Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Der Schatten

von Michael Stelzner

Die Zwei gehört zur Eins, wie der Schatten zum Licht. Ohne Licht gibt’s auch keinen Schatten. Der Schatten vergegenwärtigt das Licht und er selbst ist das Licht in seinen Abstufungen. Der Schatten ist immer da, auch wenn wir ihn im Extrem, in der Maßlosigkeit und im Rausch oder Dunkel nicht wahrnehmen. Wenn wir ihn aber wahrnehmen, ist er eine ganzheitliche, eine göttliche Hilfe.

Wir müssen mit dem Schatten umgehen, denn er begleitet uns unaufhörlich. Auch wenn wir ihn nicht sehen, so existiert er seinem Prinzip nach. Um sein Phänomen zu verstehen, greifen wir zu einem konkreten Beispiel, den Fundamentalismus. Niemand möchte ihm anheimfallen und doch begegnen wir ihm regelmäßig. Dafür gibt es aus einer ganzheitlichen Sicht zwei Begrünungen, die sich beide durch das Spiegelphänomen begründen lassen, denn das uns Begegnende ist stets ein Spiegelbild, ein Umkehrbild unserer selbst.

Nach der ersten und einfachsten Begründung begegnet uns der Fundamentalismus im Außen, weil wir selbst keine Fundamentalisten sind. Unser Antifundamentalismus und der uns entgegentretende Fundamentalismus sind die zwei Seiten einer Einheit und Ganzheit. Nach der zweiten Begründung begegnet uns der Fundamentalismus gerade deshalb im Außen, weil er unseren eigenen, von uns unerkannten Fundamentalismus geradezu spiegelt und uns so mit ihm konfrontiert. Der ersten Argumentation nach sind wir keine Fundamentalisten und der zweiten nach sind wir solche. 

Jede der zwei Begründungen ist unzureichend und verlangt nach einer dritten. Die begründende Antwort muss eine triadische und somit eine uns dynamisierende sein. Der Spiegel in den wir schauen, zeigt es uns. Das Spiegelbild zeigt uns einerseits das Gleiche und Eine, nämlich uns selbst und doch zeigt es uns auch das in Zwei voneinander Unterschiedene. Der uns im Spiegel Anschauende ist das seitenverkehrte Ich.

Nach dem Bildgleichnis stimmen beide Sichtweisen, doch zeigen sie zugleich auch eine Hierarchie auf. Das Original ist der Nichtfundamentalist, der im Spiegel einen Fundamentalisten im Nichtfundamentalisten sieht. Wir sind Fundamentalisten, denn wir sind von der anderen Seite aus gesehen ebenso in unserer Anschauung verhaftet, wie wir das unserem Gegenüber vorwerfen. Zugleich begreifen wir uns als Anti-Fundamentalisten, also als das Gegenteil des uns Begegnenden.

Das Entscheidende am Schatten- und Spiegelphänomen ist seine dynamisierende Wirkung, die etwas „macht“. Sie erzeugt (3) ein neues Ich das sich dann regelrecht manifestiert (4). Über den Schatten wird eine neue Daseinsdimension geboren. Wir erleben das im Praktischen, wenn er uns mit der Dreidimensionalität vertraut macht, denn über ihn gewinnen wir den räumlichen Eindruck.

Der vereinigende dritte Punkt hebt den Begriff des Fundamentalismus auf eine höhere Ebene. Von dort wird er nicht mehr ausschließlich negativ gedeutet, sondern ermöglicht uns, das Göttliche an ihm zu erkennen und zu verwirklichen. Der fundamentalistische Aspekt macht plötzlich Sinn und wird zur Hilfe unserer Entwicklung. Was wir persönlich am Spiegel erleben, das findet seine große Parallele in der Gesellschaft. So sieht die Naturwissenschaft die Religion oft in der Rolle des Fundamentalisten und weiß von sich, dass sie geradezu antifundamentalistisch vorgeht. Das weiß sie, weil sie weiß, dass die Rückbesinnung auf das Fundament wichtig ist. Ihr Fundament unterscheidet sich von dem der Religion und doch ist gerade auch sie fundamental! Will sie sich selbst weiterentwickeln und das schauende Subjekt – sich selbst – in ihre Wissenschaft einbeziehen, wie es die Quantenphysik inzwischen auch fordert, benötigt sie die Mithilfe der Religion. Nimmt die Naturwissenschaftler das Spiegelbild ernst, dann erkennt sie im Naturwissenschaftler den religiösen Menschen. In dem Augenblick entsteht eine Dynamik (3), eine Zusammenarbeit, die beide verändert und reiner und formenfreier macht. Aus zwei fundamentalistischen Wissenschaften heraus würde sich eine Prinzipienwissenschaft manifestieren. Natürlich hätte auch die wiederum ein Fundament. Das aber wären die Zahlenarchetypen, welche sowohl die naturwissenschaftlichen Phänomene als auch die religiösen Erzählungen erhellen würde.

Der Schatten ist ein Lehrender. Nur begegnet uns sein lehrendes Prinzip offensichtlich immer in einer anderen Form als in der von uns gewünschten, beabsichtigten und favorisierenden. Sie erscheint uns negativ. Doch wir müssen das Prinzip (III) von der Form abstrahieren und sehen erlernen. Dann entwickeln wir uns weiter. Die Umwelt hilft dabei. Sie ist nicht wirklich ein Gegner. Wir tragen in uns einen Inhalt, der zur Offenbarung strebt und Form werden will. In unserer Unbewusstheit begegnet er uns in einer negativen Form. Wenn wir nicht versuchen, ihn zu entfliehen und in loszuwerden, legt er sich gerade nicht auf unser Glück, wie wir befürchten.

Da es sich hier um ein universelles Lebensprinzip handelt, ist der Schatten als unser ständiger Begleiter in der Welt so häufig das Thema von Märchen und Literatur. Sie heben das Thema aus der persönlichen Verstrickung ein Stück weit heraus und beleuchten die hinter ihm wirkenden Prinzipien. Wenn wir nicht mit einer Schattenwirtschaft, einem Schattenkabinett konfrontiert werden und nicht unverblühmt gezwungen werden, über unseren Schatten springen zu müssen“ oder jemandem wie ein Schatten folgen zu müssen, beherrscht die Polarität und Konfrontation auch nicht unseren Blick und wir haben es leichter. Wenn wir nicht unserem eigenen Schatten fürchten, legt er sich auch nicht, wie es die Redewendung sagt, auf unsere Seele.

  • James Matthew erzählt in der Figur des Peter Pan von einem Kind, das nicht erwachsen werden will und deshalb auf der „Trauminsel Nimmerland“ lebt. Peter Pan wird dort zum Anführer der „verlorenen Jungs“. Seinen Schatten hatte er bei der Familie Darling verloren. Auf der Insel begegnet er dem Schattenprinzip in seinem Gegenspieler, dem Anführer der Piraten Captain Hook. Peter Pan musste endlich auf die Erde zurückkehren, um seinen Schatten von Wendy Darling wieder annähen (3) zu lassen.
  • Adelbert von Camisso erfindet, während er von den Befreiungskriegen gegen Napoleon unfreiwillig ausgeschlossene wurde, die Geschichte von Peter Schlemihl, der gegen eine unerschöpfliche Geldmenge seinen Schatten an den Teufel verkaufte. Weil er danach unglücklich und in einer unerfüllten Liebe leben musste, versuchte er, den verkauften Schatten zurück zu gewinnen. Der Teufel verweigerte es ihm. Doch mit dem Kauf von Siebenmeilenstiefeln holte er seinen Schatten dann doch zurück. 
  • In Sibirien verbietet man den Kindern mit ihren Schatten zu spielen. Das symbolische Verbot weist auf den ernsthaften Wert des Schattens hin, der weder veräußert noch mit ihm gespielt werden darf.
  • Geister, ob gut oder böse, ob Vampir oder Engel sind schattenlos, denn sie selbst sind der Schatten des konkreten Diesseits. Die Engel haben stattdessen einen Heiligenschein – den Schein des Kreises und damit den der Ganzheit. Den eigenen Heiligenschein aber erkennt ein Mensch erst, wenn er ein starkes Licht hinter sich hat und in den Nebel schaut. Das bedeutet: Erst wenn er die Ganzheit hinter sich weiß, erscheint der ihm auch Heiligenschein (auch) im Nebel seines Daseins.
  • Der Sphinx ist das Symbol des Subjekts, seiner Größe und seines Schattens. An den Tagen der TagundNachtgleichen des Sommers und des Winters fällt er auf die ZWEITE Pyramide, die Pyramide des Chefren. An diesen zwei Tagen, den Tagen der Zweiheit dient der Schatten sichtbar dem Erkenntnisgewinn, der sich aus dem an sich unsichtbaren Konstruktionsdreieck der Pyramide gewinnen lässt. Das pythagoreische Dreieck der Seitenlängen 3, 4 und 5 verweist auf das Subjekts (5), das sich aus Geist (3) und Substanz (4) konstituiert.

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