag- und Nachtgleiche und der tatsächlichen eine Kluft von 11 Tagen. Daraufhin ließ Papst Gregor XIII. zur Korrektur der Abweichungen den heute noch gültigen „Gregorianischen Kalender“ verkünden. Auf den damaligen 4. Oktober 1582 folgte gleich der 15. Zugleich sieht der Kalender für die Zukunft vor, dass alle 100 Jahre ein Schaltjahr entfällt, aber alle 400 Jahre wiederum diese Ausnahme entfällt (z.B. im Jahr 2000).
Die letzte Frage war die nach dem Jahresbeginn. Sie war insofern sehr subjektiv, weil man sich der Ganzheit des Zyklus im Sinne eines Kreises bewusst war. An welcher Stelle man den Kreis „aufschneidet“, ihn „entrollt“ und der linearen Betrachtung zuführt, ist sichtbar eine Frage des subjektiven Blicks. Die Linearität ist eine notwendige, aber stets unvollkommene Sichtweise. Der Jahresbeginn wurde deshalb auch sehr unterschiedlich gehandhabt. Seine endgültige Festlegung auf den 1. Januar erfolgte erst 1691 durch Papst Innozenz XII.
Man wünscht sich im Untergang des Alten einen guten Anfang im Neuen. Das hebräische Wort für Anfang ist „Rosch“, was auch die Bedeutung von „Haupt des Stieres“ hat.² Ein Stierhaupt erfasst mit seinem Haupt die Polarität der zwei Hörner als ein zusammenfassendes Ganzes. Es ist ein Symbol für die alles durchdringende, triadische Ordnungsstruktur der Welt. Dieses „Rosch“ wünschen wir uns heute noch zu Sylvester in der Form „des guten Rutsches“ ins Neue. Das Ende des Alten ändert für den sterblichen Menschen unter dem Aspekt des „Rosch“ auch die Bedeutung des Todes. Das sollte die Namensgebung für den letzten Tag auch aussagen. Man benannte ihn nach Papst Silvester I., dem Bischof von Rom, der am 31. Dezember 335 verstarb und später heilig gesprochen wurde.³
Ergänzend zur alternativen Deutung des Wunsches „Guten Rutsch“ als „Gute Reise“ soll erwähnt werden, dass diese moderne Deutung der tiefgründigen Herkunft des Wunsches nicht widerspricht, ihn vielmehr in einem einfachen Verständnis bekräftigt. Das hat wesentlich zur Verbreitung des Brauchs beigetragen.
Auch wenn der Jahresbeginn örtlich unterschiedlich gehandhabt wurde und erst im Jahre 1691 durch Papst Innozenz XII. auf den 1. Januar endgültig festgeschrieben wurde, so wurde er in Rom bereits erstmals zum Jahreswechsel 154 zu 153 v. Chr. auf den 1. Januar verlegt. Der Legende nach gab es dafür widersprüchliche, politisch spekulative Gründe. Tatsächlich erfolgte der Wechsel im Jahr 600 nach römischer Zeitrechnung. Mit dem Jahreswechsel wäre man ins siebte Jahrhundert und somit in eine symbolisch andere Dimension eingetreten. Schaut man auf den Wechsel des Jahresbeginns im Hinblick auf die mit ihm verbundenen und symbolträchtigen Monatsverschiebungen, vervollständigt sich das Bild.
Der erste Monat im römischen Kalender war ursprünglich der März. Es ist der Monat des Frühlingsanfangs und der Tagundnachtgleiche. Beginn und Ausgleich waren für die allseits erkannte und bestehende, hierarchische Ordnung wichtige symbolische Leitbilder. Der März war nicht nur dem Kriegsgott Martinus gewidmet. An ihm versammelte man sich auch auf dem Marsfeld in Rom, um in dessen Öffentlichkeit den Dienstpflichtigen ihre Konsuln wählen zu lassen. Die Verlegung des Jahresbeginns auf den 1. Januar war mehr als nur ein unbedeutender, formeller Akt. Er veränderte die Positionen aller Monate im Jahresverlauf um zwei Stellen nach hinten und entwarf darin einen neuen Fokus auf die Symbole des Anfangs. Der ursprünglich Erste (März) wurde zum Dritten und die ursprünglich letzten Monate, Januar (11.) und Februar (12.) wurden zum Ersten und Zweiten. Die (zwei) Letzten wurden die Ersten.
Uns fällt heute nur auf, dass die Monate, welche in ihren Namen Zahlen enthalten, nicht mehr mit ihrer einstigen, linearen Verortung übereinstimmen. September (septimus, Siebter) bis Dezember („dezimus“, Zehnter) sind nicht mehr, wie es ihre Namen sagen, der siebte bis zehnte Monat, sondern der neunte bis zwölfte. Der entstandene Bruch und vor allem seine heute eigenartig erscheinende, andauernde Akzeptanz sagt etwas über den Wert der neu entstandenen Beziehungen in der Zählordnung. Zahlensymbolisch zu denken, war in jener Zeit üblich bis selbstverständlich. Bis zur Neuordnung erschien der Anfang undurchsichtig und numinos. Der mit der neuen Zählordnung fiel ein neues Licht auf ihn. Der Anfang ging nun mit Kriterien einher, die ihn zu durchdringen halfen. Als der Erste zum Dritten wurde, dachte man in einer neuen Dimension. Der Beginn war nun ein von der Dimension der Drei-Einheit geprägter. Deutlich wird das am Monat Januar, dem einst elften Monat, dessen zwei Einsen zwei unterschiedliche Dimensionen miteinander verbinden. Die eine Eins vertritt die Einer, die andere die Zehner. Der an die erste Stelle getretene elfte Monat erzählt von seiner Herkunft aus einer höheren Dimension. Aus ihr schöpft er seine „tonangebende“ Qualität, die sein Name verrät. Dessen Wortstamm ist „anarius“ und bedeutet „Tür“. Die Tür hat zwei Seiten, den Eingang und den Ausgang, wie auch sein öffentlicher Namensgeber, der Gott Janus zwei Blickrichtungen hat, eine nach vorn und eine nach hinten.
Wie der erste berichtet jeder ihm folgende Monat auf seine Weise von dem neuen Blick, der die an sich beschränkten Linearitäten überschaut. So berichtet beispielsweise der Februar von der Verknüpfung des Zwölften und Letzten, der er einst war, mit dem nun Zweiten, der er jetzt ist. Die Zahl 12 ist die Zahl der Ordnung. Sie setzt die Spannung zwischen Einheit (1) und Polarität (2) in ein hierarchisch rechtes Verhältnis und stellt das in Form eines Ganzen dar. Sie verfertigt (fabricare?, herstellen) Ordnung und reinigt (februare = reinigen) die Vorstellung vom Zweiten als ein nur Unvollkommenes im Sinne des Zerbrochenen und Minderwertigen. Mit seiner hohen Herkunft aus der Zahl 12 erhält das nun Zweite seine ihm zustehende Würde zurück. Der öffentliche Namensgeber ist der römische Gott „Februus“, der seinen reinigenden Dienst in Ausrichtung auf die Einheit und Ganzheit ausübt.
Der Gott Februus gerät wegen seines besonderen Verhältnisses zur Zweiheit leicht ins Zwielicht und wird leicht missverstanden. Nur eine genaue Kenntnis seiner Beziehung zum Archetyp der Zwei wird ihm gerecht. Deutlich wird das an seinen Beinamen. Der römische Februaris wurde als letzter und zwölfter Monat des Jahres auch als „Unterweltsmonat“ bezeichnet und so leicht zum Auslöser von Angst. Sie führt zu falschen, weil verkürzten Assoziationen. Die Zahl Zwölf ist vielmehr die Zahl der Ordnung und Ganzheit und sie wirkt als solche auch im zwölften Monat. Ihr wahrer Kontext wird deshalb erst deutlich, wenn man die geordnete Ganzheit als eine begreift, die ALLES einschließt, so auch die vermeintliche Unterwelt. Dass sie ein integrierter Bestandteil der geordneten Ganzheit ist, erfasst das triviale Bewusstsein meist nur in der Vorstellung einer Vollkommenheit, welche durch Ergänzung durch Sühne zustande kommt. Das aber wird dem hohen Anspruch des „Unterweltmonats“ nicht gerecht.
| alte Zählung römisch | neue Zählung julianische | Die Namen der Monate und ihre Symbolik |
März Martius | 1.® | 3. | Der röm. Gott „Martius“ entfaltet Kraft u. die Energie. Am Anfang (1) steht das tätige Handeln (3). |
April Aprilis | 2. ® | 4. | lat. „aperire“ bedeutet „öffnen“. Eröffnet wird endlich immer die Einheit und Ganzheit (1). Das Andere (2) öffnet das Eigentliche (1). Substanz (4) eröffnet / offenbart Einheit (1). Der Winter eröffnet den Frühling. |
Mai Maius | 3. ® | 5. | Die 3 wie auch die 5 berichten von der fruchtbringenden Erhebung, wie sie im Dreieck (3) oder im Pyramidensymbol (5) sichtbar wird. ⁴ |
Juni Iunius | 4. ® | 6. | Die röm. Göttin „Iuno“/ „Uni“ beschützt die Ehe. Die Königin der Göttinnen erstellt stets Einheit. |
Juli Ilius, vorm. Quintilis | 5. ® | 7. | Das Subjekt (5), das „dem Jupiter geweiht“ ist und somit der Fülle du Wachstum. Es soll Julius Cäsar ehren. |
August vorm. Sextilis | 6. ® | 8. | Einst „sextilis“, der „Sechste“, nun dem Kaiser Augustus zugeordnet. |
September | 7. ® | 9. | „septimus“ ist der Siebte |
Oktober | 8. ® | 10. | „octavus“ ist der Achte. |
November | 9. ® | 11. | „nonus“ ist der Neunte. Im Dunkelwerden ist schon der Kern des unerwartet Neuen enthalten (s.a. hebr. „Uterus“). |
Dezember | 10. ® | 12 | „dezimus“ ist der Zehnte. Die neue Ordnung (12) wird vom einmal erkannten Gesetz (10) getragen. |
Januar Ianuarius | 11. ® | 1. | Janus der doppelköpfige Gott, der in zwei Richtungen, nach vorn und nach hinten auf die Einheit (1) blickt. |
Februar Februarius | 12. ® | 2. | Der röm. Gott „Februus“ (februare = reinigen) bereinigt die Vorstellung vom Zweiten als ein nur Unvollkommenes. |
Die Kalenderreform von Julius Cäsar im Jahre 45 v.Chr. führte auch zu der Aufteilung der 365 Tage auf die einzelnen Monate. Da eine unmittelbar einsichtige oder gar symmetrische Aufteilung auf 12 Monate nicht möglich war, musste man die Ordnung durch „Fehlen“ einerseits und „Überschuss“ andererseits bewerkstelligen. Dass dem Monat Februar nur „übergebührlich“ die Tage in Abzug gebracht werden, weil er einst der letzte Monat war, kann nicht nur nicht belegt werden. Wahrscheinlicher ist die Annahme, dass darin dem stets empfundenen (Ver)Fehlen des jeweils Zweiten symbolisch Ausdruck verliehen werden sollte.
Eine Analogie findet sich in der Symbolik der jüdischen Genesis. Auch dort fehlt dem zweiten Tag der Schöpfung die so wichtige Huldigungsformel („…und siehe, es war gut“) durch die Gottheit, um den Mangel durch die Schöpfung des menschlichen Bewusstseins am 6. Tag mit einer gesteigerten Huldigungsformel („…und siehe, es war sehr gut“) wettzumachen. Der durch Cäsar eingeführte Kalender, der dem Juli und dem August (vormals Sextilis) 31 Tage zuweist, macht Ähnliches. Die oft zu lesende Behauptung, der Monat August wäre bei der Einführung des Julianischen Kalenders nur 30 Tage lang gewesen und er hätte zu Ehren Cäsars einen zusätzlichen Tag erhalten, ist eine nachgewiesene Legende. Im altrömischen Kalender hatte der Sextilis 29 Tage. Im Julianischen Kalender zählte er von Anfang an 31 Tage.
Der Vorgang des Erhebens eines scheinbar (Ver)Fehlenden, wie ihn religiöse Mythen beschreiben, findet in Cäsars Kalenderreform eine Parallele. Was Gottheiten taten, das mussten auch die ihn vertretenden Gottmenschen, die Cäsaren tun. Mit dem Tod Julius im Jahr 44 v.Chr. erhielt der Monat „quintilis“ den Namen „iulius“.
Der Senat von Rom verlieh 27 v. Chr. seinem damaligen Kaiser (Geburtsname Gaius Octavius) den Ehrennamen „der Erhabene“ (Augustus). Aber erst 8 v. Chr. wurde dann auch der achte Monat des schon seit 153/54 v.Chr. geltenden Julianischen Kalenders so benannt. Bis dahin trug der Monat, der bis zur Neufestlegung des Jahresanfangs auf den 1. Januar zum Jahreswechsel 153/54 v. Chr. noch der sechste Monat des altrömischen Kalenders war, den Namen Sextilis. Octavius hatte in diesem Monat sein erstes Konsulat angetreten. Ihm zum Ruhm wurde der einst sechste Monat „sextilis“ zum „augustus“.
Bei der Exegese der Brüder-Erzählung und ihrer Tragik können die Namen ENOSCH und HENOCH nicht unbeleuchtet bleiben, obwohl ich deren Bedeutung und die ihrer Namen bereits an anderer Stelle beschrieben habe. Hier fasse ich mich deshalb kurz.
Die Etymologen sind sich über die Herkunft des Namens HENOCH uneins. Aus unterschiedlichen Wortwurzeln herleitend übersetzen sie den Namen u.a. mit «Gefolgsmann» oder «Knecht». Einige finden in ihm die Wurzel «HNK» (8-50-6-20), die für «klug» oder «gelehrt» steht und HENOCH deshalb mit «Eingeweihter» übersetzen.
Das Lesen der Texte in Kenntnis der Archetypen beendet die Unsicherheit in der Etymologie und gibt den Namen ein Fundament, das es möglich macht, sogar die sogenannte henochische Weisheit zu verstehen. Auf den Punkt gebracht handelt es sich um die Fähigkeit, den rechten Blick auf das wahre Wesen der Zwei zu entfalten und die sich unmittelbar daraus ergebenden, praktischen Konsequenzen zu ziehen.
Die Henochische Schau der Dinge erhebt das Bewusstsein. Die neue Schau auf die Zwei und das Zweimachen erhellt das Verhältnis des Geteilten (2) zum Ganzen (1). Das ist die Kernbotschaft, die zur 2ten Toledot führt und die mit der eigenartig wirkendenden zweiten Schöpfungserzählung beginnt (Gen 5,1). Die Erzählung ersetzt die Beziehung ADAM—KAIN/ABEL durch die Beziehung ADAM—SET. In der «neuen Zwei» ist SET ein «zweiter Zweiter». Der nun recht verstandene «Andere» (2) manifestiert (2+2= 4 = 22) und erschafft ein neues Fundament (4). SET umfasst die ursprüngliche Spannung der Brüder KAIN und ABEL in Form eines nun ganzheitlichen Subjekts (5). Das vergisst und verdrängt nichts, sondern hebt das zuvor Erzählte auf eine neue Bewusstseinsstufe, auf der das einst Schreckliche neu interpretiert und als ein notwendiger Teil des Ganzen erkannt wird. Das führt zu einer neuen Fruchtbarkeit, einer neuen Zählung und zu neuen Erzählungen.
Mit dem veränderten Blick auf die Zwei verändert und erweitert sich auch der Blick auf die Drei und die dritte Generation. In der ersten Geschlechterfolge wird die einmal von HENOCH (8-50-6-20) und das andere Mal von ENOSCH (1-50-6-300) angeführt (s. Abb. 1). Der zweifache Blick entspricht dem Archetyp der Drei, der stets einen Zwillingscharakter besitzt.
Abb. 1 Die Nachkommenschaft (Toledot) des ADAM über KAIN (links) versus SET (rechts)
Obwohl man bereits in der ersten Geschlechterfolge ENOSCH (1-50-6-300) als einen archetypisch Dritten ausmachen kann, tritt er in der zweiten Geschlechterfolge als ein solcher offensichtlich hervor. Dem musterhaft Dritten kommt hier die konkrete Verwirklichung der entstandenen Funktion zu. Mit ENOSCH tritt die der Schrift zugrundeliegende «entscheidenden Funktion» hervor, nämlich die Anrufung der Ganzheit in Form der Gottheit JHWH. Konsequent beginnt mit ENOSCH eine neue Zählung. Er wird zu einem neuen Ersten. In der vorangehenden, ersten Generationenfolge verkörperte ENOSCH nicht nur die 3. Generation (ADAM, SET, ENOSCH). Man übersieht leicht, dass er zugleich auch zu einem Fünften wurde (ADAM, KAIN, ABEL, SET, ENOSCH). Wenn er nun in der 2. Generationenfolge nicht nur die dritte Generation einnimmt, sondern zu einem neuen Anfang und so zu einem neuen Ersten wird, dann scheint darin die Formel 1—5 auf, welche die Schau des Subjekts (5) auf die Gottheit (1) ins Bild setzt, wie das die «Flussform der Zahlen» illustriert.
Die zweite Geschlechterfolge eröffnet erwartungsgemäß einen neuen Zwiespalt. Die so neu entstehende Schau der Ordnung macht auf die Einheit der Subjekte (5) vor allem über die neue Position von HENOCH aufmerksam. Ist er in der ersten Geschlechterfolge noch der unmittelbar Dritte (ADAM, KAIN, HENOCH), so wird er in der neuen Zählweise durch die Korrektur und den Ersatz des Zweiten zum fünften Nachfolgegeschlecht des SET (ENOSCH, KENAN, MAHALEL, JERED, HENOCH). Die Drei wird zur Fünf. Die Geometrien der beiden Formen erzählen vom Prinzip des Erhebens. Ihre Gegenüberstellung wiederum erzählt, wie sich die höhere Dimension ihrerseits aus der niederen erhebt und ein neues Dasein manifestiert.
Abb. 2 Die Drei erhebt sich auf archetypische Weise über die Ebene der Polarität (1—2).
Die Fünf bildet das Wesen des Erhebens in der höheren Raumdimension ab.
Das Subjekt HENOCH beschreibt das Erheben über zwei Dimensionen alias Geschlechterfolgen hinweg. Die so neu entstehende Polarität lässt nach den Gesetzen der Archetypen auf ein verbindendes Drittes schließen. Die aus der Fläche (Dreiecke) und dem Raum (Pyramide) hervorgehende Dimension ist von höherer, göttlicher Natur und mit den herkömmlichen Maßstäben nicht mehr zu (be)greifen. HENOCH steht aber auch für sie. Um ihr näherzukommen muss man einen noch genaueren Blick auf HENOCH und die zweite Geschlechterfolge werfen.
Zählt man nicht die Nachkommen des SET, sondern beginnt die Zählung mit SET selbst als einen Ersten, dann wird HENOCH zum Repräsentanten des Archetyps Sechs. Tatsächlich beschreibt HENOCH auch und sogar vor allem die Zahl Sechs, die sich durch das «wie innen, so auch außen» auszeichnet. Wie bei einem Sechseck Radius und Seite gleich sind, so baut der nun aktiv Erkenntnis gewinnende KAIN eine Stadt, die er den Namen seines Sohnes HENOCH gibt (Gen 4,17). Die zweite Geschlechterliste zeigt die Einheit trotz Differenzierung auf, indem HENOCH so viele Jahre lebt, wie das einzelne Jahr Tage hat, nämlich 365. Anstatt dem profanen Tod anheim zu fallen wird der Mensch HENOCH «entrückt» (Gen 5,23) und dem todgeweihten Leben enthoben.
Bei der archetypischen Betrachtung der ersten biblischen Menschen darf ABEL nicht fehlen. Gerade er ist von besonderem Interesse, denn er ist in mehrfacher Hinsicht ein Zweiter. Er ist ein Zweiter, weil er nicht unmittelbar von einer Gottheit, sondern von den Menschen ADAM und EVA gezeugt wurde, und er ist in dieser Folge auch noch der Zweite. Darüber hinaus ist er nach menschlichen Maßstäben seinem Wesen nach ein Zweiter alias ein Zurückgesetzter und Benachteiligter. Sein Dasein in der Welt war gottgefällig und doch sehr kurz. Schon bevor ihn KAIN erschlug, verkörperte er, wie es die Bedeutung seines Namens «Windhauch» verrät, die «flüchtige Substanz».
ABEL verkörpert das Zweite und Vergängliche und macht darin die Einheit und Ganzheit alias das Wesen der Gottheit anschaulich. Die Tragik seines Lebens macht es möglich, das Verhältnis der Menschen zueinander und das zu ihrer Gottheit verstehen zu lernen.
Jedes Wesen lebt in und von der Polarität. Das macht es notwendigerweise zu einem Mangelwesen gegenüber der aus einer höheren Dimension heraus erscheinenden Gottheit. Das gilt insbesondere für den zweitgeborenen ABEL, dem «Windhauch», der nur kurz erscheint. In der Beziehung der ersten zur zweiten Geschlechterliste wird das verfehlende Verhalten des KAIN thematisiert. Aber auch der Zweitgeborene – hier ABEL – lebt von «Fehlern». Dessen «Fehler» thematisiert die Tora in späteren Erzählungen, wie beispielsweise in der vom Zwillingspaar ESAU und JAKOB. JAKOB bedeutet «Betrüger». Der zweitgeborene JAKOB betrügt seinen erstgeborenen Bruder ESAU um dessen Erstgeburtsrecht. Wie es in der ersten Geschterfolge nicht bei der Verfehlung KAINs bleibt, so bleibt es in der zehnten Geschlechterfolge auch nicht beim Betrug des JAKOB, denn der wird nach seinem erfolgreichen Kampf mit der Gottheit von der sodann in ISRAEL umbenannt. Das ist ein Opfer (Geschenk) der Gottheit an JAKOB. Mit ihm erhebt sie den einstigen «Betrüger» zu einem «kämpfenden Gott», denn das ist die Bedeutung des Namens ISRAEL.
Wie JAKOB seinen Bruder ESAU «verneint», so verneinte einst KAIN seinen Bruder ABEL. Das Verneinen wird im biblischen Hebräisch durch die Zahlen- und Buchstabenfolge 2-30 (בל) ausgedrückt, wie sie im Namen ABEL (5-2-30) enthalten ist. Es handelt es sich um eine sogenannte schwache Verneinung, die nicht nur mit „nein“ und „nicht“, sondern vor allem mit „nein vielmehr“ oder „nein sondern“ beschrieben werden kann. In ihm schwingt ein „weiter“ im Sinne einer anstehenden Fruchtbarkeit mit. Die Zahlenfolge symbolisiert einen Zwist und Widerspruch (2), dem eine Funktion (3) folgt, die durch die Existenz einer höheren Dimension zur göttlichen Funktion, zur 30 wird. Ihr Symbol ist der Ochsenstachel, ein Funktionsinstrument, das die noch wenig bewussten Erd- und Ackerkräfte, die Ochsen zur rechten Funktion „anstachelt“ (s.a. Aufsatz «Die Verneinungen im Buch Genesis und ihre Herausforderungen»).
Weiterführender Hinweis:
Zu der archetypischen Betrachtung der KAI-ABEL-Erzählung existiert eine Reihe anderer von mir verfasster Aufsätze:
Hinweis: Beachte die Aufsätze
Fußnoten
¹ 365 1/4 Tage sind zugleich 12 2/5 Mondmonate zu 29,5 Tagen.
² Das erste Wort der biblischen Genesis ist „Im-Anfang“. Es beginnt mit einer Zwei (Polarität), denn der erste Buchstabe ist das Beth, der zweite Buchstabe des Alphabets mit der Bedeutung von „in“. Doch das Substantiv ist der Begriff des „Anfangs“ (Reschit), in dessen Symbolik die Verbindung der Pole zur Triade beschlossen ist.
³ „Silvester“ enthält die lateinische Wortwurzel „silva“, was „Wald“ bedeutet. Danach versteht der sich als „Sylvester“ bezeichnete Papst als ein „Waldmensch“, ein Mensch, der im oft undurchsichtigen Dunkel des Waldes lebt und sich dennoch gut zu orientieren vermag.
⁴ Mai (das mittelhochdeutsche „meie“ bedeutet „Frühling“). Als dritter und später fünfter Monat des Jahres berichtet er im Bild des Dreiecks oder im Pyramidensymbol von der Erhebung aus der profanen Ebene des Daseins. Als Namensgeber wird die Göttin Maia genannt („Maia Vulcani“, die „Frau des Vulcanus“).
Etymologisch findet man im Namen Maia die Wortwurzel „mag“, die „Wachstum“ oder „Vermehrung“ bedeutet. Inhaltlich verständlich wird sie, wenn man das Prinzip des Erhebens als Grundlage von Fruchtbarkeit begreift. In diesem Sinne wurde im katholischen Kirchenjahr der Mai in sogenannten Maiandachten besonders der Verehrung der Gottesmutter Maria gewidmet.
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