Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Die Verneinungen im Buch Genesis und ihre Herausforderungen

von Michael Stelzner

Inhaltsverzeichnis

1. Starke und schwache Verneinungen und das Missverstehen

Das biblische Hebräisch kennt verschiedene Arten der Verneinung. Die stärkste, welche dem „keinesfalls“ oder „alternativlos“ gleichkommt, wird mit der Zahlenfolge 30-1 des hebräischen „lo“ gebildet (al / siehe Gen 2:5 bzw. 2:17 und vor allem Ex 30:3ff). Eine der schwachen Verneinungen wird durch die Zahlenfolge 2-30 gebildet (lb / siehe Gen 3:11; 4:15; 14:24; 19:21; 31:20; 38:9; 41:16; 41:44; 43.3; 43:4; 47:18). Sie bedeutet „außer“ oder „es sei denn…“ und bezieht sich auf eine auf sie bezogene Ausnahme und Alternative. Wegen ihrer fehlenden Eindeutigkeit kann es bei ihrem Gebrauch zu Missverständnissen kommen. So war es im sogenannten Paradiesfall als der Mensch zwischen der Gottheit und der Schlange stehend eine unbewusste aber folgenreiche Entscheidung traf. Dort hatte das mit einer starken Verneinung („lo“) ausgesprochene, vehemente Verbot der Gottheit einen anderen Bezug als den, welchen die Frau wahrnahm. Um die Differenz zwischen dem göttlichen Bewusstsein und dem des frühen Menschen zu verstehen, soll hier der biblische Originaltext von Gen 2:16f in einer, wenn auch holprigen, doch nahezu wortlinearen Übersetzung wiedergegeben werden: „Und es verordnete JHWH ELOHIM sprechend über den Menschen: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen. Und vom Baum des Erkennens Gutes und Böses wirst du NICHT (keinesfalls / alternativlos!) essen, denn an dem Tag deines Essens wirst du (des Todes) sterben!“ Die mit dem „lo“ (30-1) gebildete, stark verneinende Gottesanweisung hat eine weitgehende Konsequenz, denn nach ihr ist es gar nicht möglich, von dem genannten Baum zu essen. Die Frau hat demnach auch nicht von DIESEM Baum gegessen! Wohl aber ist sie in dem Glauben, es getan zu haben. Entsprechend ist auch die eigenartig klingende Formulierung „des Todes sterben“ zu interpretieren. Genau genommen beschreibt sie die wahre Beschaffenheit des Lebens. Der Tod hat aus der Perspektive der Gottheit eine andere Bedeutung als aus der Perspektive des Menschen. Seinem Bewusstsein entsprechend muss er nun DEN Tod sterben. Spätesten in der 7ten Toledot, der Toledot des TERACH bekommt der Tod einen anderen und erweiterten Kontext. Bis dahin erfährt der Mensch den Tod vorwiegend als Bruch, Schmerz und Demütigung. 

Die Konsequenz der Dimensionsunterschiede von göttlichem und menschlichem Bewusstsein und dem Missverstehen des Menschen führt zu der ebenfalls mit dem Zweifel behafteten Ansprache der Gottheit an den Menschen:

Und er (JHWH ELOHIM) sprach: Wer hat dir mittgeteilt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir befohlen habe, von ihm nicht zu (30-2-30-400-10) essen?“ (Gen 3:11)

Die Gottheit fragt hier in der Form einer schwachen, zwiespältigen Verneinung, denn die Frau hatte nach ihrem Dafürhalten tatsächlich von diesem Baum gegessen, obwohl das in Wirklichkeit gar nicht möglich war. Kurzum: Es ist die mangelnde Unterscheidungsfähigkeit des Menschen, die sodann zu fortlaufenden und zunächst zunehmenden Verstrickungen führt und schließlich in den tragischen Brudermord an ABEL mündet.

2. Die ersten biblischen Verneinungen

Um die Arten der Unterscheidungen und ihre Wirkungen der Verneinungen voneinander zu unterscheiden, müssen wir uns ihren ersten biblischen Vorkommen zuwenden. Da sie archetypischer Natur sind, finden wir sie noch vor der Erzählung vom sogenannten Sündenfall. 

Bei der Suche nach den Anfängen der Verneinungen finden wir eine erstaunliche Eindeutigkeit bezüglich des Anfangs. Die Sieben-Tage-Erzählung stellt uns die Archetypen vor, kennt aber noch keine Verneinung! Das ist konsequent, denn die reinen Archetypen erscheinen alle vor dem Hintergrund des Urgesetztes, dem Gesetz der Vier und das ist seinem Wesen nach ein Additionsgesetz, das in allen seinen Aspekten von der Allgegenwart der Einheit und Ganzheit und somit von einem grundsätzlichen JA erzählt. Die Logik besteht darin, dass jeder der Zahlenarchetypen ein solcher nur ist, weil er sich auf die Einheit des Anfangs bezieht. So ist beispielsweise eine Sieben nur deshalb eine Sieben, weil sie siebenmal die Eins ist! Jene konsequente Umsetzung lässt eine Verneinung in der Archetypenvorstellung der Schöpfungserzählung also nicht zu. Erst nach Abschluss der grundsätzlichen Erzählung wird dann auch die erste Negation vorgestellt. Wir finden sie mit Beginn der 1ten Toledot in deren 2ten Satz. Sie steht bedeutender Weise nicht allein, sondern erscheint in einem Verbund von vier Negationen:

  • Und alles Gesträuch des Feldes1 und alles Kraut des Feldes2 war noch nicht (9-200-40) auf der Erde3. 
  • Es sprosste noch nicht (9-200-40), 
  • weil JHWH ELOHIM es nicht (30-1) hatte regnen lassen auf der Erde4.
  • Und (der) Mensch, er war nicht (1-10-50), um den Erdboden5 zu bestellen“ (Gen 2:5).

Die erste der vier Verneinungen ist mit der zweiten identisch, sodass die vier Verneinungen auf dreifache Weise geschehen. Die wirklich vehemente Unterscheidung ist dabei die dritte, die mit dem  „lo“ (al / 30-1) gebildet wird. Sie betrifft JHWH ELOHIM und kommt somit aus einer höheren Dimension, welche die profane und lineare Ordnung (1—2) übersteigt. 

Die Arten der Verneinungen (2) sprechen die Rolle des Dreiecks (3) in der Flussform der Zahlen an, in der das Erheben der Drei über die Linearität als Ursache der Manifestation (4) der Vierzahl sichtbar wird. Der Text setzt aber nicht nur die Archetypen 2, 3 und 4, welche unterschiedliche Dimensionen ansprechen in Beziehung zueinander. Er erzählt darüber hinaus im Bezug zur Substanz (4) von der Manifestation des Menschen und seines Bewusstseins (5). Die vier Verneinungen gehen nämlich einher mit einer fünfmaligen Nennung der Substanz, die ihrerseits auf vierfache Weise benannt wird (s.o. die Unterstreichungen). In der Benennung der Substanz in der Abfolge „Feld, Feld, Erde, Erde“ und schließlich „Erdboden“ verweist der Text auf das im letzteren enthaltene Potential der Erhebung, analog dem 5ten Punkt, der sich aus der Mitte eines Quadrats zur Spitze einer Pyramide erhebt.

Mit der je zweifachen Nennung des (flachen) Feldes (300-4-5) und der (umfangreichen) Erde (1-200-90) und dem daraufhin folgenden Erdboden (1-4-40) als ein Fünftes, schließt sich der Kreis zum Begriff des Menschen (ADAM / 1-4-40). Der Begriff Erdboden (1-4-40) und Mensch (1-4-40) sind identisch. Der Mensch ist ein Erdling. Ihre Gleichsetzung erzählt über die Beziehung der Zahlen 1 und 4 und deren Wirken im Menschen von dessen grundsätzlicher Vollkommenheit. Zugleich aber erzählt sie auch, dass der Mensch sich eben noch nicht vom Erdboden gelöst und erhoben hat, obwohl er über das Potential verfügt. Von diesem Erhebungsvorgang erzählt die Symbolik des nächsten Satzes, der da lautet: „Und ein Quellstrahl (ad / 1-4) stieg auf von der Erde“ (Gen 2:6).

Die Zwei, der Zwiespalt und das Verneinen fordern das Bewusstsein seinem Entfaltungsgrad entsprechend heraus. Ein Mensch weiß von seiner Verpflichtung gegenüber der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit (1). Doch wachsen die Herausforderungen mit der Dimension des Bewusstseins der Herausgeforderten. Sie sind Gegenstand der zahlreichen Erzählungen in den fortlaufenden und aufsteigenden 13 Geschlechtern (Toledot).

3. ABEL der „verneinte“ Bruder und die Zahlenfolge 2-30

ABEL (5-2-30) wurde von seinem Bruder KAIN erschlagen. Er ist der „verneinte“ Bruder. Dabei wurde er nicht allein von seinem Bruder negiert, denn die Gottheit JHWH hatte dazu den Anlass geliefert, als sie das Opfer des KAIN nicht wahrnahm, wohl aber das des ABEL. Als KAIN seinen Bruder erschlug, machte er offensichtlich, was in dessen Namen bereits enthalten ist. ABEL (5-2-30) bedeutet „Windhauch“. Wie ein solcher kam und verschwand er. Seine Verneinung und sein Verschwinden sind seinem Namen immanent, wie auch jedem Bruder das prinzipiell Andere eigen ist und erst zum Bruder macht. Insofern haftet jedem Bruder ein Grad des Verneinens an.

Solche Art des Verneinens wird durch die Zahlenfolge 2-30 ( בל ) angezeigt. Es handelt sich um eine schwache Verneinung, die nicht nur mit „nein“ und „nicht“, sondern vor allem mit „nein vielmehr“ oder „nein sondern“ beschrieben werden kann. In ihm schwingt ein „weiter“ im Sinne einer anstehenden Fruchtbarkeit mit. Die Zahlenfolge symbolisiert einen Zwist und Widerspruch (2), dem eine Funktion (3) folgt, die durch die Existenz einer höheren Dimension zur göttlichen Funktion, zur 30 wird. Ihr Symbol ist der Ochsenstachel, ein Funktionsinstrument, das die noch wenig bewussten Erd- und Ackerkräfte, die Ochsen zur rechten Funktion „anstachelt“.

Die Zahlenkombination 2-30 steht auch für den Gott BAL, der regelhaft mit „Besitzer“ oder einfach „Herr“ übersetzt wird. In der Religionsgeschichte wird der Gott BAL durch die Gottheit JHWH ersetzt und vor ihrer späteren Feindschaft sogar mit ihm gleichgestellt (siehe 1Ch 12,6).

Wegen der gegenseitigen Beziehung der Brüder KAIN und ABEL ist in jedem der beiden auch die Qualität des anderen angelegt, unbeschadet dessen, dass in der bekannten biblischen Legende nur die eine Seite ins Auge fällt. Wechselt man den Gegenstand der Betrachtung, wechselt auch die Wertung des Geschehens. Das offensichtlich aggressive Element des KAIN findet seine Parallele in der Gottgefälligkeit des Brandopfers von ABEL. ABEL setzt als fortschrittlicher Viehzüchter den rückständigen Ackerbauer KAIN vor dem Maßstab der Gottheit ungewollt zurück. Umgekehrt findet auch das Flüchtige des „Windhauches“ ABEL seine Parallele in KAIN, denn die Gottheit JHWH macht ihn nach seiner Tat „unstet und flüchtig“. KAIN zieht ins Land Nod, östlich von Eden(Gen 4:16). Er überwindet die Naivität der noch im Garten Eden lebenden Menschen und wendet sich weitergehend dem aufgehenden Licht zu.

Die tiefen und wahren, weil sich ergänzenden Zusammenhänge zwischen den Brüdern löst die gleiche 1te Toledot noch in der Nachkommenschaft des LAMECH auf. LAMECH ist das siebte Menschengeschlecht und die Sieben erwirkt ihrem Wesen nach Einheit. LAMECH verwirklicht die Einheit über seine zwei Frauen ADA und ZILLA und seine vier Kinder JABAL (10-2-30), JUBAL (10-6-2-30), TUBAL KAIN (400-6-2-30  100-10-50) und die Tochter NAAMA (50-70-40-50).

Man erkennt im Namen der ersten beiden Brüder JABAL und JUBAL deren gegenseitigen Bezug über das gemeinsame Zahlenpaar 2-30. Zudem taucht das Zahlenpaar auch im Namen TUBAL KAIN auf, dem Namen des dritten Bruders, der die Wesen der ihn vorangehenden zwei in sich vereint. Die verbindende Funktion des Dritten schlägt darüber hinaus den großen Bogen zu KAIN, dessen Tat Aufsehen erregt hatte und die nun durch das Geständnis des Vaters LAMECH in ein neues, verbindendes Licht gerückt wird.

4. Die 2te Toledot (Geschlechterfolge) – die Überwindung des „tödlichen Todes“

Gegenstand der 2ten Geschlechterfolge (Toledot) ist Vorstellung der Zwei und ihres verborgenen wahren Wesens. Die Welt lebt von der Polarität (2) und sie ist von ihr durchdrungen. Sie muss in einem ersten Schritt vom Bewusstsein reflektiert und anerkannt werden und in einem zweiten der Regie der Einheit und Ganzheit (1) unterstellt werden. Die 2te Toledot tut das, indem sie einerseits alle ihre Aussagen mit dem Tod in Verbindung bringt und ihn andererseits seines falschen Anspruchs enthebt. Das macht der Text u.a. dadurch, dass er jede Generation mit der Formel: „Und er zeugte Söhne und Töchter … Und er starb“ abschließt. Dem so vordergründig entstehenden morbiden Eindruck hat die Toledot durch die Erzählung vom Neuanfang vorgebeugt. Der besteht in der zweiten Schöpfung des ADAM und der Geburt eines anderen, eines zweiten Zweiten, dem SET, sowie dessen Nachkommen ENOSCH, mit dem man begann, JHWH anzurufen. Der Höhepunkt der Blickwendung auf die wahre Zwei, das „Zweimachen“ und den Tod ist sodann die Entrückung des HENOCH. HENOCH erlebt den Tod nicht als Tod. Der zwiespältige Eindruck auf sein Wesen wird durch ihn, dem 5ten Geschlecht nach SET durchbrochen. 

Was der Paradiesfall als religiöses Zentralgeheimnis u.a. in der Formulierung „des Todes sterben“ (Gen 2:17) andeutet und durch KAIN und ABEL zur Ausführung kommt, wird durch HENOCH, dem 5ten Geschlecht, das JHWH anruft, offenbar. Es ist die rechte Sicht auf die Zwei, welche die Eins und Einheit im Geiste bewahrt und durch welche das Subjekt gottgleich wird. HENOCH erleidet den Tod nicht wirklich. Der Text stellt fest: „Und er war nicht (…1-10-50…) mehr, denn Elohim hatte ihn hinweggenommen“ (Gen 5:24). HENOCH, der fortan „mit Elohim wandelte“ symbolisiert Ganzheit. Davon erzählt seine Gesamtlebenszeit von 365 Tagen, der Gesamtzahl aller Tage eines Jahres. Für all die Botschaften gebraucht die 2te Toledot nur eine einzige, aber richtig verstandene, weil weiterführende, schwache Verneinung. Sie ist identisch mit der vierten der vier Verneinung aus der ersten Toledot, welche die Verbindung zum Erdboden (1-4-40) herstellt und welche über das „Gesetz der Vier“ vom Potential des menschlichen Bewusstseins berichtet.

Am Ende der 2ten Toledot folgt dann auch noch eine starke Verneinung: „ … Nicht (1-30) für immer waltet mein Geist im Menschen. Im Verfehlen (ist) er (eine) Botschaft. Seine Tage werden 120 Jahre sein“ (Gen 6:3). Die starke Verneinung ist nun aber eine zweite und trotz ihrer Vehemenz eine an der ersten, der schwachen Verneinung ausgerichtete. Die nachgeordnete starke Verneinung wird nur durch die archetypisch gegebene Hierarchie (s. 1—2  …) wirklich verständlich. Konkret illustriert die Textpassage, dass die Gottheit JHWH im Sinne der Formel 10 = 5 & 5 eine auf das Bewusstsein des Menschen (5) gerichtete Gottheit ist. Das Gesetz der Vier, das ganz allgemein von der Vereinigung der Gegensätze erzählt, geht ihr voraus. Es wirkt schon in der Dimension der Substanzen und der des Fleisches. Schon aus dem Gesetz der Vier geht die Ordnung (12) hervor, die über die archetypische Hierarchie von Einheit (1) und Zweiheit (2) entsteht. Wie sie zwei Weisen des Seins zusammenfasst, so fasst die Gottheit JHWH die zwei Weisen des Menschen zusammen, das Bewusstsein und das Dasein im Fleisch. 

Weil alles Existierende ein Beschränktes ist, beschränkt notwendig auch JHWH – die Gottheit des Bewusstseins – die Existenz des Menschen. Dabei erstellt auch JHWH Ordnung (12). Da es bei der vom Menschen erkannte Ordnung um eine höherdimensionale Ordnung geht, spricht der Text anstelle der 12 von 120 Jahren Lebenszeit.

5. Die 3te Toledot – die Sintflut als Verneinung der Welt durch die Gottheiten

Die Drei verbindet die scheinbaren Gegensätze miteinander. Die 3te Toledot verbindet den Gegensatz zwischen der „Toledot von Himmel und der Erde“ und der „Toledot des Menschen (ADAM)“. Es ist der Gegensatz von Substanz (4) und Bewusstsein (5). Aus ihm emergiert eine neu und höhere Dimension von Bewusstsein. Es ist die Dimension der Gottheiten ELOHIM und JHWH. Der Urgott ELOHIM bringt uns die erste erkennbare Ordnung der Archetypen nahe und JHWH, der Gott der Subjekte ordnet das Verhältnis der Subjekte zueinander. Die zwei Gottheiten repräsentieren das Andere (2) und Jenseitige (7), das dem konkreten Dasein in der Welt der Dinge gegenübersteht. Zugleich dynamisieren sie als ein Drittes die Welt der Polaritäten und ergreifen Partei. In die Welt der Erfahrungen übersetzt bedeutet das: Die zwei Gottheiten erzählen gemeinsam davon, dass das „Zweimachen“ alias das Vernichten im Dienst des Reinigens steht. Das gilt in letzter Konsequenz, wie es die Sintflut zeigt, auch für das Leben des Menschen in allen seinen Daseins- und Bewusstseinsebenen. Es gilt für den vor den Gottheiten gerechten NOAH ebenso wie für seine Vorstellung von den Gottheiten selbst. Auf den kleinsten gemeinsamen, archetypischen Nenner reduziert erzählt die 3te Toledot von dem Verhältnis der Zwei zur Eins, das sein Extrem in der Zahl Sieben erfährt, welche zu den Dingen der Welt das Gegenteil ist, endlich aber doch ihre Einheit garantiert.

Der Text über die Sintflut führt das Prinzip des Verneinens im Sinne eines bewussten Selektierens an den Zahlen Sieben und Zwei vor Augen: „Von der Gesamtheit des reinen Herdentiers sollst du zu dir nehmen, sieben (zu) sieben, (das) Männchen und sein Weibchen und von dem Herdentier, das nicht (30-1) rein ist, zwei, (das) Männchen und sein Weibchen“ (Gen 7:2).

Die Reinheit, Ganzheit und Vollkommenheit wird der Sieben zugeordnet, das Unreine hingegen der profanen Zwei und Zwiespältigkeit. Doch wird durch das Zusammenkommen beider Archetypen in der Arche der Zwiespalt aufgelöst. Arche bedeutet „Kasten“ und ein solcher verkörpert die dreidimensionale Form der Vier. In der Arche kommen die dimensionsunterschiedenen Gegensätze zusammen, wie in der Vier die Archetypen Eins (1) und Zwei (2) zu einer Form (4) verschmelzen. Der Text unterstreicht das Wirken der Vier (1+24) in Form der Arche, indem zwei Generationen in die Arche gehen, NOAH und seine Frau, sowie seine drei Söhne, samt ihrer Frauen. Die insgesamt acht Menschen bilden in sich eine auf der Vier beruhende Polarität ab (23 = 2 x 4). Zu ihr kommt eine Vierheit von Tieren in die Arche: „Von dem ((1)) reinen Herdentier und dem ((2)) Herdentier, das »nicht-ist« (1-10-50-50-5) rein und von ((3)) den Vögeln und ((4)) alles was auf dem Erdboden kriecht“ (Gen 7:8). Die insgesamt drei Vierheiten (3 x 4) führen zur 12, der Zahl der Ordnung. Die Ordnung ist eine solche, weil in ihr die unterschiedlichen Manifestationen (4) ein Ganzes bewirken (3). In der Erzählung von NOAH und der Sintflut fällt vor allem die vertikale Unterscheidung im Sinne des Erhebens des Bewusstseins (5) ins Auge. Die aber kommt nur zustande, weil auch die in der Linearität und im Horizontalen existierenden lebendigen Wesen mitgenommen und eingeschlossen werden, analog der Zahl 12 welche auf lineare und horizontale Weise von der „geordneten“ Ganzheit erzählt, welche die Einheit (1) und die Zweiheit (2) hierarchisch korrekt miteinander verbindet. 

Die 3te Toledot gebraucht deshalb nicht zufällig insgesamt 12 Verneinungen. Sie ist einerseits eine verneinende Erzählung. Das Schicksal (7) des Zurücklassens von Leben sowie das Auftauchen von Spannungen zwischen NOAH und seinen Söhnen aufgrund des bis dahin nicht gekannten Weingeistes machen das sichtbar. Sie ist anderrseits aber vor allem auch eine Erzählung von der Ganzheit, die das Andere und Verneinende einschließt, wie es die Zwölfzahl 12 der Verneinungen berichtet. Die 12 Verneinungen werden 11mal mit dem starken „lo“ (30-1) gebildet. Die zweite Verneinung (s.o. Gen 7:8) aber hat eine andere Struktur. Sie besteht aus dem an sich fragwürdigen „nicht-sein“ (1-10-50), wie es erstmals in der 1ten Toledot (Gen 2:5) gebraucht wird. Dort wird das Prinzip der Verneinung an sich vorgestellt und die Form des „nicht-sein“ ist dabei die vierte Verneinung in der Vierergruppe (siehe oben / Gen 2:5).

Erwähnenswert weil möglicherweise ebenfalls nicht zufällig, ist, dass die Zahlenkombination 30-1, wie auch immer sie zustandekommt, in der 3ten Toledot 22mal erscheint und damit die Zahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets entspricht. Mit Hilfe jener 22 Buchstaben erfassen wir die Konstitution des Bewusstseins (5) und seines Erhebens über das Profane.

Bringt man die Botschaft der 3ten Toledot auf den Punkt, so berichtet sie vom Erheben des Bewusstseins, das in seiner Vollkommenheit den Tod vom Leben umschließt. Die Erzählung von NOAH und seiner „Gerechtigkeit vor der Gottheit“ endet deshalb noch immer mit dem Satz „Und er starb“ (Gen 9:29). Man möchte hinzufügen „wie seine einstigen Mitmenschen, nur mit höherem Bewusstsein und auch später“.

6. Die 4te Toledot – die fehlende Verneinung, die dennoch „erzählt“

Die 4te Toledot kennt die sprachliche Verneinung nicht. Sie gleicht darin der Sieben-Tage-Erzählung, die ebenfalls keine Verneinung enthält. Die Erzählung des Anfangs kennt aber sehr wohl das scheinbare Fehlen und Verfehlen, das zum Entstehen immer neuer Archetypen führt. Man denke hier beispielsweise an die fehlende Huldigungsformel des 2ten Schöpfungstages, den fehlenden göttliche Segen für die Landtiere am 6ten Schöpfungstag u.v.a.m. Das scheinbare Fehlen und Verfehlen kommt einer schwachen Verneinung gleich, welche existiert, aber in ihrer Existenz schließlich ein Mehr manifestiert. Zum Beispiel erzählt der vierte Schöpfungstag von der „Zweiheit der großen Lichter, dem großen … UND dem kleinen …“, welche die Ordnung (12) der Dinge sichtbar macht (Gen 1:16f). 

Die 4te Toledot entfaltet das Prinzip des scheinbar aber doch fruchtbaren Fehlens im Hinblick auf die Sprache der Sprachen, die Sprache der Zahlen. Obwohl die Sprache prinzipiell zweierlei macht, zählt und erzählt, manifestiert die 4te Toledot das Fehlen in einer neuen Dimension, in der offenbar nur noch erzählt wird. Im Gegensatz zur 2ten und 6ten Toledot verzichtet sie auf Zahlen, wie Lebensalter oder Zeugungsalter. Wohl aber erzählt sie von Qualitäten wie „dem Ersten (Eins)“, „dem Erstgeborenen“, „dem Kleinen“ und „dem Großen“, dem „Teilen“ und vom Prinzip „Ordnung“.

Die 4te Toledot ist die „Toledot der Söhne NOAHs“. Die unmittelbaren Söhne NOAHs sind drei und das NOAH-Prinzip ist das Prinzip des Erhebens, das ebenfalls in der sich über die Linearität (1—2) erhebenden Drei anschaulich wird. Die Wirkung der Drei findet ihre Manifestation in den Nachfolgegeschlechtern der drei Söhne, die als ein neues Ganzes unter dem Archetyp der Vier zu betrachten sind. Das Wesensmerkmal der Vier ist der Einbezug des scheinbar (Ver)Fehlenden, der Zwei in einer neu erscheinenden Ganzheit. Eine der Erscheinungsformen ist das Prinzip des Bruches und der Umkehr. So werden die Nachfolgegenerationen NOAHs und seiner Söhne nicht nach ihrer natürlichen Geburtenfolge aufgezählt, sondern in umgekehrter Folge. Das Geschlecht des erstgeborenen SEM erscheint an ihrem Ende. Mit SEM legt sich das Wesen des Ersten und das der Eins und Einheit über die ansonsten ausufernde Vielheit der 4ten Toledot. 

Die durch den erhobenen NOAH ins Bild gesetzte Zahl Drei erhält in der 4ten Toledot eine neue und höhere Dimension in welcher die Zahl 12, die Zahl der Ordnung und die Zahl 13, welche diese gewohnte Ordnung als ein Anderes und Zweites übersteigt, ein besonderes Gewicht. Tatsächlich werden die Zahlen aber nicht unmittelbar genannt. Wir begegnen ihnen nur mit dem besonderen Wissen über die Vier und die in ihr fruchtbar werdende Zwei. So tragen die jeweils Zweiten einer Folge die Zahl 13 als Faktor in ihrem Namen. Das sind: 

ASSUR     (1-300-6-200 / Σ 507 = 39 x 13) der zweite Sohn des SEM

SCHELACH  (300-30-8 / Σ 338 = 26 x 13) die zweite Nachfolgegeneration des SEM

und JOKTAN   (10-100-9-50 / Σ 169 = 132) der zweite Sohn des EBER

Die vierte semitische Generation ist die des EBER. Der Text verweist auf seine besondere Bedeutung: „Auch SEM, dem Vater aller Söhne EBERs, dem größeren Bruder JAFETs wurde geboren …“ (Gen 10:21). Der Vierte wird in seinem expliziten Bezug zum Ersten, dem Stammvater SEM hervorgehoben. Jener Vierte hat zwei Söhne. Der erste ist der an 12. Stelle genannte PELEG und der zweite ist der an 13. Stelle genannte JOKTAN („der Kleine“). Der 12. und der 13. stehen sich analog von Ordnung (12) und ihrem Bruch (13) gegenüber. PELEG steht einerseits für die Zahl 12 und somit für die Ordnung. Die Ordnung aber schließt die Zwei, das Fehlende und Spaltende ein, weshalb der Text berichtet: „ … denn in seinen Tagen wurde das Land geteilt (Gen 10:25). Zudem fehlt im Gegensatz zu JOKTAN, dem 13ten hier die Aufzählung seiner Nachkommenschaft. 

In JOKTAN verbirgt sich die Zahl 13 nicht nur in seinem Namen (s.o.). Er hat explizit auch 13 Söhne. Der Zweite und „Kleine“ sprengt nicht einfach nur die bekannte Ordnung. Er erweitert sie. Doch wird das erst bei genauerem Hinsehen sichtbar. So trägt beispielsweise sein 12. Sohn den Namen HAWILA. Der Name spielt bei der Konstitution und der Beschreibung der Ordnungsstrukturen im Garten Eden eine wichtige Rolle. HAWILA ist das Land (4), das vom ersten von insgesamt vier Flüssen im Garten Eden umflossen wird und somit als ein Land der vollkommenen Ordnung beschrieben wird (Gen 10:29). 

Die 4te Toledot setzt das fruchtbare Prinzip der Verneinung ein, um das vorangehende NOAH-Prinzip und die in ihm wirkende Funktionszahl Drei in einer größeren Dimension und in einem alles umfassenden Spektrum darzustellen. Sie erklärt das Dasein unter dem Gesichtspunkt eines grundsätzlichen Erhobenseins. Die so in Erscheinung tretende höherdimensionale Drei ist die 30. Sie ist der Zahlenwert des Lamed ( l ), des 12. hebräischen Buchstabens mit der Bedeutung eines Ochsenstachels. Der Ochsenstachel ist kein Folterinstrument, sondern ein aus einer höheren Dimension eingesetztes Instrument, um die noch unbewussten Erd- und Ackerkräfte zu lenken. Der Ausgangspunkt der Lenkungsfunktion ist die Existenz zweier Bewusstseinsebenen. Aus ihnen erst geht die 30 hervor (230). Die Zahlenfolge 2-30 ist die, welche den Begriff „Windhauch“ und den Namen ABEL bildet – KAINs „verneinten Bruder“. 

Eine geometrische Ergänzung:

Will man die zwei Perspektiven der Verneinung, der weichen (2-30) und der harten (30-1) unter dem geometrischen Gesichtspunkt des Dreiecks zusammenfassen, so ergibt sich die Abb. 30. Die sogenannte „Führungszahl“ 30 erwächst aus der einfachen von der Polarität beherrschten Substanz (s. 1—2) und ihrer Ordnung (12). Aus ihrer beschränkten, linearen Sicht kommt der Ordnung und insbesondere der Dreizahl keine erhabene Stellung zu. Solche Sicht führt zum Zahlenstrahl 1-2-3…etc. In Wirklichkeit ist die Funktion (3) eine erhabene und erstellt eine Ordnung höherer Art. Die rechte Zahlenzuordnung im Dreieck wäre unter den Kriterien 1-2-30… wie sie die Abbildung 30 darstellt. Sie bildet den Hintergrund der NOAH-Erzählung. Die Arche hatte eine Höhe von 30 Ellen (Gen 6:15) und zudem ein nach oben gerichtetes Fenster. Die Führungszahl 30 entsteht aus der notwendigen, weichen Verneinung („Nein, aber…“). Aus ihr aber kommt es zur Rückwirkung in die konkrete Ebene der Polaritäten. Mir ihr geht die harte Verneinung (30-1) einher, denn sie ist der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit verpflichtet. 

Abb. 30  Die traidische Struktur verlangt zwischen der profanen, linearen (1-2-3) Ordnung und der triadischen (1-2-30) zu unterscheiden. Die triadische Ordnung erklärt das Zusammenwirken von schwacher und starker Verneinung. 

In der Bibel kommen sehr viele Zahlenkombinationen vor, nicht aber die lineare Folge 1-2-3, denn die täuscht über die wahre Funktion (3) des Seins und Daseins hinweg. In ihre Stelle tritt die häufige Zahlenfolge 1-2-30, welche zum triadischen Denken zwingt. Ihre Bedeutung ist „Gewissheit“ oder auch „Trauer“. Obwohl die beiden Bedeutungen mit sehr unterschiedlichen Emotionen verbunden sind, erzwingen sie einen Ebenenwechsel.

7. Die 5te Toledot – der Verneinung einer Sprachform und der Turmbau zu Babel

Die „Sippen der Söhne NOAHs“ (siehe Aufsätze 5te Toledot) und Turm zu Babel) waren durch die Handlungen ihres Stammvaters NOAH im Bewusstsein Erhobene. Sie kannten ihr Vermögen und ihre Pflicht. Die bestand im ständigen Bewahren und Manifestieren der Einheit und Ganzheit. Dazu mussten sie die zwei ihnen möglichen Sichtweisen, die der Linearität und die der Triade in Einklang bringen. Nur so war die Fortentwicklung ihres Bewusstseins auch in der Welt der Dinge und „Ziegel“ möglich. Sie wussten um die dazu erforderliche Richtungsweisung durch das höhere Bewusstsein der Gottheit JHWH. Das aber konnte es nicht verhindern, dass sie die Fehler machten, die ihrem Bewusstseinsstand entsprachen, als sie sich „vom Osten kommend“, d.h. vom Lichte herkommend, in der „Ebene Schinar“ ansiedelten. Ihr Unvermögen bestand darin, die Form von Sprachen nicht von ihrem Inhalt unterscheiden zu können, der letzten Endes immer ein einheitlicher ist. JHWH musste deshalb selektiv und hilfreich eingreifen und das lineare, „geziegelte“ Bauwerk zerstören. JHWH hat auch hier wieder die Linearität verneint. Der Text gibt den Entschluss JHWHs mit dem starken „low“ (1-30) wieder. Darüber hinaus tut er es, wie es die lineare Übersetzung zeigt, mit 11 hebräischen Wörtern (Gen 11:7):

Das starke „low“ (30-1) transportiert in Verbindung mit der Symmetriezahl 11 eine ebenso starke Botschaft. Die Zahl 11 bleibt hinter der 12, der Zahl der Ordnung um eins zurück und vermittelt den oberflächlichen Eindruck des Zweimachens und Zerstörens. In Wirklichkeit verweist die so strukturierte Zweiheit (1-1) und Pluralität auf die Regie der Einheit trotz ihres äußeren Zweiseins. Dieses „sowohl als auch“ ist archetypischer Natur und umfasst selbst den Gottesbegriff. Deshalb spricht der eine und einzige Gott JWHW hier im Plural (siehe „uns“).

Mit dieser Pluralform greift die 5te Toledot auf die erste Erzählung, auf die Archetypenvorstellung in der Sieben-Tage-Erzählung zurück (siehe Symbolik 1—5) in welcher die Gottheit ELOHIM bei der Schöpfung des Menschen ebenfalls im Plural spricht (Gen 1:26). Hier nun wiederholt sich der Vorgang unter der Regie der Gottheit JHWH.

8. Die 6te Toledot – die Geschlechterreife

Die 6te Toledot ist die Toledot des SEMiten, der Nachkommen des ersten Sohnes von NOAH (SEM, HAM, JAFET). Die 4te Toledot hatte schon die Nachkommen aller drei Söhne aufgezählt. Sie war geprägt von einer großen Vielfalt und besaß dinglich betrachtet einen beachtenswerten Umfang. Trotz ihrer großen „Substanz“ (4) fehlte in ihr die Aufzählung der Nachkommenschaft des PELEG. PELEG und JOKTAN, der 12te und der 13te in der Aufzählung waren die zwei Söhne des EBER. PELEG steht für das Prinzip Ordnung (12). Aus ihm geht der Zweig der SEMiten hervor, der auch ABRAHAM, dem Stammvater der späteren ISRAELiten hervorbringt. Die 4te Toledot war demnach – für ihr Wesen typisch – nicht nur von großem Umfang und ein Abbild der Vollkommenheit, sie schließt vielmehr und sichtbar auch das (Ver)Fehlen ein, denn in ihr fehlt die Aufzählung der Nachkommenschaft des PELEG. Dieses Fehlende greift die 6te Toledot auf. Sie zählt und erzählt vom Stammbaum der SEMiten in der Linie des PELEG. 

Hier schon zeigt sich das auf der Polarität (2) basierende Wesen der Sechs, das darin besteht, die Spannung der Polarität aufzugreifen und sie in Fruchtbarkeit zu verwandeln. Erstmal wird ihr Wesen im Verhältnis des 2ten zum 6ten Schöpfungstages in der Sieben-Tage-Erzählung vorgestellt. Dort fehlt dem 2ten Schöpfungstag die Huldigungsformel, was am 6ten Schöpfungstag mit einer erweiterten Huldigungsformel aufgewogen wird (s. Spiegelbeziehung 2|6). Mit anderen Worten: Die Sechs greift auf einen scheinbaren Mangel zurück und macht diesen für die Fortentwicklung fruchtbar. Das macht sie umfänglich. Die 6te Toledot schlägt den denkbar größten Bogen über alle vorangehenden Texte und die dort auftauchenden Fehler. Wegen ihrer grundsätzlich erlösenden Wirkung thematisiert sie die Fehler nicht, sondern macht deren Potential sichtbar. Sie kennt viele und große Spannungen, artikuliert aber keine Verneinung. 

Die neue und andere Sichtweise der Sechs wird besonders deutlich an ihrem Blick auf den Tod, der die denkbar größte aller Verneinungen ist. Die 2te Toledot stellt den durch ihn erzeugten Bruch (2) ins Zentrum ihrer Erzählung und schließt die Aufzählung der Lebensdaten ihrer Subjekte jeweils mit dem Satz Und er starb“. Das gibt ihr den Beigeschmack des Todes.

Die 6te Toledot verzichtet hingegen auf diesen Satz und stellt die von ihr genannten Lebensdaten der Subjekte in den Kontext des Zeugens und der Fortentwicklung. Die Beschreibung der jeweiligen Gesamtlebenszeit eines Subjekts wird inhaltlich nicht an den Tod, sondern an das Zeugen und Weiterleben gebunden. Die Formulierung „Und er lebte danach (nach der Zeugung) noch … Jahre“ greift sowohl die erzählenden als auch die zählenden Aspekte der zweiten und vierten Toledot auf und konnotiert sie auf positive Weise.

Dennoch verzichtet die 6te Toledot nicht auf die nahezu kaskadenförmig auftretenden Spannungen. Jeder der Protagonisten weicht von der vorgestellten Ordnung und Vollkommenheit ab, einmal bleibt er ihr gegenüber zurück, ein anderes Mal bricht er sie, weil er ihr vorauseilt. Bei PELEG dem 5ten semitischen Geschlecht ist das „Zurückbleiben“ noch offensichtlich, denn seine Nachkommen wurden in der an sich vollkommenen 4ten Toledot noch nicht genannt. Bei den Nachfolgegeschlechtern ist die Abweichung eine verborgene. So zeugt PELEG mit 30 Jahren, sein Sohn REGU aber erst mit 32 Jahren. Dessen Sohn SERUG  zeugt wiederum wie sein Großvater PELEG mit 30 Jahren, bleibt aber dennoch als dessen Abkömmling auf ihn bezogen. Das verrät sein Name, der „Zweig“ bedeutet. 

Der Sohn des SERUG ist NAHOR. Er zeugt schon mit 29 Jahren und eilt dem Vorbild des von PELEG gesetzten Vorbildes von 30 voraus. Erst TERACH die vierte Nachfolgegeneration des PELEG bildet nach dem Gesetz der Vier ein neues Ganzes. TERACH überschaut die verschiedenen Abweichungen vom Ideal der vorgestellten Vollkommenheit und bildet so das Fundament für eine neue Bewusstseinsdimension. Sie nimmt über seine drei Söhne ABRAM, NAHOR und HARAN in der 7ten Toledot Gestalt an. 

Die Basis dieser 7ten Toledot, der sogenannten „Toledot des TERACH“ ist TERACH durch die Qualität seiner (Be)Zeugung. Er zeugt „im Alter von 70 Jahren“. Die Metapher besagt, dass er „sehenden Auges“ zeugt, denn die Zahl 70 ist der Zahlenwert des Ajin (o), des 16. hebräischen Buchstabens, der „Auge“ bedeutet.

Die 6te Toledot demonstriert die Geschlechterreife, weil sie die Unterschiede auf ihre Fruchtbarkeit hin deutet und umsetzt. Wie die Geschlechtsreife die Unschuld der Kindheit abschließt, wird sie zum End- und Umkehrpunkt der sogenannten biblischen Urgeschichte. Die Verneinung wird nicht mehr in linearer Weise ausgerollt oder heraushebend benannt. Sie wird vielmehr veredelt und durchlebt. 

9. Die 7te Toledot – Die Verneinung und ihre Herausforderung im konkreten Dasein

Die sechs Toledot haben nach dem Vorbild der sechs Schöpfungstage das Prinzip des jeweils Fehlenden und der mit ihm einhergehenden Verneinungen systematisch nachentwickelt. Würde die letzte und größte Verneinung des Lebens, der Tod nicht den vom konkret Lebenden vorgestellten Daseinsrahmen sprengen, wäre keine 7te Toledot notwendig. Tatsächlich aber kann das Bewusstsein die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit nur reflektieren, wenn auch das über die Welt Hinausreichende einen Platz in ihr erhält und die Beziehung zu ihm eine definierte und nicht mehr eine unbestimmte und somit bedrohende ist. Mit anderen Worten: Das Jenseitige und Göttliche, das in die Welt zurückwirkt, muss vom Bewusstsein eingeholt werden. Das aber kommt dessen „relativer Verneinung“ gleich, wie sie später im Kampf zwischen der Gottheit und JAKOB geschildert wird (Gen 32:24-33). JAKOB obsiegt mit dem Preis, dass er ab sofort und dauerhaft an einer Seite verletzt ist und nun „durch das Leben hinkt“. Was wie eine Demütigung in beide Richtungen erscheint, ist der Ritterschlag des Bewusstseins schlechthin. Die Verneinung bleibt, aber sie adelt die Parteien. 

In diesem Rahmen stellen sich unzählige Fragen in Bezug auf das konkrete Verhalten der Menschen im Hier und Jetzt. Die siebte Toledot ist wieder übervoll von Verneinungen. Sie lehrt, wie man mit den fortlaufenden Verneinungen des Lebens umgeht. Im stets scheinbar vollkommenen Wissen um den richtigen Umgang aber irren ihre Protagonisten sich zu immer neuem Bewusstsein empor. Wollte man das Wirkprinzip in Bezug zum göttlichen Verhalten zusammenfassen, so bleibt die Feststellung, dass der Mensch nicht alles verstehen und rational einholen kann. Aber er weiß nun, WARUM er es nicht kann und dass das „Nichtkönnen“ sein Bewusstsein herausbildet und unwiderruflich unter dem Schutz der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit steht.

Fußnoten

¹ NAAMA ist eine Vierte und somit Sinnbild der Vollkommenheit. In ihr bekommt die Zweiheit den ihr gebührenden Platz und kann so die Fruchtbarkeit erzeugen. Die Vier schließt nicht mehr aus, so wie es das profane Verständnis der Zweiheit noch suggeriert. Dass diese Vollkommenheit (nur) durch das Weibliche illustriert wird, ist dem Erzählrahmen geschuldet. Die Genesis gleicht diesen Mangel aus, indem sie den Namen NAAMA ein zweites Mal erwähnt, diesmal als männlichen Namen. NAAMA ist der 5. Sohn BENJAMINs, der insgesamt 10 Söhne hat (Gen 46,21). In der Beziehung von NAAMA und BENJAMIN, dem Liebling JHWHs (Dtn. 33,12) schwingt die Tetraktys (10 =1+2+3+4) und die JHWH-Formel 10 = 5+5 mit.

² Der Satz „Im Verfehlen (ist) er (eine) Botschaft“ wird oft (u.a. Elb, Lut) in dem Sinn übersetzt: „Er (Mensch) ist auch Fleisch“. Solche Übersetzung reflektiert nicht tiefgründig genug die Mehrfachbedeutungen der hier gebrauchten Begriffe „auch“ und „Fleisch“. Das unbestimmte und schwache „auch“ bezieht sich auf ein Verfehlen im Sinne eines dem Menschen nicht oder nicht immer bewussten Mangels. Auch ein auf Unwissenheit zurückzuführendes Versehen bleibt ein Teil der ganzheitlichen Ordnung (12). Das noch nicht vorhandene oder mangelnde Bewusstsein führt auf Abwege, jedoch früher oder später wieder zur erkennbaren Ganzheit zurück. Die vermittelnde Substanz ist das Fleisch. Durch das Fleisch wird die verlorengeglaubte Botschaft zurückgewonnen. So sind im Hebräischen die Begriffe „Fleisch“ und „Botschaft“ ( rCb / 2-300-200 ) identische Begriffe. Die zumeist gebrauchte, alleinige Übersetzung mit „Fleisch“ bleibt inhaltlich deshalb unvollständig, denn es vermittelt unzureichend die Ausrichtung eines Fleisches an der Vereinigung mit seinem Gegenpol. 

³ Die 12 Verneinungen der 3ten Toledot sind:

7:2 / 7:8 / 8:9 / 8:12 / 8:21 / 8:21 / 8:22 / 9:4 / 9:11 / 9:11 / 9:15 / 9:23

⁴ Der Rückgriff auf den Anfang ist radikal, denn auch der Prolog, der noch weiter zurück reicht, kennt keine Verneinung. Das ist bemerkenswert, denn der Prolog thematisiert auf sehr abstrakte Weise bereits das Wesen der Zweiheit, das Wesen der Zahl, aus der die Verneinung erwächst. Dass selbst der das Wesen der Zwei beschreibende Prolog der Verneinung nicht bedarf, das fällt insbesondere im Wissen um die Qualität der Vierzahl ins Auge.

⁵ Gen 6,15 gibt die Maße der Arche an: 300 Ellen Länge, 50 Ellen Breite und 30 Ellen Höhe.

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