Geisteswissenschaft ist die Kunst des Abstrahierens. Abstrahiert eine Geisteswissenschaft dann aber wirklich konsequent, so bedeutet das, mehr als nur das Ziehen von Verbindungen im Sinne des linearlogisch erscheinenden Zahlenstrahls, denn dessen Elemente – die Zahlen – leben geradezu von ihrer Konsequenz des Rückverbindens zu einem Ursprung und im Falle der Zahlen liegt der noch jenseits des Zahlenstrahls selbst. Noch bevor eine Linearität – die Linearität der Zahlen – entsteht, existiert bereits die erste, von Anfang an rückverbundene Zahl aller Zahlen, die Eins. Zahlen sind das Rückverbindungsprinzip schlechthin. Sie sind das, was wir mit «Religio» bezeichnen. Wir wenden uns ihnen zu, wenn wir Halt und Sicherheit suchen. Wir nennen es Religion. Andere nennen es Wissenschaft, aber er auch sie die kommen nicht umhin, sich den Zahlen und ihrer Wesenheiten zuzuwenden und sich ihrer zu bedienen. Der Unterschied ist nur ein kleiner und doch ein enormer. Die Grundlage der Wissenschaften ist der Zahlenstrahl mit seiner linearen Logik. Auf sie hin versucht die Wissenschaft alle Phänomene zu beziehen. Die Geisteswissenschaften tun heute leider das gleiche, sind ihrer Anlage nach aber dazu berufen, sich auf die Eins und Einheit hinter der Fülle der Zahlen und ihrer strahlenförmigen Anordnung zu beziehen.
Der Unterschied enthebt die wahre Geisteswissenschaft der Berufsfähigkeit, die ja voraussetzt, dass sich der Denker in den Dienst einer äußeren Sache oder gar einer Institution stellt. Geisteswissenschaft ist kein Beruf. Sie ist Berufung. Da sie über die Grenzen der Existenz hinausdenkt und vielmehr das Wesen der Grenzen erforscht, ist sie eine Kunst im eigentlichen Sinn. Sie denkt nicht im Natürlichen, bedient sich dem Natürlichen aber, um sich über die Natur der Dingen zu erheben. Die Geisteswissenschaft denkt im Übernatürlichen, im «Künstlichen», was Kunst bedeutet. Die Kunst dieses Denkens strebt immer vom Besonderen zum Allgemeinen. Erst wenn sie einen ihrer «Lichtblicke» anschaulich zu machen versucht, geht sie bewusst, den umgekehrten Weg, den vom Allgemeinen zum Besonderen. Das führt zu unvermeidbaren, also notwendigen Fehlern und sie macht ihre Aussagen angreifbar.
Was die wahre Geisteswissenschaft zu sagen hat, geht über Zeit und Raum hinaus. Es ist zeitlos und raumlos, obwohl sie diese für ihr Tun braucht und einsetzt. Der vorwiegende Gegenstand ihrer geistigen Tätigkeit sind die Elemente des Denkens alias die Sprache und die ist die der Zahlen. Zahlen sind die Ursprache schlechthin. Die Forderung nach Abstraktion führt unweigerlich zu ihnen. So logisch und unabweisbar das ist, so groß ist die Hürde für die Wissenschaft, dies zu sehen und anzuerkennen. Das liegt wohl daran, dass durch diese Einsicht ihr Fachgebiet sich im Kanon der Wissenschaften als ein sekundäres erweist und nicht den Anspruch erheben kann, eine «ersten Wissenschaft» (Ontologie, Metaphysik) zu sein, wie dies Aristoteles einst von der Wissenschaft gefordert hatte. Die «Kunst der Zahlen» ist und bleibt, wie Platon in seinem letzten und abschließenden Buch, die «Epinomis» vehement vertritt, die Wissenschaft der Wissenschaften.
Eine Wissenschaft, die raum- und zeitlos ist, kennt den Fortschritt nicht. Sie kann nur das immer schon Vorhandene reformulieren. Sie kennt nur den Rhythmus von Verschwinden und Wiederentdecken. Diese Botschaft und Warnung hat 1.000 Jahre nach dem Errichten der ägyptischen Pyramiden der Pharao Thutmosis IV auf eine steinerne Tafel schreiben lassen, nachdem er den ägyptischen Sphinx freigelegt hatte, den vom «Sand der Zeit» völlig verschüttet war. Aufgrund seiner Tat erst wurde er der Herrscher über Ägypten. Er brachte eine Steintafel zwischen den Pranken des Löwen an, die jeden ihm Folgenden daran erinnern sollte, das verschüttete Ur-Wissen immer wieder freizulegen.
Das mächtige Monument ist in Wahrheit der «Hüter der Schwelle» zum Aufgang zur Pyramide des Chefren. Wer dort hinein will und das Wissen über das Beherrschen der Welt in Empfang nehmen darf, der muss die ihr vorausgehenden geistigen Gesetze kennen, die den Wissenden auf rechten Pfaden leiten. Diese ersten Gesetze vermittelt die erste Pyramide, die Pyramide des Cheops. Wer das »Erste Wissen» nicht hat, der wird auch das sekundäre Wissen nicht für einen Bewusstseinsfortschritt und zum Wohle des Ganzen und der Menschen einsetzen. Um die Gefahr zu meistern, bedarf es eines «Hüters der Schwelle», wie es der große Sphinx in Gizeh ist. Er wurde zum Vorbild der Vielzahl von Sphingen und zum Vorbild der griechischen Sphinx, deren Rätsel sich auch der Held Ödipus in der Tragödie von Sophokles stellen musste.