Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Brüderpaare – eine Metapher der Urbeziehung 1—2

von Michael Stelzner

Inhaltsverzeichnis

1. Die Beziehung aller Beziehungen

Die Metapher vom Brüderpaar und dessen Konflikten finden wir in zahlreichen Mythen und in den unterschiedlichsten Kulturen. Sie spricht die Urbeziehung aller Beziehungen an und ist aus diesem Grunde auch die Grunderzählung der Philosophie und Religion. Die Metapher umfasst vielgestaltige Erzählungen vom einfachen, in Konkurrenz stehenden Bruderpaar über die Zwillingserzählung bis hin zur Erzählung vom Verhältnis des Menschen zu seiner Gottheit. Immer aber geht es dabei um die Fortentwicklung einer unauflösbaren Beziehung. Das Brüderpaar steht für eine Zweiheit, deren beide Teile aus der gleichen Einheit kommen, doch jedes auf seine Weise diese Einheit repräsentiert. Die sekundären Unterschiede der beiden führen zum Konflikt. Will man zu einer Lösung vordringen, ist ein Dimensions- und Perspektivwechsel der Parteien notwendig. Wie der aussieht, das verrät die hinter der Metapher vom Brüderpaar stehende Zahlensymbolik. Es geht um die Eins und die Zwei und ihr Verhältnis zueinander. Diese Zahlen sind die beiden ersten der Zahlenreihe. Mit ihnen entsteht das erste Verhältnis überhaupt, das maßgebend für alle ihm nachfolgenden Beziehung ist. Das Muster Eins—Zwei durchdringt alle Daseinsbereiche des Lebens. Wir finden es im täglichen Kleinkonflikt ebenso wie in den großen philosophischen Theorien. Der Gegensatz und Konflikt von Leben und Tod, von Allem und Nichts nimmt im ersten Zahlenpaar seinen Anfang. Wer die großen Fragen des Lebens lösen will, der muss sich mit dieser ersten aller Beziehungen beschäftigen. Die Widersprüche zwischen Platon und Aristoteles, zwischen Körper und Geist und zwischen der Relativitätstheorie und der Quantenphysik sind nur ein Abbild ihrer.

2. Die lineare und die triadische Sicht auf die Ordnung der Zahlen

Das Urpaar „Eins und Zwei“ führt zum Scheideweg zweier Sichtweisen. Die eine geht von der unvollständigen aber vorherrschenden Vorstellung aus, die Welt und die Zahlen würden sich linear fortentwickeln. Die andere reflektiert die prinzipiell hinter jeder Struktur wirkende Trias. Sie führt zu einer fraktalen Betrachtung der Welt, bei der die unentwegt neu entstehenden Polaritäten immer auch neue und größere Dimensionen hervorbringen. Die sogenannte „Flussform der Zahlen“ verschafft dem Betrachter über das Wesen der Zahl einen Einblick in das Entstehen und Lösung von Spannungen. Die Flussform der Zahl beruht auf dem Wesen der Drei. Die der Drei in gleicher Weise folgenden Zahlen erzählen dem Betrachter vom „Fließen der Welt.“ Im Anblick der Ordnung erfährt er etwas vom „rechten Verhalten“ in dieser Ordnung. Der Mensch wird mit beiden Sichtweisen konfrontiert. Das lineare Muster hilft ihm in der Routine des täglichen Alltags. Die aktive, den Logos herausfordernde Entscheidungsfindung hingegen folgt stets dem triadischen Muster. Die Aufgabe eines reifen Bewusstseins ist es deshalb, die beiden Sichtweisen auf die Welt und somit auf die Zahlen in Einklang bringen.

Abb. 1   Das Urpaar 1—2 kann man sowohl linear als auch triadisch fortführen.

Wenn die Mythen der Welt sich bei der Beschreibung ihrer Grundordnung vornehmlich der Metapher des Brüderpaares bedienen, dann erzählen sie von einem durch Linearität entstehenden Konflikt hinter dem sich das verbindende Wesen der Drei verbirgt. Schon in der Zwei wohnt die Einheit. Trotz ihres Wesens der Gegensatzbildung ist sie auf die Einheit ausgerichtet. Das Wesen der Zwei ist weder Willkür noch Zufall. Die von ihr ausgehenden Wirkungen sind auf die Einheit hin „maßgeschneidert“. Das illustrieren eindrucksvoll der altägyptische Mythos, die Tora (Altes Testament) und die Evangelien (Neues Testament).

3. Der altägyptische OSIRIS-Mythos

Der altägyptische OSIRIS-Mythos berichtet vom Streit der göttlichen Brüder OSIRIS (Fruchtbarkeit) und SET (Dürre). Der listige SET handelte schändlich, aber nicht willkürlich. Er baute als Geschenk für OSIRIS eine „maßgeschneiderte“ Kiste, in die er als einziger exakt hineinpasste, verschloss sie und warf sie in den Nil. OSIRIS wurde durch das Schicksal in 14 Teile zerstückelt. Doch seine Gattin ISIS suchte und fand davon 13 Teile. Nur der Penis verblieb im Nil-Fluss und bewirkt seitdem dessen ewige Fruchtbarkeit. ISIS vollbrachte das Wunder, das nur die ureigene Weiblichkeit zu vollbringen vermag. Sie setzte OSIRIS trotz des ihm anhaftenden Fehlers wieder zu einem fruchtbaren Ganzen zusammen. Sie empfing von ihm den gerechten, späteren Gott HORUS. Der ächtete das Tun des SETs und verbannte ihn zum Herrscher über die Unterwelt. Ab da an herrscht über ihn OSIRIS der Lichtgott. SET aber muss ihn ein Leben lang tragen! Am Ende der Erzählung steht ein größeres Ganzes, in dem das Fehlen und Verfehlen seinen Platz findet. Der Zwist (2) des Anfangs wird durch die zielgerichteten (8) Handlungen der Götter zu einem offensichtlich in sich orientierten Ganzen.

4. Der Mythos von SET (Tora) dem Dritten, an der Stelle von ABEL, dem Zweiten

Der Name SET steht im altägyptischen Mythos anfänglich für den negativen zweier Pole. Im Laufe des Mythos wird er zum Träger des OSIRIS und damit zum Träger des Lichtes. Das Wesen des Zweiten und vermeintlich Bösen, das sich zum Lichtträger verwandelt, findet sich in den späteren Mythen der jüdischen und christlichen Religion wieder. In der Genesis (Tora) ist SET dann der dritte Sohn des Urpaares ADAM und EVA, aus dem alle Menschen hervorgehen werden. Im christlichen Mythos finden wir eine ähnliche Verknüpfung. Dort ist das personifizierte Böse der sogenannte Luzifer. Der aber bedeutet „Lichtträger“ und ist nicht weniger als der gefallene Lieblingsengel Gottes.

Die Genesis nennt SET als einen Dritten. In Wirklichkeit ist es das „Prinzip des Dritten“, das als Zwei bzw. in der Zwei lebt. Klar wird das, wenn man reflektiert, dass SET an die Stelle des ursprünglich Zweiten tritt. Er ersetzt den zweitgeborenen ABEL, der von Kain einst erschlagen wurde. Auf diese Weise wird SET zum biologischen Urahnen aller Menschen.

„((1)) Und Adam erkannte wieder seine Frau. 

 ((2)) Und sie gebar einen Sohn. 

 ((3)) Und sie benannt ihn bei seinem Namen SET. 

 ((4)) Denn: GOTT hat für mich einen anderen Samen gesetzt an die Stelle ABELs. 

         Denn: KAIN hatte ihn erschlagen“ (Gen 4,25).

Der „Manifestationsakt“, der SET hervorbringt, wird im Originaltext mit vier hebräischen Sätzen beschrieben. Deren Übersetzung zeigt die Verbindung zweier Perspektiven, der Erzählerperspektive und der Erlebensperspektive. „Die Frau“ (die „Zweite“) begründet das Geschehen im vierten (4 = 22), zweiteiligen Satz mit einem zweifachen „denn“. Das stellt die Ganzheit wieder her. Das Wesen von SET umfasst zwei Dimensionen und es stellt darin den Tod von ABEL in ein ganzheitliches Licht. In ihm scheint auch das Wesen von ABEL in einem anderen Licht. In ABEL wird der Tod gegenwärtig. Das erklärt die Bedeutung des Namens ABEL als „Windhauch“.

5. Der Mythos vom Zwillingspaar ESAU und JAKOB (Tora)

Zwillinge vergegenwärtigen in besonderer Weise die Polarität als eine verborgene Einheit und Ganzheit. Die Einheit von Zwillingen wird in einem Dritten, nämlich in der Funktion zwischen beiden deutlich. Sie ist Gegenstand der Erzählung von den Zwillingsbrüdern ESAU und JAKOB. Der in der sogenannten Vätergeschichte erzählte Familien-Zwist ist zunächst eine Erzählung über ISAAC, dem zweiten der drei Urväter (Gen 25). Als seine Frau REBECCA die Zwillinge zur Welt bringt, entsteht das entscheidende Dritte – die Dynamik. 

Im Mittelpunkt der Erzählung steht jedoch eine Urspannung, der Antagonismus (Feindschaft) zwischen den Brüdern. Darin knüpft die Erzählung inhaltlich an die Erzählung von Kain und ABEL an, kehrt aber deren Muster von „gut und böse“ um. War Kain, der Erstgeborene noch der böse Totschläger, so ist es nun Jakob, der Zweitgeborene, der seinen Bruder Esau übervorteilt und sich mit List dessen Erstgeburtsrecht verschafft. Im Falle von Kain und Abel gab es für den Zwist der Brüder eine ihnen lang vorausliegende Ursache: die Gottheit! Sie war es, die sich nur von einem der beiden Opfer angesprochen fühlte und den Konflikt ins Rollen brachte. Das Konfliktpotential war älter als die Brüder selber. Auch im Falle von Esau und Jakob „stießen sich die Kinder“ schon im Leib der Mutter REBECCA und schon dort hielt der zweitgeborene JAKOB seine „Hand fest an der Ferse“ von ESAU (Gen 25,26). Das macht die Erzählung zu mehr als nur einer Erzählung über die Zwei und die Polarität, denn sie verweist zugleich auf ein gemeinsames, verbindendes Drittes, so, wie es Zwillinge symbolisch tun. Zwillinge unterscheiden sich und ordnen sich auch einander hierarchisch zu, vermitteln aber beide auf ihre Weise die Ganzheit. Der erstgeborene Esau vermittelt sie über seine rotbraune Gestalt (rotbraun = 1-4-40-6-50-10 = 111). Sie verweist auf den Logos, auf das Gesetz (Logos) der Einheit in der Unterschiedenheit. Es konstituiert jedes Seins in seinem konkreten Zwei-Sein (Gen 25,25). Jakob hingegen verweist durch seine „Handlung“ auf den Archetyp der Drei und seine verbindende Funktion. Der Punkt der Verknüpfung und des Anstoßes ist die „Ferse“. Beide Symboliken, sowohl die des „rotbraunen ESAU“ als auch die des „an der Ferse festhaltenden JAKOB“ greifen auf den frühen Paradiesfall zurück, in dem die Bewusstseinsentwicklung der Menschen ihren Ausgang nahm. Das sich im Zwiespalt befindende Paar ADAM und EVA wurde zur Handlung aufgefordert und sie haben gehandelt. Sie haben durch EVA, die „Zweite“ der beiden gehandelt. Daraufhin hat die Gottheit mit den zwei Namen, „JHWH Elohim“ Feindschaft gesetzt zwischen dem Samen der Schlange und dem ihren:

Und-Feindschaft setze-ich zwischen-dich und-zwischen die-Frau und-zwischen deinen-Samen und-zwischen ihren-Samen. Er, er-wird-dir-zermalmen das-Haupt, und-du, du-wirst-ihm-zermalmen die-Ferse (70-100-2)“ Gen 3,15.

Die von JHWH Elohim einst gesetzte „Feindschaft“ nimmt erst in KAIN und später in JAKOB Gestalt an. Der Name JAKOB (10-70-100-2) gibt das preis. Er enthält den Wortstamm 70-100-2, der auch „Ferse”, „dafür” oder „hintergehen / betrügen / überlisten“ bedeutet. Der Wortstamm berichtet von einer anderen und höheren (göttlichen) Sicht und Wirkung, die im Irdischen nicht als die verbindende und verbindliche Kraft wahrgenommen wird, die sie ist. Sie wird vielmehr als ein destruktiver Gegensatz wahrgenommen. Was sie in Wirklichkeit ist, das verraten die Zahl-Symbole in ihrer Abfolge (s. Abb. 2). 

 

Abb. 2   Der Wortstamm 70-100-2 bedeutet sowohl JAKOB als auch „Ferse“, „dafür“ oder „hintergehen / betrügen / überlisten“. Sein Mittelpunkt, das Nadelöhr verbindet das Auge mit dem Haus. Es verbindet metaphorisch die Fähigkeit von vertikaler und horizontaler Unterscheidung.

Die Zahlenfolge beginnt mit dem Ayin (צ) und seinem Zahlenwert 70. Der steht in der hebräischen Symbolsprache für das überschauende (göttliche) Auge, das sich vom Wahrgenommenen notwendig vertikal unterscheidet (2). Das Ende der Folge bildet das Beth (ב) mit dem Zahlenwert Zwei. Sein Symbol ist das Haus. Das wiederum ist ein im Natürlichen und Irdischen horizontal Abgegrenztes (2). Dabei verdankt es seine Existenz dem übernatürlichen Ganzen (1).

Zwischen Anfang (70 / Auge ) und Ende (2 / Haus) steht das Quoph ( ק ) mit dem Zahlenwert 100. Sein Symbol ist das Nadelöhr. Es verbindet in der Metapher von Nadel und Faden zwei unterschiedliche Daseinsebenen. Sowohl das Auge, das von oben schaut, als auch das Haus im Irdischen existieren durch Polarität und eine ebensolche dritte verbindet sie. In dieser dreigegliederten Zahlenfolge der Polarität (2) verliert diese ihre Willkür, denn sie ist in das größere Ganze eingebunden. Die Zwei und Polarität ist eben nicht ohne Beziehung sondern auf die Einheit hin „maßgeschneidert“, wie einst die Kiste für Osiris im altägyptischen Mythos. „Dafür“ steht auch die „Ferse“, sowie der „Betrug“ die ihren Wortstamm mit dem Namen des Zwillings JAKOB teilen.

Eine den fortlaufenden Mythos erklärende Ergänzung

Am Ende geht es trotz aller Irritationen darum, mit Hilfe der zwei Pole ein neues Ganzes zu erstellen. In der Erzählung von ESAU und JAKOB erschreckt deren blinder Vater ISAAC, denn er ist in der Väterhierarchie ABRAHAM, ISAAC und JAKOB selbst ein Zweiter und somit sichtbarer als die anderen unvollkommen, alias „blind“. Seine Leistung besteht darin, dem Logos zu folgen und anstatt die Zwei und den Zwiespalt zu ignorieren, sie vielmehr zu „erhöhen“. So ist es nur folgerichtig, dass ISAAC seinen Sohn JAKOB zweimal segnet, einmal unfreiwillig und das andere Mal freiwillig (Gen 27,26 + 28,1). In seinem Verhalten bekräftigt er die im Hintergrund wirkende Ganzheit. Am Ende zieht JAKOB im Auftrag von Mutter UND Vater aus (Gen 27,43 + 28,5). Doch er zieht nicht irgendwohin. Auch er wendete sich dem Prinzip der Zwei zu anstatt ab und geht nach Paddam-Aram zu BETUEL, dem Vater seiner Mutter. Dort begegnet ihm wieder der Zwiespalt. Diesmal steht der Zwiespalt im Licht der Liebe zur zweitgeborenen REBECCA. JAKOB muss zuerst die erstgeborene LEAH heiraten, um seine Liebe erfüllen zu können. Mit anderen Worten: Er muss den Zwist (2) auf zweifache Weise erhöhen, um Einheit zu erfahren (s. die Symbolik des „bara“ 22001 in Gen 1).

JAKOB muss sich zweifach dem höheren Ganzen unterwerfen. Er muss zweimal sieben Jahren dem Brautvater LABAN dienen. Indem er zunächst unfreiwillig die von ihm nicht geliebtete aber erstgeborene Leah zur Frau nimmt, schärft er sein Bewusstsein über den Logos und die von ihm ausgesagte Fruchtbarkeit: Die Eins – hier in Form der erstgeborenen LEAH – muss sich in Vierzahl niedeschlagen. Erst nach der Geburt von vier Söhnen durch LEAH gebährt auch REBECCA.

Der Zwillingsbruder ESAU hingegen wendet sich zu seiner Fortentwicklung der anderen Seite seiner Famile zu. Er geht zu ISMAEL, dem Bruder seines Vaters und nimmt sich dessen Tochter MAHALAT zur Frau. Der Text betont, dass ESAU sie zu den anderen Frauen „hinzunimmt“. Für ESAU steht der Aspekt des direkten Hinzugewinnens (2 = 1 + 1) anstatt der des zunehmenden Differenzierens (2-200-1) im Vordergrund. Das Andere und Zweite das ergänzt, erwächst aus dem Gesetz des Logos (s. 1-4), das ein Gesetz der Addition ist und das bereits in der Zahlenfolge des Erdbodens (1-4-40) zu finden ist. JAKOB verkörpert es in der Farbe „rotbraunen“ (1-4-40-6-50-10 = 111), die bei seiner Geburt zutage tritt.

Die Wege von ESAU und JAKOB vereint die Suche nach der Zwei, die Suche nach einer Frau. Ihre Wege verlaufen in entgegengesetze Richtung. JAKOB sucht sie in der Famile der Mutter, ESAU hingegen in der Famile des Vaters. Das Vatergechlecht ISAAC verbindet sie. Es ist für die Zwillinge der Repräsentant der Einheit und es ist zugleich der Repräsentant des verbindenden Dritten. In dieser Funktion schickt ISAAC seine Söhne in zwei verschiedene Richtungen.

ISAAC ist aus der größeren Sicht der drei Urväter ABRAHAM, ISAAC und JAKOB auch ein Zweiter. Als solcher tritt bei ihm das Unterscheiden und Abgrenzen besonders hervor. So wundert es nicht, dass er JAKOB keinesfalls erlaubt, eine Frau von den Kanaanitern zu nehmen. Würde das geschehen, dann würden die Grenzen alias die Zweiheit mißachtet. Der rotharige, den LOGOS repräsentierende Esau hört die Warnung an JAKOB, den Zweitgeborenen und versteht daraufhin die Notwendigkeit der Abgrenzung:

 „… Nimm ja nicht eine Frau von den Töchtern Kanaans! … … … da sah Esau, dass die Töchter Kanaans übel waren in den Augen seines Vaters Isaak. Und Esau ging zu Ismael und nahm sich Mahalat zur Frau, die Tochter Ismaels …“ (Gen 28,6f).

6. Der Mythos von JOSEF und seinen 11 Brüdern (Tora)

Erzählung von JOSEF und seinen Brüdern schließt als letzte von zahlreichen Erzählungen die Genesis ab. Auch sie greift auf die Metapher vom Brüderpaar zurück. In diesem Fall handelt es sich nicht um ein Brüderpaar, sondern um das Paar von „Einheit und Vielheit“ alias dem „Paar“ vom reifen Individuum und der ihm gegenüberstehenden Mehrheit von elf brüderlichen Subjekten – dargestellt an Josef und seinen Brüdern.

Die abschließende Erzählung wird systematisch vorbereitet. Dazu gehören vor allem die Charakterisierungen der 12 Stämme Israels. Sie umfassen die von JAKOB begründete heilige Ordnung des Gottesvolkes ISRAEL. Aber auch dem Geschlecht JAKOB und den 12 Stämmen geht seinerseits ein sie begründendes Paar voraus. Es sind die Vätergenerationen ABRAHAM und ISAAC. Sie bringen JAKOB und mit ihm die heilige Ordnung des Gottesvolkes hervor.

Das Voranstellen eines Paares anstatt einer solitären Eins hat Prinzip und zeigt hier ein weiteres Mal, dass die solitäre Zahl Eins allein nicht existiert. Bei genauem Hinschauen erweist sie sich stets als ein Zwei-Sein. Das gilt auch umgekehrt und erzeugt das Ur-Paar aller Paare. Bei ihm geht es um nichts anderes als um das wohlproportionierte Verhältnis zweier Größen, in dem die Prinzipien von Symmetrie und Asymmetrie ihren Platz in einem Ganzen finden.

Die Erzählung von Josef und seinen auf ihn eifersüchtigen Brüdern beschreibt dieses Verhältnis. Sie umreißt das hohe Bewusstsein dieser letzten Figur der Genesis anhand der Symbolik der Zahlen Elf und Zwölf:

Der begnadete und wahrträumende Josef (s. die Josefs-Träume) wollte sich im Auftrag seines Vaters Jakob des Wohls seiner Brüder und ihrer Viehherden vergewissern, als ihm deren Ablehnung entgegenschlug. Der Bewusstseinsunterschied zwischen beide Seiten war zu groß, dass ihn JOSEF hätte vermeiden können. Die von Eifersucht und Neid getriebenen Brüder trachteten nach seinem Leben. Nur der erstgeborene Ruben widersprach und wollte alles zum Guten wenden und JOSEF zum Vater zurückbringen. Gerade der Erste (1) der Zwölf widerspricht (2)! Im Ersten werden die Qualitäten der Eins und der Zwei sichtbar. Aufgrund des Widerspruchs wurde JOSEF nicht erschlagen, sondern nur in eine Zisterne geworfen, in der gerade kein Wasser war. Aber JUDA, der vierte der Brüder, der seinem Archetyp gemäß der Substanz (4) dient, wendete den Zwist ein weiteres Mal zum Guten. Als er zufällig vorbeiziehende Ismaeliten entdeckte, beschloss er, JOSEF doch lieber an sie zu verkaufen. So konnte er einen Gewinn erzielen und dem Widerspruch des Erstgeborenen folgen. Am Ende der Erzählung kommt JOSEF, der elfte der zwölf Brüder wieder zurück zu seinem ihn besonders liebenden Vater Jakob (1). Die verlorengeglaubte Einheit wurde neu erstellt (14). zusammenfassend erwiesen sich der Erste und der Vierte als die Protagonisten eines göttlichen Gesetzes, das auch im Zufall dem (Über)Leben dient.

JOSEF weiß um den sogenannten Logos. Auch sein Vater JAKOB ist in seinem Besitz. Er hebt deshalb dessen herausragendes Bewusstsein in seinem Segen über ihn hervor. Als JAKOB vor seinem Tod seine 12 Söhne und darin die Ordnung mit ihren verschiedenen Bewusstseinszuständen segnet, hat der Segen für JOSEF – dem Elften der Zwölf – etwas Erhabenes. Er ragt – wie die Zahl Elf – aus der an sich begrenzten Vielheit der Zahl Zwölf heraus. Während die Zwölf (1-2) hierarchisch korrekt die Eins und die Zwei als ein gemeinsames Ganzes vorstellt, vereint die Zahl (1-1) die Teile unter dem Aspekt der Symmetrie. Zugleich verweisen beide Teile sichtbar auf die hinter ihnen wirkende Einheit. Im Gegensatz zur Zweiheit und Symmetrie erscheint jene als eine asymmetrische Singularität (1). Dieses „sowohl als auch“ kennzeichnet die letzte und höchste Qualität in der Genesis und sie nimmt in der Person von JOSEF Gestalt an. Wie in der Zahl Elf lässt auch der einstmals verkaufte Bruder den Unterschied zu seinen übrigen Brüdern stehen und interpretiert ihn im Sinne eines Ganzen, das alles überragt.

Die Haltung und Handlung JOSEFs heilt alle Unterschiede (2). Er überlebt nicht nur. Er versammelte am Grab seines Vaters alle in Frieden, seine Brüder ebenso wie die Ägypter, die einstigen Feinde der Israeliten. Das demonstriert EintrACHT im Sinne von Symmetrie und es erhebt ihn zugleich in eine einsame Position von Asymmetrie. Der letzte Teil der JOSEFs-Erzählung berichtet genau davon. In der endlich vollbrachten Einheit tritt noch einmal eine die Psyche berührende Differenz hervor. 

Nachdem der tote Vater Jakob beweint und begraben war, erschleichen die Brüder aus falscher Angst wegen ihres Fehlverhalten die Vergebung. Diese Differenz berührt Josef so sehr, dass er darüber weint. Er vergibt ihnen und sagt: „Ihr hattet gegen mich Böses beabsichtigt. Gott aber hat Gutes beabsichtigt wie auch an diesem Tag, um ein großes Volk am Leben zu erhalten“ (Gen 50,20).

In der Szene der Vergebung wird ein letztes Mal das Wesen JOSEFs deutlich. Es beherbergt das EINE wie auch die EINsamkeit. Wie in der Zahl 11 ist das Sein eines und doch ist es im Dasein grundsätzlich verschieden. JOSEF lebt diese Qualität. Er stirbt mit 110 Jahren. Der Vater des 11. Stammes Israels erreicht in seinem Bewusstsein die nächsthöhere Ebene des Seins. Am Ende der Genesis geht es um kein anderes Thema als das, welches schon ihr Anfang in den ersten beiden Wörtern zum Ausdruck bringt: Das Erkennen und Umsetzen der wahren Beziehung, der Beziehung der ersten beiden Archetypen, der Eins und der Zwei. In den Subjekten wird sie zur Frage der Beziehung von Leben und Tod.

7. Das „Brüderpaar“ Gottheit – Mensch

Das Alte Testament beginnt seine Erzählungen mit dem allgemeinen Götterbegriff ELOHIM und entfaltet diesen dann in aufeinander aufbauenden Erzählungen entsprechend des Reifegrades der auftretenden Subjekte. Die wechselnden Subjekte haben ebenso wechselnde Beziehungen zu der herrschenden Gottheit. Auch die Bezeichnung der Gottheit passt sich auffällig den wechselnden Aspekten an. Zwischen der Gottheit und den Menschen werden immer wieder neue Bünde geschlossen. Gottheit und Mensch sind aus der Perspektive ein „Brüderpaar“. 

Der Mensch aber will über sich und seine Existenzebene hinausdenken und Anschluss an ein Höheres bekommen, das jede von ihn vorstellbare Subjektivität übersteigt. Das verändert auch die Vorstellung von der Gottheit und verbietet endlich eine Vorstellung über sie. Im System der Archetypen ist das Göttliche in der Dreizahl und ihrem Erhabensein angesiedelt. Schon das Alte Testament führt endlich in diese Höhen, auch wenn es scheinbar nur die Interaktionen von Subjekten thematisiert. Dass dies so ist, das zeigt der Dekalog (10 Gebote), das inhaltliche Zentrum des Alten Testaments. Er deckt, wie wir sehen werden, das wahre Wesen der Gottheit auf.

Das erste Gebot des Dekalogs besteht nach jüdischer Ordnung aus neun hebräischen Wörtern. Sie entsprechen den grundsätzlichen neun Archetypen des hebräischen Alphabets. 

Ich 1/ JHWH 2/ dein-Gott (1-30…) 3/ der 4/ ich-herausgeführt-dich 5/ aus-Land 6/ Ägypten

7/ aus-(dem)Hause 8/ der-Sklaverei 9/. (Ex 20,2 und Dtn 6,6)

Gegenstand des ersten Gebots ist das Befreien! Es bildet mit dem fünften der neun Wörter dem „ich-führe-dich-heraus“ auch dessen geometrisches Zentrum. Das Prinzip des Befreiens führt die Regie, die Regie über die notwendig existierende Menge und Fülle, durch welche einerseits eine Welt überhaupt erst existieren kann und von der sich andererseits das Subjekt zugleich bedroht fühlt.

Das Verknüpfen des Gebots mit den Archetypen des hebräischen Alphabets transportiert die Botschaft, dass der Weg der Befreiung des Menschen in der Ordnung der Archetypen niedergelegt ist.

Wie jeder Weg beginnt auch dieser mit einer deutlich gerichteten Polarität. Das erste Wort des ersten Gebots ist „Ich“. Die Gottheit sagt zweimal und auf zwei verschiedene Weisen „ich“. Sie ergreift die Polarität in ihrem Wirken auf sich selbst und erfasst sie somit in ihrer Wahrhaftigkeit. In der Mathematik erleben wir den Vorgang im Entstehen eines Quadrats. Wie der Einheitskreis das Quadrat der Fläche 2 einschließt, so schließt die zweimal „ich“ sagende Gottheit den so manifestierten Widerspruch in sich, in der Einheit und Vollkommenheit ein (Abb. 3).

Abb. 3  Die Welt (4 / Quadrat) wird vom Göttlichen (Einheitskreis / r = 1), der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit umschlossen.

Das erste Gebot formuliert in seinem Umgang mit der Polarität das, was schon der erste Buchstabe des Alphabets, das Alef (א) lehrt. Sein Symbol ist das Haupt eines Stiers. Es fasst zwei Pole (die Hörner) zu einem Ganzen zusammen. 

Dem ersten Gebot folgt eine Neunheit von Geboten. Das Erste und die ihr nachfolgende Neun bilden wiederum eine Polarität – analog Anfang und Ende eines Ganzen. Da das „Ende“ und Zweite wie schon das erste Gebot aus neun Teilen besteht, entsteht formal eine fraktale Ordnung. Wie die im hebräischen Alphabet enthaltene Flussform der Zahlen, entwickeln sich auch die Gebote prinzipiell fraktal fort.

Der aus neun Geboten bestehende zweite Teil, enthält 13 besonders vehemente Verneinungen im Sinne eines „keinesfalls“. Diese NEIN stehen für die existierende Welt (4 = 1 + 3 13), in welcher die Gottheit JHWH (10-5-6-5) herrscht. Diese Welt ist es, die den Menschen (5) Kopfzerbrechen bereitet. Die Gottheit JHWH bringt die Lösung, denn sie übersetzt das Gesetz des Logos (1 + 2 4) in die Welt des Bewusstseins (5). Im Namen JHWH werden anstatt der abstrakten Gegenpole 1 + 2 nun sich gegenüberstehende Subjekte (5) zu einem größeren Ganzen (10) verbunden, denn die den Namen darstellenden Zahlen führen in der Übersetzung des Logos zu der Formel 10 = 5 + 5.

Wie sich schon das fünfte Wort des ersten Gebots aus der Neunzahl der Wörter erhoben hat, so erhebt sich auch das 5. Gebot im Dekalog. Die Fünf erhebt sich durch ihre verbindende und verbindliche Funktion. Darin ist sie radikal im eigentlichen Wortsinn. Sie stellt die Verbindung zum ersten Gebot, dem Gebot des Befreiens her und verbindet darüber hinweg alles, sogar das Rationale mit dem Irrationalen.

Das 5. Gebot enthält wie das erste keine Verneinung. Dabei es setzt bewusst das Prinzip der Addition ins Bild, das der Kern des Logos (1 + 2 4) ist. Vater (1) und Mutter (2) sind die beiden Ur-Pole, die durch ihr Voneinander-Getrenntsein existieren und gerade dadurch die Fortentwicklung bewirken. Darüber hinaus ergreift das Gebot nicht nur die von Vater und Mutter dargestellte horizontale Polarität, sondern auch die vertikale Polarität, die in der Beziehung der Gegenwarts-Generation zur Eltern-Generation zum Ausdruck kommt. Das in den 13 Verneinungen herausragende, bewusste Subjekt (5) überschaut die unterschiedlichen Dimensionen und verbindet sie zum ersehnten Ganzen.

Das einem Fraktal ähnliche Zusammenspiel von unterschiedlichen „Bewusstseinsgenerationen“ wird an der Spiegelbeziehung von 5 und 13 erkennbar. Man kann sie in der Flussform der Zahlen nachvollziehen. Für sie gibt es ein eindrucksvolles geometrisches Gleichnis, das sogenannte Stifelsche Quadrat. Dabei handelt sich dabei um ein sogenanntes, magisches Quadrat der 5. Ordnung. In seinem Zentrum steht die Zahl 13. Das Stifelsche Quadrat zeichnet sich dadurch aus, dass es in seinem Inneren wiederum ein magisches Quadrat der 3. Ordnung enthält.

Abb. 4  Das Stifelsche Quadrat ist ein magisches Quadrat der 5. Es enthält in seinem Inneren wiederum ein magisches 3er-Quadrat. Dessen Zentrum ist ein bekanntermaßen die Zahl 5.

8. Die Brüderpaare des Neuen Testaments

Das Neue Testament greift die Symbolik des Alten Testaments auf und führt sie in einem gleich zu Anfang vorgestellten Bild der Einheit zweier Subjekte fort. Hier handelt es sich um die Vatergottheit und den Gottessohn. In der verborgenen Einheit dieses Paares liegt die eigentliche Botschaft des Neuen Testaments. Sie wiederholt sich in fraktaler Weise in all den nachfolgenden Erzählungen. Im übertragenen Sinn handelt es sich auch hier um ein „Brüderpaar“, das in den weiteren Erzählungen der vier Evangelien durchdekliniert wird. 

Die Jesuserzählung hebt mit dem Prinzip des Brüderpaares an – der Brüder Johannes der Täufer und Jesus. Sie sind zwar keine körperlichen Brüder, wohl aber sind sie geistige Brüder. Von ihnen gehen all die Botschaften des NTs aus. Johannes und Jesus sind so miteinander verflochten, dass in deren Auslegung die Frage nach dem sogenannten, eigentlichen Religionsbegründer immer wieder neu gestellt wird und mit guten Gründen in beide Richtungen beantwortet werden kann. 

Die Erzählung vom Gottessohn beleuchtet zwei Beziehungen. Sie ist eine Erzählung über den „einzig geboren“ Sohn zur Vatergottheit und sie ist eine Erzählung über die Beziehung des Einzelnen zu der Gesellschaft in der er lebt. Beide Beziehungen sind unauflösbar und werden aus dem Subjekt heraus begründet. Während die Gottesbeziehung in der Tora sehr umfassend beleuchtet wird, erhält im Neuen Testament die Beziehung der Subjekte zueinander an Gewicht. Das Subjekt – hier der Gottessohn Jesus – (be)gründet selbst die Gesellschaft. Besonders deutlich wird das an der Gesellschaft seiner 12 Jünger. Allein ihre Zahl beschreibt in der Anordnung der Zahlen Eins und Zwei die Beziehung und Ordnung an sich. Aber auch die Namen der Jünger sind kein Zufall. Sie berichten über das Wesen der Bande zwischen dem Führer zu seinen Gefolgsleuten.

Der erste JESU-Jünger ist SIMON. Obwohl es sonst keine weitere, namentliche Gleichheit der 12 neutestamentlichen Jünger Jesu mit den 12 alttestamentlichen Stammvätern Israels gibt, bezieht sich der erste Jünger namens SIMON auf den zweiten Stamm SIMEON der Israeliten. Auch hier wird über die Testamente hinweg der Erste auf den Zweiten – und umgekehrt – bezogen. Das macht deutlich, dass auch die Beziehung der Tora zu den Evangelien als die eines Brüderpaares angesehen werden muss.

Die 12 Jünger JESU sprechen wie die 12 Stämme der Israeliten von der archetypischen Ordnung der Dinge. Ihr Grund ist das Wesen der Zahl 4. Dessen bewusste Schau (5) bildet den Logos. Sowohl die Tora als auch die Evangelien berichten bei der Herausbildung der 12 deshalb gleich zu Anfang von dieser Vierzahl, welche als Einheit zu sehen ist. 

Die Abfolge der 12 Jünger JESU beginnt mit einem Brüderpaar, den Brüdern SIMON und ANDREAS. Darüber hinaus handelt es sich bei den ersten vier Jüngern um eine als Einheit erscheinende Zweiheit. Die vier Jüngern bestehen nämlich aus den zwei Brüderpaaren, SIMON und ANDREAS, sowie JAKUBUS und JOHANNES.

Die Abfolge der 12 Stammväter beginnt ebenfalls mit der als Einheit zu betrachtenden Vierzahl von Brüdern. Die ersten vier Stammväter werden dort ausdrücklich hintereinander – quasi als Einheit – von EINER Mutter, von LEAH geboren. LEAH war die erste Frau JAKOBS (ISRAEL), die in Wirklichkeit aber seine „zweite Wahl“ war.

9. Gewissheit – oder die zusammenfassende Geometrie der Polaritäten

In allen sogenannten heiligen Texten geht es um die von den Menschen angestrebte aber endlich nicht unerreichbare Einheit. Die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit (1) zeigt sich stets als Polarität (2). Ihr unzertrennliches Verhältnis prägt auch das Bewusstsein (5). Welcher Zusammenhang zwischen der Polarität und dem Verhältnis des menschlichen Bewusstseins (5) zur Gottheit (1) besteht, das soll die Abb. 5 noch einmal auf geometrische Weise zeigen. Die Abbildung basiert auf der Flussform der Zahl (fraktale Entwicklung von Dreiecken) und auf den Symbolen des hebräischen Alphabets.

Die triadische Ordnung der Archetypen beginnt mit dem Spiegelverhältnis von Einheit und Zweiheit (1—2). Es expandiert mit dem Entstehen der höheren Dimension (II) zum Verhältnis 1—5, das die Spiegelbeziehung zwischen dem Mensch (5) und seiner Gottheit (1) abbildet. 

Das hebräische Alphabet baut auf dieses Wissen auf und ordnet der Gottheit (1) das Symbol des Stierhauptes zu. Das „Haupt“ vereint die Gegensätze (hier die der Hörner), hat aber selbst noch kein ausreichendes Bewusstsein (5) darüber. Das entsteht erst in der Dimension (II), in der die Zwei in Form der 5 erscheint. Damit es dazu kommt, muss dem Haupt (1) etwas gegenübertreten. Das ist das Haus (Beth). Das Haus ist ein gegenüber der Ganzheit abgegrenzter und begrenzender Raum. Im Bilde der Gottheit handelt es sich um den Menschen. Auch er ist gegenüber der Gottheit ein abgegrenztes und begrenzendes Wesen. Das aber verfügt über ein Bewusstsein, welches das Ganze und das ihm gegenüberstehende Abgegrenzte als Einheit wahrnehmen kann. Diese Fähigkeit ist der Schlüssel der Religion. Mit ihr kann der Mensch als begrenztes Wesen über sich hinaus das Unbegrenzte denken und sich mit ihm identifizieren.

Trotz der entwickelten Fähigkeit der Schau bleibt das über der Polarität Gottheit—Mensch (1—5) stehende Dritte immer ein weitgehend Unbekanntes aus einer höheren Dimension. Aus diesem Höheren heraus entsteht das, was wir Schicksal nennen. Es hat die Funktion eines „Ochsenstachels“. Dessen Aufgabe es ist, die wenig bewussten Erdkräfte (Ochsen) im Sinne einer hohen Eintracht zu führen. Aus der irdischen Perspektive der Linearität entsteht durch das Herunterbrechen des Höheren in die Ebene der Linearität die Zahlenfolge 1-2-30. Sie erfasst die Dreizahl im Irdischen, obwohl sie ihrem Wesen nach der höheren Dimension zugehört. Um das abzubilden, wird die so gesehene 3 als 30 belegt. Der Buchstabe mit dem Zahlenwert 30 ist das Lamed (ל), der 12. des hebräischen Alphabets.

Die Zahlenfolge 1-2-30 kommt in der Genesis neunmal vor. Sie symbolisiert den Zustand von „Gewissheit“ und den Zustand von dessen zutiefst negativen Erscheinen, die „Trauer“. Bei dem neunmaligen Vorkommen wird der Begriff in der Bedeutung von „Gewissheit“ bezeichnender Weise nur beim ersten und beim fünften Vorkommen gebraucht (siehe 1—5).

Die letzte und neunte (9 = 33) Erwähnung der Zahlenfolge 1-2-30 wirft über die dritte Potenz der Drei noch einmal ein umfassendes Licht auf die allgegenwärtige Trias und das Bewusstsein (5), das aus ihr hervorgeht. Die Neun symbolisiert den durch Vereinigung und „Neutralisation“ gekennzeichneten Untergang, der zugleich ein Neuanfang ist. Die hebräische 9 wird durch das Symbol der „Gebärmutter“ wiedergegeben. In ihr gehen Sperma und Eizelle in ihrer subjektiven Existenz unter und begründen im Embryo das neue Bewusstsein. Im neuen, erweiterten Bewusstsein taucht auch das einstige Gegenbewusstsein – der vermeintliche Feind – in konstruktiver Weise auf. Die neunte und letzte Erwähnung der Zahlenfolge 1-2-30 in der Genesis taucht in der Doppel-Bezeichnung „Trauer Ägyptens“ auf (Gen 50,11). Ägypten war das einstige Feindesland der Hebräer. Durch das Wirken des 11. Stammesvater JOSEF entsteht an dessen Grab Eintracht. 

Abb. 5   Die Polarität (2) entfaltet sich durch die Dreieckstruktur zum Bewusstsein (5). Die Tora entwickelt über die Flussform der Zahl den Begriff der „Gewissheit“, der durch die Zahlenfolge 1-2-30 wiedergegeben wird.

Fußnoten

¹ Beachte: Der Tod ist gegenüber dem Leben, um das es immer geht, ein Zweites, ein „Zweimachendes“ und „Entzweites“.

² Das hebräische Alphabet ist von triadischer Natur. Seine Struktur folgt der Flussform der Zahlen. Jedem der 22. Buchstaben ist ein Zahlenwert und ein Bildsymbol zugeordnet. Sie erzählen zum einen von ihrem Wesen, lassen aber zum anderen vor allem deren archetypische Ordnung erkennen, die ihrer Natur nach auf Addition beruht. 

³ Das erste „Ich“ ist solitär. Das zweite erscheint als dessen Tun (3) in der Verbindung mit dem Verb „herausführen“. Diese erste Zweiheit des Ichs zeigt in seiner solitären Form dessen notwendige Abgrenzung und in der zweiten Form deren Sinn. Der besteht im verbindenden Tun. 

⁴ Dafür gibt es ein geometrisches Gleichnis, das sogenannte Stifelsche Quadrat. Es ist ein sogenanntes, magisches Quadrat der 5. Ordnung. In seinem Zentrum steht die Zahl 13. Es zeichnet sich zudem dadurch aus, dass es in seinem Inneren wiederum ein magisches Quadrat der 3. Ordnung enthält. 

⁵ Simeon ist der 2. Stamm Jakobs. Er wird bei allen Aufzählungen der Stämme als der Zweite erwähnt ( Gen 29,31ff, Gen 35,23ff, Gen 49,1ff, Ex 1,1ff, Num 26,4ff, Num 1??, Dtn 33,6f). Nur in der letzten aller Aufzählung (Dtn 33,6ff) fehlt er. 

Das zweite Brüderpaar JAKUBUS und JOHANNES werden als die „Söhne des Donners“ bezeichnet. Wie dem Blitz der Donner folgt, so folgen sie dem ersten Paar SIMON und ANDREAS.

⁷ Gen 17,19 / 27,41 / 37,34 / 37,35 / 42,21 / 50,10 / 3x  50,11. 

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