Vom Wesen der Zahl oder von der heiligen «Ordnung der Neun» zum Dezimalsystem
Vom Wesen der Zahl oder von der heiligen «Ordnung der Neun» zum Dezimalsystem von Michael Stelzner Inhaltsverzeichnis 1. Die Frage nach dem Zahlensystem ist eine
von Michael Stelzner
Der wahre Zusammenhang zwischen der linearen Ordnung der Zahlen und den Archetypen, die für ihre Beschreibung ebenfalls der Zahlen bedürfen, erschließt sich über den Begriff der Identität. Identität offenbart sich ganz am Anfang der Entwicklung mit der Zahl Zwei und der ersten aller denkbaren Beziehung, der Beziehung von Bruch (2) und der ihr vorausgehenden Einheit (1). Ich nenne sie die Abram-Beziehung, weil die in ihr liegende Forderung in der biblischen Figur des Abram beschrieben wird. Aus dieser ersten Beziehung heraus entfaltet sich die gesamte, metaphysische Ordnung.
Die Zahlenfolge führt uns die Linearität zwar vor Augen, doch wenn wir in die geometrischen Gestalten der Archetypen vordringen, erkennen wir immer auch den in ihnen zugleich enthaltenen Bruch (2). Es gibt keine Existenz ohne Bruch. Der Bruch ist ein notwendiger Bestandteil des Ganzen (1). Die Zwei, das Fehlen und somit der Bruch sind regelrecht das Zeichen des Daseins. Die Linearität erweist sich nicht als das, für das sie uns anfangs erscheint. Auch sie lebt vom Bruch, dem Bruch zwischen den Zahlen. Die Linearität ist nur ein Hilfsmittel für die Erkenntnis der metaphysischen Ordnung und die Herausbildung von Bewusstsein.
Wir benötigen zur Visualisierung der Ordnung notwendigerweise die Zahlen und ihre Linearität. Doch übersteigt die vom Menschen erkennbare Ordnung die lineare Ordnung der Zahlen. Platon hat uns mit der Ideenlehre, den Zahlen als Idee sowie seiner triadischen Sichtweise den wichtigsten Schlüssel für das Verstehen einer umfassenden Ordnung übergeben. Der von ihm gesteckte Rahmen war ein erster und grundsätzlicher. Sein Schüler Aristoteles hat ihm mit seiner Substanzlehre danach widersprochen und nachgewiesen, dass die Zahlen nicht der Weisheit letzter Schluss sein können. Darin hatte auch er Recht. Gleichwohl sind die Zahlenarchetypen zum vollständigen Verstehen der Substanzlehre wiederum notwendig.
Um beide Philosophen auf einen Nenner zu bringen, müssen wir die lineare von der triadischen Ordnung unterscheiden. Die strikte Zuordnung eines Archetyps auf exakt eine und nur eine Zahl ist nicht möglich und führt in die Irre. Dennoch führt der Weg zur Erkenntnis der Ordnung immer über die Zahl und deren Beziehung zu den Archetypen, die ihrerseits triadisch geordnet sind.
Wenn man in allem Existierenden stets die Zwei und den Bruch findet, stellt sich die Frage nach einer letzten Sicherheit in der denkbar radikalsten Weise. Ihre Antwort liegt in der Eins, die ohne die Zwei für uns nicht existent erscheint. Die Schau dieses ungleichen Verhältnisses beider Entitäten lässt in uns Identität aufkommen. Identität setzt Unterschiedenheit voraus. Identität ist Heimat. Wer das Heimatgefühl verspürt, der weiß um die Fremde. Doch kann er die Frage nach seiner Identität, seiner Heimat beantworten. Wer daheim ist, ist in einer übersichtlichen, vertrauten Welt.
Der Begriff der „Heimat“ entspricht in allen seinen Aspekten der Zahl Vier. Er berührt die Identitätsfrage: „Wer bin ich?“ In der Vier scheint die Einheit auf und die steht für Geborgenheit. Sie symbolisiert Vertrauen. Die Vier, die Heimat ist ein menschliches Grundbedürfnis, der Wunsch nach einer einheitlichen, vertrauten, übersichtlichen und kontrollierbaren Welt. Das dt. Wort „Heimat“ kommt vom urgermanischen >haima<, und es bedeutet soviel wie „bekannte Welt“ oder „Universum“.
Wahre Heimat ist weder ein Haus noch eine Gemeinschaft oder Religion. Sie sind nur Aspekte von Heimat. Diese Botschaft vermitteln in letzter Konsequenz die Religionen, sofern sie wahrhaftig sind. Beispiele für diesen letzten, notwendigen Bruch begegnen uns vielen Symbolen der Sakralbauten. Hier sei einer genannt: In vielen gotischen Kathedralen, etwa bei Notre-Dame in Paris , verläuft die Hauptachse der Kirche nicht völlig gerade, so dass das Mittelschiff und die Altarmitte nicht auf einer Linie liegen. Die häufig erhaltene Erklärung, dies sei ein Zeichen der Demut und eine Mahnung an die Gläubigen, denn der Mensch sei unvollkommen, und nur Gott allein sei vollkommen, ist eine Halbwahrheit. Sie ist unvollständig, weil sie die Identität des Menschen mit der Gottheit verschweigt.
Die Linearität täuscht und doch macht uns unsere Vorstellung von ihr erfolgreich. Sie ermöglicht uns nicht weniger als zu rechnen. Die Linearität wird uns scheinbar vom Modell des Euklid vorgegeben. Doch betrachten wird dieses genauer, erweist es sich als unvollständig. Zeichnen wir an irgendeiner Stelle auf unserem Planeten eine Gerade, so zeichnen wir in Wirklichkeit das Stück eines Kreises auf der Erdkugel. Genau genommen gibt es im gesamten Kosmos keine Linearität. Selbst das Licht breitet sich nicht linear aus, denn auch das wird, wie wir wissen, von Kraftfeldern abgelenkt. Was für die Linie gilt, das gilt auch für die Ebenen. Auch sie existieren nicht wirklich als echte Ebenen. Auch sie sind im besten Falle nur Ausschnitte von einer Kugeloberfläche. Was für die Linie und Ebene gilt, das gilt auch für die dritte Dimension, unseren Raum.
Linearität und lineares Schauen ist ein Übergangszustand. Sie führen über kurz oder lang in eine Sackgasse. Linearität verlangt nach dem Ebenenwechsel! Deutlich wird das an kuriosen Beispielen, wie beispielsweise an der Anzahl der Gene eines Menschen. Eine Kartoffel besitzt mehr Gene als der Mensch. „Das Erbgut eines Menschen besteht aus rund 23 000 Genen. Das das sind etwa 15 000 weniger, als eine Kartoffel besitzt. Auch Tomaten, Wasserflöhe und andere Organismen sind uns in dieser Hinsicht überlegen; ein Kohlkopf hat sogar mehr als 100 000 Gene. Warum ist der intelligente und mit zahlreichen Organen ausgestattete Mensch genetisch spärlicher konstruiert als Gemüse? (der Zeitschrift PM entnommen).
Die Vorstellung vom Tod setzt die Vorstellung der Linie mit Anfang und Ende voraus. Sie erhebt nicht den Blick in der Vertikalen und entbehrt darin der Vorstellung eines Dimensionswechsels. Der Tod ereilt die Linearwesen. Das Prinzip des Dimensionswechsels ist das Prinzip der Evolution. Wenn eine Spezie ausstirbt, dann hat sie sich zuvor in die Linie verliebt und sich dem Dimensionswechsel widersetzt. Auf diese Weise erklärt sich beispielsweise das Aussterben des Neandertalers.
P.S.
s.a. Aufsatz „Die Crux mit der Linearität der Welt, oder wie aus der Linie die Triade und das Fraktal entstehen“
Fußnoten
¹ Um sich das zu veranschaulichen sollte man versuchen, die Zahlenfolge mit den geometrischen Mustern zur Deckung zu bringen. Dabei ergeben sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten, in der die Folge der natürlichen Zahlen aufscheint. Immer aber wird zugleich auch der Bruch als fortlaufender Dimensionswechsel sichtbar:
² Die Redewendung aus Goethes „Faust II“ (V. Akt, Vorhof des Palastes) verbildlicht, dass es nichts absolut Endgültiges geben kann und alles einer Dynamik unterliegt.
Das ist der Weisheit letzter Schluss.
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muss!
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