Die Antwort auf die zunächst rätselhaft erscheinende Erzählung von der Speisung der 5.000 liegt im Erheben des Bewusstseins (5) und das bedarf der rechten Schau des Archetyps der Zwei. Das höchste Bewusstsein verkörpert Jesus. Nur er kann die verborgene Ordnung sichtbar machen. Die Quintessenz der Schau ist ein jedem Leben anhaftender, immerwährender „Rest“, illustriert an den 12 Körben, mit denen die restlichen Brocken eingesammelt werden. Die Zwölfzahl der Körbe verkörpert aber Ordnung. Die 12 macht die Ordnung als neue Ganzheit sichtbar.
Den Bericht über die Speisung der 5.000 findet man in allen vier Evangelien. Anders ist das beim Bericht über die Speisung der 4.000. Ihn finden wir nur in den ersten zwei Evangelien, bei (1) Matthäus und (2) Markus. Die beiden Evangelisten stehen für eine erste, grundsätzliche Polarität. Mit ihren zusätzlichen Erzählungen über die Speisung von 4000 berichten sie linearlogisch gesehen von „mehr“ als die ihnen nachfolgenden Evangelisten Lukas und Johannes. Die Unterscheidung zwischen den ersten zwei und den nächsten zwei Evangelisten, zwischen der ersten und der zweiten Hälfte ist keine zufällige, sondern eine systematische. Sie hebt das jeden Anfang einer Erkenntnis bildende Polaritätsprinzip hervor. Wir begegnen ihm erstmals bei den ersten zwei Worten der Genesis, dem „Berschit / bara … (2-200-1-300-10-400 / 2-200-1 …). Wie bei diesen zwei ersten, sich ähnelnden Wörter dem zweiten Wort eine Hälfte fehlt, so fehlt auch den zwei letzten Evangelisten eine Hälfte. Ihnen fehlt der Bericht über die Speisung der 4000. Das Zweite ist gerade ein Zweites, weil ihm etwas fehlt. Was fehlt macht anziehend und führt zu einer Entwicklung. Es führt zum Leben und Leben ist Ordnung (12).
Die nur von Matthäus und von Markus nachgestellten Berichte über die Speisung der 4.000 greifen auf das Gesetz der Substanz, das Gesetz der Vier zurück. Das zeigt die Zahl 4000 an. Matthäus und von Markus beziehen damit das zuvor beschriebene Gesetz der Fünf, das Gesetz der Subjekte auf seine eigentliche Herkunft. Schon in der Vier, der ersten Manifestation erscheint die Einheit in ihrer Vollkommenheit und ihrer heilmachende, d.h. heilenden Wirkung. Bewirkt wird sie dort von der verbindenden und verbindlichen und somit rechten Funktion der Drei. Sie ist die Bedingung für das Erscheinen der Vier. Die zwei Erzählungen von der Speisung der 4000 setzen das ins Bild, indem sie explizit die der Speisung vorausgegangenen „drei Tage“ betonen (Mt 15:32; Mk 8:2).
Die Rückkopplung durch Matthäus und Markus muss als ein Einschub verstanden werden, der den großen Gesamtkontext der vier Evangelisten nicht stört, sondern ergänzt. Der Einschub erfolgt unerwartet. Auch das ist Prinzip und hilft, das Wesen der Sieben, um das es hier geht, besser zu verstehen. Wie die Sieben durchbrechen Matthäus und Markus bewusst den Glauben an die Logik und Herrschaft von Linearitäten. Ordnung ist mehr als die gewohnte und erwartete, linearlogische Ordnung. Die bei der Speisung der 5.000 vorgestellte, umfassende und wahre Ordnung widerspricht nicht dem Wesen der Sieben, das immerfort mit dem unberechenbaren Schicksal konfrontiert. Das stellen Matthäus und Markus mit ihrem Einschub noch einmal klar.
Erst wenn der Mensch die Substanz in der er lebt, in ihrer Vollkommenheit und die in ihr fortlaufende Konfrontation mit dem Anderen und Unbekannten erkennt, kann er bewusst an diesem Entwicklungsprozess teilhaben. Um dieses Eingebettet-Sein im Ganzen, das unentwegt von der Dynamik der Sieben vermittelt wird, geht es den Evangelisten Matthäus und Markus in ihren Erzählungen von der Speisung der 4.000. Ihre Welt wird von der Sieben umgeben. Aus den zur Verfügung stehenden „sieben Broten und einigen kleinen oder wenigen Fischen“ bleibt wiederum eine Siebenzahl übrig. Der sogenannte Rest führt zur unaufhörlichen Fortentwicklung. Der Hintergrund der Erzählung von der Speisung der 5.000 als auch der der Speisung der 4.000 ist der gleiche: Das Erkennen, dass das Wesen der Zwei stets auf die Einheit ausgerichtet ist und umgekehrt.
Das Erkennen des wahren Wesens der Polarität löst die unangemessene Fixierung des Individuums (5) auf die Einheit und Zweiheit auf und ermöglicht ihm eine freiheitliche Gelassenheit. Das Wissen um die Speisung der 5000 lässt den Leser der Texte die von Matthäus und Markus nachgestellten Erzählungen von der Speisung der 4.000 unter dem Blickwinkel der Freiheit anstatt der Unfreiheit begreifen. Ohne die Vorinformation würden Missverständnisse drohen: Eine Sieben, welche die Substanz (4) verändert, die ihrerseits wieder eine Sieben zeitigt, führt zu einem fraktalen Muster. Ohne das voran vermittelte Wissen würde die Gefahr aufkommen, das Geschehen als eine ewige Gefangenschaft zu empfinden. Das Gegenteil aber ist der Fall, denn jedes noch so kleine Muster offenbart immer wieder Einheit und Ganzheit. Ohne die Vorinformation würden sich die Details der Speisungen der 4.000 nicht erschließen lassen. Mit den Informationen erschließt sich beispielsweise, weshalb Jesus das Volk auf der blanken Erde (Mt 15:35; Mk 8:6) anstatt wie bei der Speisung der 5000 auf verschiedenartigem, grünen Gras ( Mt 14,19; Mk 6:39; Joh 6:10) lagern lässt oder das Geschehen im Kontext mit einem Berg (Mt 15,29) anstatt mit einem Boot (Mt 14:13; Mk 6:32) geschildert wird.