Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Das Fleisch des Lebens

von Michael Stelzner

Inhaltsverzeichnis

1. Das Fleisch und der Tiefschlaf

Die Gottheit JHWH Elohim hatte den Menschen aus dem Staub des Erdbodens (1-4-40) gebildet und ihn in den Garten Eden gesetzt. Jener Mensch war noch ein ganzheitlicher, d.h. er war noch nicht in Mann und Frau geteilt. Gleich nachdem die Gottheit den Menschen gebildet hatte, stellt sie aber fest, dass „sein alleiniges Sein nicht gut ist“ und machte ihm „eine Hilfe als sein Gegenüber“. Das Erzeugen des Gegenübers ist das Erzeugen einer Polarität zwecks Fortentwicklung. Unter welchem Gesetz eine fruchtbringende Polarität entsteht, was im einzelnen geschieht und welche Qualitäten die Gottheit dabei umsetzt, das beschreibt die Zahl Vier. Unter ihrer Regie hatte die Gottheit JHWH Elohim zuvor schon den Garten Eden einschließlich seiner Bäume gepflanzt. Nun führt sie diese Differenzierung am lebendigen Wesen, am Menschen (5) aus.

Die Differenzierungsvorgang beginnt mit einem Tiefschlaf, also mit einem Zustand, in dem das Bewusstsein (5) zwar existiert, sich aber gewissermaßen in einem Ruhemodus befindet, in dem es  noch über keine Reflexionsfähigkeit verfügt. Der biblische Text macht mit der Metapher des Tiefschlafes deutlich, dass es sich in dieser Phase der Differenzierung um keinen bewussten Akt im Sinne des menschlichen Bewusstseins handelt sondern vielmehr um einen gesetzesmäßig ablaufenden Vorgang, der des reflektierenden Bewusstseins nicht bedarf. Mit andern Worten: Das Gesetz der Vier, das Gesetz der Trennung und Wiedervereinigung der Teile ist universell und existiert unabhängig vom Bewusstsein. Es geht dem Bewusstsein (5) voraus, bringt es hervor und wirkt in ihm fort. Wie das Gesetz im Bewusstsein wirkt, welche Verhaltensperspektiven es entfacht, das führt die Gottheit an der Erschaffung der Frau vor.

2. Das Fleisch (4) und die Eins (1)

Und JHWH Elohim lies einen Tiefschlaf auf den Menschen fallen und er schlief. Und er nahm EINS von seinen Rippen und er verschloss Fleisch an ihre Stelle mit Fleisch“ (Gen 2:21).

Auffällig ist die Verwendung des Zahlbegriffs „Eins“ in „ … EINS von seinen Rippen (Seiten)“. Die Hervorhebung der „Eins“ vermittelt die Botschaft, dass es hier um die Qualität der Eins geht, die auch im Akt der Trennung fortbesteht.

Die Gottheit trennt den ganzheitlichen Menschen und verschließt die Stelle mit „Fleisch“. Die fehlende Hälfte wird durch das Fleisch ergänzt. Da beide Geschlechter hälftig aus Fleisch bestehen, wird es in beiden Geschlechtern wirksam und erhält eine sie verbindende Funktion. Der Text führt das nicht explizit aus und gewichtet die Wirkung des Fleisches besonders auf den Mann. Von übergeordnetem Gewicht jedoch ist, dass der beschreibende Text auch hier wieder in seiner Wortwahl im eigentlichen Wortsinn eindeutig wird. Wie schon bei der Trennung wird der Zahlbegriff „Eins“ verwendet. Die geläufige Übersetzung „ … sie werden zu einem Fleisch“ (Gen 2:24) lautet korrekt übersetzt: „ … zu Fleisch Eins“.  Die Qualität der Eins, die zunächst für das noch Ungeteilte maßgebend war, führt auch die Regie beim Trennen und Wiederzusammenfügen der Teile.

Das ursprüngliche Eine und die beiden aus ihm hervorgehenden Teile, Mann und Frau teilen die Qualität der Einheit. Sowohl das „Eine“ als auch das „Einzelne”, das nun aus der Zweiheit Mann-Frau besteht, drücken die EINS aus. Damit die einmal voneinander getrennten Teile nicht allein und orientierungslos im Raum stehen, müssen sie aufeinander bezogen bleiben und mit dieser, einen Botschaft versehen sein. Sie ist die Grundbotschaft allen Bewusstseins.

Das erkennende und interpretierende Bewusstsein wirkt aus der Information der ungebrochenen Herrschaft des Archetyps Eins, der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit heraus. Wie die Zahl Eins jeder anderen Zahl in der Zahlenreihe vorausgeht und sie prägt, so gehen die Gottheit und ihr Manifestationsgesetz (4) alle Erscheinungen prägend voraus. Das archetypische Vorbild dafür finden wir bereits im ersten Schöpfungsbericht am ersten Schöpfungstag. Schon dort wird das Zahlwort Eins (1-8-4) erstmals in der Weise eingesetzt. Die Erschaffung der Frau im 2. Schöpfungsbericht greift inhaltlich und formell darauf zurück und verwendet es nun zweifach, einmal beim Trennen und einmal beim Zusammenfügen.

3. Das Fleisch und seine Botschaft

Beides Fleisch, das männliche wie das weibliche enthält die Botschaft der Einheit, weshalb sie immer aufeinander bezogen bleiben. Der Bezug ist prinzipieller Natur. Er gilt auch dann noch, wenn die relativen Umstände des jeweiligen Fleisches ungünstig oder widersprüchlich sind und scheinbar etwas anderes aussagen. Ein solches Beispiel beschreibt der biblische Text: „Deshalb wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau kleben und sie werden zu Fleisch EINS“. Der beschreibende Zusatz ist insofern auffällig, da es zur damaligen Zeit unvorstellbar war, dass ein Mann in die Familie der Frau ging. Die Frauen wurden regelmäßig in die Familien der Männer integriert. Wenn der Text den kulturellen Bräuchen bewusst widerspricht, dann unterstreicht er das Prinzip des gegenseitigen Bezugs der Geschlechter und hebt es über jegliche gesellschaftliche Norm. Der Text gewichtet die Wirkung des Fleisches zudem auf den Mann. Damit kennzeichnet er ihn als das aktive, zur Handlung gezwungene, vorstoßende Element innerhalb der Geschlechteraufteilung.

Der Bezug ist ungebrochener, göttlicher Natur und ist, wie uns auch die Zahlenfolge des Begriffs „Fleisch“ zeigt, tatsächlich als Botschaft verankert, denn der Begriff Fleisch (bašar, BŠR, 2-300-200) bedeutet zugleich auch „gute Botschaft“. Die Zahlenfolge 2-300-200 umfasst darüber hinaus ein größeres Bedeutungsspektrum. Im mittelhebräischen „bašira“ bedeutet sie auch „eine Freudenbotschaft verkünden“. Im Punischen wird sie für das Kind als die leibliche Nachkommenschaft verwendet und das aramäische „bašara“ bezeichnet mit ihr die Haut. Das syrische „besrā“ hingegen meint damit den Penis. Die im ersten Eindruck unterschiedlich aufscheinenden Bedeutungen der Zahlenfolge werden im Kontext des biblischen Entstehungsaktes der Frau aber sinnhaft zusammengefasst. Der Textinhalt besagt, dass der Akt der Trennung kein negativer ist und so auch nicht gedeutet werden darf. Die durch die Gottheit vollzogene Trennung steht vielmehr im Dienst und Anblick der Einheit und Ganzheit. Die Zweiheit verliert in ihrem Licht den Anschein eines Abgewerteten und Bösen. Das hier beschriebene Zweimachen ist eine Freudenbotschaft, die gerade erst durch das Zweite, das Reduzierte und Begrenzte zur Anschauung kommt. Das Prinzip wird durch die Haut, die einen Wesenskern umgibt ebenso versinnbildlicht wie durch den Penis, der später durch dessen Beschneiden reduziert wird und so das Wesentliche, nämlich das Wesen der Einheit und Fruchtbarkeit erkennbar werden lässt.

4. 2-300-200 - die Zahlenfolge des Fleisches

Woraus sich die Bedeutung des Fleisches speist, erklärt sein Begriff über dessen Zahlenfolge 2-300-200. Das Zentrum seiner dreigliedrigen Wurzel ist die Zahl 300. Sie verbindet die 2 mit der 200. Mit anderen Worten: Sie überführt die Polarität (2) in ihre höhere Form (200). Die verbindende 300 ist der Zahlenwert des 21. Buchstaben des hebräischen Alphabets. Sein Wert ist ein Symbol für das Gezähnte. Das Gezähnte (300) ist seinerseits die höhere Form der Funktion (3). Es zerteilt, wie Zähne zerteilen. Als höhere Form führt es jedoch das Zerteilte  auf einer höheren Ebene wieder zusammen. Dabei überschreitet es die bestehenden, hierarchischen Grenzen. So führt das Gezähnte beispielsweise die einmal zerteilte Nahrung dem höheren, lebendigen Organismus zu, um ihn zu nähren. Das Zusammen-Wirken des Gezähnten wird in besonders eindrucksvoller Form im modernen Zahnrad verbildlicht. Dort ersieht man, wie der abgetrennte, einzelne Zahn im Verbund eine höhere Funktion zu erfüllen vermag.

4.1 Das Fleisch und das göttliche Wirken

Im Fleisch steht diese hohe Funktion im Zentrum. Als Prinzip im Menschen verankert, zeugt sie von einer göttlichen Urfunktion, wie sie das erste aller biblischen Verben, das „bara“ (2-200-1) beschreibt. Das Verb ist ausschließlich der göttlichen Tätigkeit vorbehalten und spricht noch ganz allgemein von der Erstellung der Einheit (1) durch die Erhöhung der Polarität (2➜200). Die Zahlenfolge des Fleisches hingegen berichtet nun erstmals – nach Entstehen des polaren Bewusstseins – durch welches Prinzip die 2 zur 200 wird. Sie berichtet, wieso die der Einheit (1) verpflichtete Polarität (2) in ihrer höchsten Form (200) der Rückbezug des menschlichen Geistes ist. Der Zahlenwert 200 ist nämlich das Symbol für die rückverbindende Funktion des menschlichen Hauptes (s. Reschit / d)¹.

Mythen beschreiben mitunter den 21. Buchstaben des hebräischen Alphabets, das Schin (C) mit seinem Zahlenwert 300 als das Zischen der Schlange im Garten Eden. Wie die Zahl 21 stellen die Worte der Schlange die gewohnte Hierarche, in der die 2 der 1 folgt, auf den Kopf. Die lineare Welt der Schlange und ihre „gespaltete Zunge“ treffen auf die höhere Dimension des Bewusstseins. Das fordert das Bewusstsein des Menschen bezüglich der Einordnung der unterschiedlichen Dimensionen und dem Phänomen der vermeintlichen Linearität der Welt heraus. Der so konfrontierte Mensch wird aufgefordert, die Gegensätze aktiv zusammenzuführen, selbst wenn sie ihm in einer umgekehrten Linearität (21 anstatt 12) begegnen.

4.2 Das Fleisch (4) und seine zwei Dimensionen

Das Bewusstsein des Menschen begegnet jener Polarität in zweierlei Weise. Zum einen erscheint sie ihm als ein Gegenüber, also in einer linearen, horizontalen Ebene. Zum anderen hat die Begegnung auch eine vertikale Dimension und verlangt von ihm die natürliche Hierarchie zu beachten und zu erfüllen. Beide Aspekte verbergen sich auch in der Botschaft des Fleisches und seiner Zahlenfolge 2-300-200.

Die drei Zahlen lassen zwei Polaritäten erkennen. Die erste besteht im Zahlenpaar 2-300 und die zweite im Zahlenpaar 300-200. Wenn wir versuchen, ihre Bedeutungen zu erfassen, dann müssen wir sehen, wo die Zahlenpaare erstmals in der Thora auftreten, also erklärend eingeführt werden. Die Folge 2-300 taucht erstmals am 3. Schöpfungstag (Gen 1:9f) auf, dort aber zweimal. Beide Male erscheint sie im Begriff des „Trockenen“ (…10-2-300-5). Das Trockene hat, wie das Fleisch an sich, eine Botschaft. Das Trockene bezieht sich – im biblischen Text besonders deutlich hinweisend – auf das Feuchte, das Wasser.

Das dritte Mal wird diese Zahlenkombination in einer anderen, in einer diese lineare Erd-Ebene übersteigenden Funktion verwendet, welche eine neue und höhere Dimension eröffnet.

Die dritte Erwähnung finden wir am 6. Schöpfungstag, dem Tag der Differenzierung des menschlichen Bewusstseins vom Bewusstsein der Tiere (Gen 1:28). Jetzt handelt es sich um eine vertikale Polarität: Diesmal erscheint sie in einem Verb, nämlich im Begriff des „Unterwerfens“ (und-unterwerfet-sie   (6-20-2-300-5).

Das vierte Mal wird aus dem Prinzip 300-200 etwas ganz Konkretes, Manifestes und Folgenschweres – das Fleisch. Es wird nun ausdrücklich viermal erwähnt.

Und er verschloss mit  Fleisch (1.) an ihrer Stelle“.                                                                (Gen 2:21)

Diese diesmal Gebeine von meinen Gebeinen und Fleisch (2.) von meinem Fleisch (3.)“ (Gen 2:23)

Und sie werden sein zu Fleisch EINS (4.)                                                                                 (Gen 2:24)

Die viermalige Erwähnung des Fleisches gewichtet seine Existenz als die lebendige Substanz, die den Fortgang der Entwicklung nachhaltig beeinflussen wird. Als ausgewiesene Vierheit ist die Bestimmung des Fleisches von Anfang an definiert: Es dient der Offenbarung der Einheit. Wie in jeder Vierheit findet man auch und gerade im Fleisch eine zweifache Polarität.

Die erste im Begriff des Fleisches und im Zahlenpaar 2-300 erscheinende Polarität stellt eine Beziehung und Spannung vor, welche auf den ersten Blick den Anschein von Mangel und ein unangenehmes Empfinden hervorruft. Besonders deutlich wird das in Gen 2:25. Dort bildet das Zahlenpaar den Kern des durch das Fleisch relevant werdenden Begriffs der Scham („und-nicht schämten-sie-sich / 6-30-1  10-400-2-300-300-6).

Anders und geradezu entgegengesetzt verhält es sich mit dem zweiten Zahlenpaar (300-200). Das steht für eine herrschende Autorität wie beispielsweise einen König, einen Fürsten o.ä. Das ist auch die zweite Bedeutung der Zahlenfolge. Ihr Wesen besteht in ihrem Verweischarakter. Sie lässt Abgetrenntes nicht beziehungslos für sich allein stehen sondern bindet es aktiv zurück zu seinem Ursprung. Das Wesen der Folge ergibt sich aus der Abfolge der Sinnbilder ihrer beider Zahlen, der 300 und der 200. Sie symbolisiert die Wirkung der höchsten Funktion (300) im „Haupt des Menschen“ (200), der dadurch zum Ursprung der Dinge findet und zur „Religio“ werden lässt. Die Zahlenfolge 300-200 kommt in Gen I ausgerechnet 12 Mal vor. In der 12 beschreibt sie, dass ihr Wesen im Grunde darin besteht, die Polarität (2) an die Einheit (1) zu binden. Erstmals erscheint sie konsequenterweise am 2. Schöpfungstag, dem Tag des offensichtlichen Abtrennens. Die Trennen bringt auch das Hinweisen hervor. Das am 2. Schöpfungstag vorgestellte Prinzip der allgemeinen Trennung wird mit der Trennung der Subjekte (5-5) auf eine neue, höhere Ebene, die Ebene des Bewusstseins übertragen und wirksam. Die Trennung und das mit ihm entstehende Fleisch führen zum gegenpolaren und sich fruchtbar ergänzenden Bewusstsein von Frau und Mann.

Die Kombination der beiden im Begriff des Fleisches enthaltenen Zahlenpaare (2-300 à 300-200) beschreibt also die Entwicklung einer Spannung von der Trockenheit und Scham des Fleisches hin zu seiner Herrschaft. Eindrucksvoll erzählerisch ausgeformt wird die Entwicklung in der Erzählung um Sarai, der ersten Frau Abrahams (Gen 17:15). Sarai war unfruchtbar. Anstatt in eine Scheidung zu gehen, die damals deswegen durchaus üblich war, trat sie hinter ihre fruchtbare Magd Hagar zurück und führte sie Abraham zu. Die auf Fruchtbarkeit orientierte Gottheit zeichnete sie daraufhin mit der Namensänderung von Sarai (300-200-10) in Sarah (300-200-5) aus.

Im Namen dieser selbstbewussten Frau verbirgt sich der Bewusstseinsaspekt des o.g. zweiten Zahlenpaares (300-200). Indem Sarai das Prinzip des geistigen Abtrennens in den Dienst der Einheit und Fruchtbarkeit stellte, erbrachte sie eine Bewusstseinsleistung, die nur dem „rückverbindenden Haupt“ (s. Bedeutung des 21. Buchstaben, Reschit, Zahlenwert 200) des Menschen möglich ist, das auch Polaritäten fruchtbringend verbinden kann, die der gewohnten, linearen Sichtweise entgegenlaufen (21 anstatt 12). Sarai hat in ihrer Handlung ihr „Halb-Sein“ genutzt, um eine höheren Dimension zu manifestieren. Die Namensänderung von Sarai (300-200-10) in Sarah (300-200-5) kündet davon. Für die Gottheit ist eine „Halbierung“ (Trennung, Reduzierung) im Sinne der Fruchtbarkeit eine Auszeichnung.

Die Erzählung um Sarai berichtet vom im Fleisch angelegten, zweiten Zahlenpaar 300-200, das wirksam wird, sofern man es mit Bewusstsein erfüllt. Dessen positiver Aspekt und seine Bedeutung wird besonders deutlich im biblischen Begriff der Glückseligkeit (1-300-200), wie er u.a. in Gen 30:13 beschrieben wird.

5. Das Fleisch im Zyklus des Kosmos

Der Begriff des Fleisches hat zwei ineinander fließende und sich ergänzende Seiten, die verhaltene und mit Scham bedeckte auf der einen Seite und die erlösende und glückselige auf der anderen. Das Fleisch ist ein Symbol für die Gebundenheit des Menschen an die von der Vierzahl geprägte Welt. Insofern hat es einen bedrückenden und einen erlösenden Aspekt. Im Fleisch wird die Polarität des Lebens deutlich. Es existiert in der Begrenzung und weist doch über sie hinaus. Im Fleisch erlebt das Bewusstsein das Zyklische, die Wirkung der Polarität. Die Ganzheit eines Zyklus sowie seine polaren Aspekte bleiben „nicht für sich allein“ (s. Gen 2:18). Sie erweisen sich vielmehr wiederum nur als ein Teil eines noch größeren Zyklus, in dem das vormals notwendigerweise Ausgeschlossene einbezogen ist. Der sich so vollziehende Dimensionswechsel muss vom menschlichen Bewusstsein erfasst werden. Für diesen Vorgang steht der 21. Buchstabe des hebräischen Alphabets, das Reschit (d) mit dem Zahlenwert 200. Sein Symbol ist das rückverbindende Haupt des Menschen. Es verlangt die Anerkennung der Umkehrung der Polarität von „12“ in „21“ unter dem Blickwinkel der Fruchtbarkeit. Dabei muss es die natürliche, kosmische Ordnung in einer höheren Dimension abbilden. Eine besondere Rolle spielt dabei das Fleisch mit seinen zwei sich ergänzenden und ineinanderfließenden Seiten, die zusammengenommen ein Symbol für die nach Bewusstsein strebende Natur und somit der Vierzahl ist.

Da alles Existierende von der Vier und ihrer Funktion, dem fortlaufenden, trennenden und verbindenden Zyklus erfasst wird, gilt das auch für die Entfaltung des Bewusstseins. Das Gesetz der Vier erscheint auf der Ebene des Bewusstseins im Geist des Namen JHWHs (s. 10 = 5 + 5). Jener Geist lässt eine Vorherrschaft der profanen Substanz gegenüber der tiefergehenden Botschaft des Fleisches nur bedingt zu. Das nicht der Einheit dienende Fleisch, das in seiner Materialität den in ihm wirkenden Geist nicht mehr entsprechend gewichtet, fällt der Vernichtung anheim. Das ist der Ausgangspunkt der Sintflut-Erzählung, der Erzählung von der Vernichtung allen Fleisches in einer großen Flut:

Nicht waltet mein Geist für immer im Menschen. In der Verwirrung ist er Fleisch. Und es werden seine Tage 120 Jahre sein. In jenen Tagen waren die Riesen auf der Erde …“ (Gen 6:3f). Als Folge der Entwicklung reute es JHWH und er „wischte“ das Fleisch hinweg.

Die Erzählung von der Sintflut hat wie das Fleisch an sich, zwei Seiten. Die erste macht uns bedrückt. Die zweite hingegen stellt uns eine neue Welt, eine neue Dimension vor. Die zwei in der Sintflut agierenden Gottheiten, Elohim und JHWH lassen beide die Welt mit ihrem Fleisch untergehen und ihren Subjekten den Tod erfahren. Die Gottheiten vollziehen in dem Vorgang jedoch nur die ewige Ordnung nach, etablieren sie aber auf einer höheren Ebene. Die Zweifel an der Ordnung gehen von den Menschen aus, zeigen sich ihnen jedoch in den Handlungen ihrer beiden Gottheiten Elohim und JHWH.

Zweifel, Vernichtung und das Auf-den-Kopf-stellen der bisherigen Ordnung sind nicht die alleinige Botschaft. Die Hilfe aus dieser einseitigen Sicht findet sich in der von JHWH verordneten Begrenzung der Lebenszeit des Menschen auf 120 Jahre. Die Begrenzung (2) ist nicht das böse Diktat als das es erscheint. In Wirklichkeit verbergen sich hinter ihm der ewige Wandel und sogar die prinzipielle Unsterblichkeit. Die Benennung von 120 Tagen sichert den Subjekten (5) trotz ihrer negativen Erfahrungen die ewige Ordnung und Vollkommenheit zu. Die Zahl, die das aussagt, ist die Zahl 12, die Zahl des Kosmos. Ihr zehnfacher Wert, die 120 symbolisiert ihre Erhebung in ihre höhere Dimension.

Die neue, höhere Ordnung beschreibt die Thora wieder über das Fleisch. Diesmal ist es das „Fleisch“ ihrer Erzväter Abraham, Isaak und Jakob. Die Zahl, welche das vermittelt, ist diesmal seine Wortsumme 502. Die gleiche Summe ergibt sich in der Addition der Lebensalter der drei Erzväter Abraham, Isaak und Jakob (175 + 180 + 147 = 502). Sie sind die im Fleisch sich niederschlagenden religiösen Größen. Sie werden zur gemeinsamen Basis der späteren drei abrahamitischen Religionen, dem Judentum, dem Islam und dem Christentum. Die Lebensalter der Erzväter wurden nicht willkürlich gewählt sondern machen über das erlösende Prinzip des Quadrierens eine Aussage über die Archetypen der Welt und den rechten Umgang mit ihnen.

Abraham 175 Jahre   (5×5  x 7)

Isaak       180 Jahre   (6×6  x 5)

Jakob      147 Jahre   (7×7  x 3)

Zusammen bilden die drei Lebensalter ein Ganzes von der Größe 502, der Größe des Fleisches! Das Wissen um die Vollkommenheit des Fleisches schließt jedoch auch das Wissen um Zyklen ein, wie sie das konkrete Dasein formen, wie sie aber auch in jeweils größere überfließen und dabei das vormals Ausgeschlossene im neuen Ganzen wieder aufnehmen. Im Falle der drei Erzväter war der Ausgeschlossene Ismael, der erste Sohn Abrahams mit seiner Magd Hagar. Seine Lebenszeit betrug 137 Jahre. Mit der Addition der Zahl 365, der Zahl der Ganzheit (12) eines Jahres ergibt sich ebenfalls 502! Die Botschaft lautet: Der aus dem Leben der Erzväter gefallene Ismael ist nicht für ewig verschwunden. Er harrt vielmehr der Ergänzung in einem nochmals größeren Zyklus.

6. Das Fleisch und die Geschlechtlichkeit

Das Fleisch ist eine „gute Botschaft“. Das ist es, obwohl es „nur“ ein sekundäres ist, das einen tieferen eigentlichen Wesenskern umgibt. Dieser in einen Bruch aufscheinende  Zusammenhang betrifft sowohl das Fleisch an sich, das schon seiner Natur nach sterblich ist, als auch das wiederum von ihm Abgetrennte, die Frau einerseits und das Verbleibende, der Mann anderseits, denn alles Fleisch zeugt von der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit der Schöpfung. In diesem ganzheitlichen Sinn müssen alle biblischen Trennungsakte gesehen und gedeutet werden, auch wenn sie notwendigerweise zunächst das Unterscheiden in den Vordergrund stellen.

Durch den archetypischen Akt der Trennung (1—2) lebt die Triade, obwohl sie als Ganzes der Archetyp des Verbindens ist. Die in ihm ablaufenden Vorgänge werden mit der Erschaffung der lebendigen Wesen am 5. Schöpfungstag auf die Ebene des Bewusstseins gehoben. Das Hervortreten des ersten Bewusstseins  ist noch als ein archetypisches zu verstehen. Mit der Erschaffung des Menschen am 6. Tag und schließlich der Erschaffung der Frau in Gen II erreicht es die Ebene des individuellen Bewusstseins. Damit wird der bewusste Trennungsakt zu einem Schlüsselakt für das rechte Verständnis der religiösen Texte. Der nach der Erschaffung der Frau fortlaufende biblische Mythos beschreibt in einer Flut von Bildern genau diesen göttlichen Fluss (3) der Bewusstseinsentwicklung.

Der in Gen I ersterwähnte Mensch ist zunächst der Archetyp Mensch, also das „Prinzip Mensch“. Er ist noch nicht, wie der Mensch im zweiten Schöpfungsbericht unterschieden in Mann und Frau. So heißt es auch:  „…männlich und-weiblich schuf er sie“. Die in Gen I eingesetzte Polarität und randläufig als Ganzheit erwähnte „Geschlechtlichkeit“ ist noch keine zwischenmenschliche. Sie zielt vielmehr auf den derzeit hervortretenden Gegensatz zwischen Natur (4) und Mensch (5) im allgemeinen und Tieren und Mensch im besonderen. Im Gegensatz dazu wird in Gen II der Archetyp Mensch nun zum konkreten Menschen, einen Menschen, der mit seinem individuellen Bewusstsein konfrontiert wird und einen ihn charakterisierenden Namen hat. Aus Adam dem „Erdling“ wird der Mann mit dem Namen «Adam». Die Differenzierung entspricht dem Hervortreten der benannten (!) Zahl 1 aus der namenlosen Einheit (1). Die Zahl 1 repräsentiert zwar die Einheit, doch ist sie es ebenso wenig, wie die Musiknoten Musik sind.

Die Einheit umfasst alles. Sie ist das Ungeteilte. In dem Moment, in dem diese Einheit einen Namen erhält und mit einem Zeichen versehen wird, nämlich der Zahl 1, tritt eine Verdünnung ein – eine Unterscheidung, eine notwendige Trennung. Trotz der Trennung ist die Zahl 1 der Einheit so nahe wie kein anderes Zeichen.

Ähnliches geschieht mit den Menschen. Wenn das „Prinzip Mensch“ zum ganz konkreten Menschen wird, erfolgt das gleichfalls durch eine weitere Unterscheidung und Trennung. So wie aus der Einheit etwas herausgetrennt wird, damit die erste Zahl, die Zahl 1 entsteht, um die Einheit benennen und darstellen zu können, so wird aus dem Archetyp Menschen (Adam, dem „Erdling“) etwas herausgenommen, um ihn benennen und darstellen zu können. Beim Menschen ist es die Rippe (Gen II) oder nach anderer, plausiblerer Übersetzung „eine Seite“. Das nun neue Konkrete ist die Frau. Sie ist Frau durch ihren Rückbezug zum Archetyp Mensch, wie dieser seinerseits durch Rückbezug zum Erdboden „Adam der Erdling“ ist. Der Bezug der Frau ist vielfältig und mehrdimensional. Er reicht vor allem zurück auf den primären Ursprung, den vormals „ganzen“ Erdling. Desweitern schließt der Bezug die andere, „zurückbleibende Seite“, den Mann „iš“ (vyai) ein. So entsteht Identität. Der biblische Text vermittelt sie, indem er die Frau mit dem Begriff „išša“ (hV’a,,i) bezeichnet. Die beiden Begriffe klingen im Hebräischen auffallend ähnlich, obwohl sie etymologisch auf zweierlei Wurzeln zurückgehen. Um die dahinterstehende Botschaft zu transportieren, übersetzte Luther das Wort für Frau deshalb mit „Männin“. Ohne das Wissen um dessen Entstehung und ganzheitlichen Bezug wird das jedoch meist missverstanden.

„…zu-dieser/ es-soll-gerufen-werden /Männin/ denn /von-(einem)-Mann/es-ist-genommen-diese.“

Die gesamte Schöpfung ist von der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit umfangen. Gleichwohl findet eine Trennung (2) statt. Die Entnahme ist ein Akt des Zweimachens (2). Wie uns die erste Schöpfungserzählung, die Aufzählung der Archetypen berichtet, bleibt der scheinbare Nachteil der Zwei, der durch das Fehlen der Huldigungsformel am 2. Schöpfungstag gekennzeichnet ist, nicht ohne weiteren Bezug stehen – im Gegenteil. Der erlösende Bezug ist der 6. Schöpfungstag. In ihm gipfelt der 2. Schöpfungstag. Die fehlende Huldigung des zweiten wird in der außerordentlichen Huldigung des sechsten nicht nur wettgemacht sondern gekrönt. Zahlensymbolisch ausgedrückt: Die Zwei strebt zur Sechs (s.a. 2à6).

Wie die Gottheit Elohim in der 1. Schöpfungserzählung die Archetypen durch stete Trennung vorstellt und in der Sechs gipfeln lässt, so stellt auch die Gottheit JHWH Elohim im 2. Schöpfungsbericht die Trennung in Mann und Frau über den Archetyp der Sechs vor. Der in Gen 2,21f beschriebene Akt der göttlichen Entnahme, in dem das Fleisch das erste Mal erwähnt wird, besteht aus 6 Vorgängen (Sätzen).

(1) Und es ließ fallen JHWH Elohim einen Tiefschlaf auf den Menschen.

(2) Und er schlief.

(3) Und er nahm EINS von seinen Rippen.

(4) Und er verschloss mit Fleisch an ihrer Stelle.

(5) Und es baute JHWH Elohim die Rippe, die er genommen hatte vom Menschen zur Frau.

(6) Und er brachte sie zu dem Menschen. ²

Die 6 Sätze der Schöpfung des Menschenpaares bestehen aus 22 hebräischen Wörtern, wie auch das hebräische Alphabet aus 22 Buchstaben besteht. Die Beschreibung der konkreten Welt über 22 Archetypen schlägt sich in den 22 Buchstaben der 6 Sätze nieder, mit denen die konkreten, aus Fleisch bestehenden Menschen hervorgebracht werden.

Der in der Sechs gipfelnde Vorgang von Trennung und Wiederzusammenfügen ist eine Entfaltung der Dreizahl (Triade). Gen I führt sie uns in ihrer Archetypenerzählung vor. In Gen II entfaltet sie sich weiter. Wie in Gen I verweist auch der Akt des Hervorbringens der Frau auf die Triade. Wir erkennen sie in den o.g. 6 Sätzen, wenn wir ihrem Wesen, dem Offenbaren der Einheit nachgehen. In 3 von 6 Sätzen, den Sätzen 3, 4 und 5 finden wir einen deutlichen Verweis auf die Einheit. Es sind:

Satz 3:  das schon erwähnte Zahlwort „Eins“,

Satz 4:  das Verschließen“ zu einer Ganzheit und

Satz 5:  der hinweisende Artikel im „die-er-hat genommen“ (1300-200-30-100-8).

Dass die Hinweise auf die Trias gerade in diesen drei Sätzen zu finden sind, begründet sich anschaulich in der Geometrie. Das pythagoreische Dreieck der Seitenlängen 3, 4 und 5 veranschaulicht, wie aus dem einfachen gleichseitigen Dreieck das neue, rechtwinklige Dreieck hervorgeht, das vom Zusammenwirken von Geist (3), Substanz (4) und Bewusstsein (5) berichtet. Diese Trias bringt die völlig neue Dimension, die Fläche der Größe 6 hervor. Sie steht u.a. für die nun durch Mann und Frau erscheinende Sexualität.

Der 3. Satz bezieht sich – wie die Dreizahl an sich – auf den Geist (3). Indem er auf die „Eins“ und Einheit gerichtet ist, beschreibt er den Inhalt des archetypischen bzw. des rechten Geistes.

Der 4. Satz bezieht sich auf das Polare (2) und damit auf das archetypisch Unterschiedene, unterstellt dabei das Fehlende durch das „Verschließen“ der Wunde jedoch der Ansicht des Ganzen und berichtet damit im Grunde vom Gesetz der Vierzahl.

Der 5. Satz zeugt (3) von der Existenz eines Bewusstseins, von dem das Verweisen ausgeht. Das beschreibt der hinweisende Artikel „die“ (1-300-200), dessen Zahlenfolge 300-200 auch im Fleisch wirkt (s.o.). Die Zahlenfolge erscheint in diesem 5. Satz zum 14. Mal.

Die 6 Sätze der Erschaffung der Frau enthält eine dreifache Verweisfunktion. Sie betrifft die Sätze 3, 4 und 5. Das ist insofern von Bedeutung, da es sich um gerade die Archetypen handelt, welche über das Bild des pythagoreischen Dreiecks mit den Seitenlängen 3, 4 und 5 das Bewusstsein (5) mit dem Geist (3) und der Substanz (4) in Beziehung setzt und das Bewusstsein konstituiert.

Während das allgemeine, gleichseitige Dreieck noch ganz allgemein von der Trennung und Verbindung der Gegensätze berichtet, beschreibt das pythagoreische Dreieck den Vorgang im Speziellen, nämlich in der Polarität von Geist (3) und Materie (4). Im Fleisch wird der Vorgang Realität. Im Fleisch wird die Qualität des fruchtbaren Verbindens zur lebendigen Substanz. Fleisch ist wie das Bewusstsein Geist und Substanz zugleich.

Fußnoten

¹ Es handelt sich hier um den 21. Buchstaben des hebräischen Alphabets, das Reschit (d).

² Wörtliche, lineare Übersetzung der 6 Sätze (22 Wörter) der Erschaffung des aus Fleisch bestehenden Menschenpaares (Gen 2:21f):  
  1 lPeY:w: hw“hy> ~yhil{a/ hm’Der>T; ~d’a’h‘-l[; !v’yYIw:
Und-es-ließ-fallen JHWH Elohim Tiefschlaf auf─den-Menschen und-er-schlief.
6-10-80-30 10-5-6-5 1-30-5-10-40 400-200-4-40-5 70-30─5-1-4-40 6-10-10-300-50
                  (1)          (2)             (3)                (4)                     (5)                (6)
 
  2 !v’yYIw:
Und-er-schlief.
6-10-10-300-50
               (7)
 
  3 xQ;YIw: tx;a; wyt'[ol.C;mi
Und-er-nahm EINS von-seinen-Rippen
6-10-100-8 1-8-400 40-90-30-70-400-10-6
            (8)         (9)                       (10)
 
  4 rGOs.YIw: rf’B‘ hN“T,x.T;
Und-er-verschloß Fleisch an-ihrer-Stelle;
6-10-60-3-200 2-300-200 400-8-400-50-5.
                (11)        (12)                (13)
 
  5 !b,YIw: hw“hy> ~yhil{a/ [l’Ceh;-ta, xq;l‘-rv,a] ~d’a’h‘-!mi hV’ail.
und-es-baute JHWH Elohim, **─die-Rippe, die─er-hat-genommen von─dem-Menschen, zu-Frau,
6-10-2-50 10-5-6-5 1-30-5-10-40 1-400─5-90-30-70 1-300-200─30-100-8 40-50─5-1-4-40 30-1-300-5
          (14)         (15)            (16)                   (17)                       (18)                      (19)         (20)
 
  6 h’a,biy>w: ~d’a’h‘-la,
Und-er-brachte-sie zu─dem-Menschen.
6-10-2-1-5 1-30─5-1-4-40.
                    (21)                          (22)
 

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