Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Die Zahl 7 und das Zusammenkommen der Extreme

von Michael Stelzner

Die Sieben erzählt davon, wie sich das Wesen der Polarität (2) im denkbar größten Gegensatz, dem Gegensatz von Diesseits (4-5-6) und Jenseits (7) entfaltet. Die Sieben alias das Jenseitige ist nicht auf die gleiche Weise zugänglich, wie die Archetypen, die vom Diesseitigen erzählen. Sie erzählt deshalb mehr von der Grenze, dem Septum zwischen den Dimensionen und dem Aneinanderstoßen der Gegensätze. Was wir von der Sieben wahrnehmen, ist Reibung, also eine Funktion (3), d.h. die Sieben wirkt. Alles Weitere hat den Charakter einer Spekulation, denn wir nehmen ihr Sein und ihre Wirkungen mit unseren im Diesseits verhafteten Sinnen war. Die aber haben im gegenüberliegenden Sein keine oder nur eine bedingte Gültigkeit. Was uns bleibt, ist, dass wir die von der Sieben ausgehenden Wirkungen mit den Archetypen vergleichen, die uns bekannt sind und das sind die Archetypen Eins bis Sechs. Davon spricht auch der Begriff der Spekulation, der die «Spiegelung» (lat. speculum: Spiegelung) anspricht und in den Erscheinungen der Sieben eine Wiederspiegelung des Diesseits erkennt.

Im konkreten Diesseits verfügen wir über unterschiedliche Mittel, Hilfsgrößen und Unterscheidungskriterien, um das, was uns zunächst als Unbekanntes begegnet, zu beurteilen und einzuordnen. Der Geist der Aufklärung und die Naturwissenschaften sind dabei unsere bisher vornehmsten Hilfen. Die zahlreichen naturwissenschaftlichen Fachgebiete ermöglichen es uns, Zusammenhänge in einer Tiefe zu durchschauen, die sich der einfachen Anschauung entziehen. Wo die «Werkzeuge» eines Fachgebietes nicht mehr hinreichen, dort leisten oft die aus einem anderen «Werkzeugkasten» hilfreiche Dienste. Auf diese Weise gelingt es immer wieder, unbekannte Beziehungen aufzudecken und Grenzen zu überwinden bzw. ihren Sinn zu erkennen.

Das Vorgehen folgt dem triadischen Prinzip von These-Antithese-Synthese. Es ist universell und verbindet wirkungsvoll die Gegensätze. Bei der Sieben stößt es nun aber auf den denkbar größten Gegensatz, den von Diesseits und Jenseits. Das Besondere an ihm ist, dass das hier hervortretende Septum die Unwirksamkeit aller Werkzeuge fordert, die aus jedwedem, in den Dingen verhafteten Werkzeugkasten kommen. Darunter fallen alle naturwissenschaftlichen «Werkzeuge». Das betrifft auch die der Quantenmechanik, deren Theorie auf dem Postulat von Teilchen beruht, selbst wenn deren Existenz im besseren Wissen als virtuell bezeichnet werden. Der Kompromiss ist zunächst hilfreich, doch seinem Grunde nach ein fauler, den es zu überwinden gilt. Dem triadischen Prinzip nach gilt es, die im Diesseits verhaftete Substanz (4) mit dem im Jenseits wesenden Geist (3) zu einem größeren Ganzen zu verbinden. Diese Konsequenz hat schon Pythagoras erkannt und formuliert:

«Das Gleichnis dessen, der die höchste Vernunft besitzt, ist und kann nur die Fähigkeit sein, die Beziehungen zu erkennen, die auch Dinge einen, die scheinbar keinerlei Verbindungen zueinander haben».

Um die pythagoreische Forderung zu erfüllen, brauchen wir einen neuen, von den Dingen unabhängigen Werkzeugkasten. Wir brauchen eine Ontologie. Pythagoras hat sie uns mit «Alles ist Zahl» auch geliefert.

Auf dem Weg, die Zahlenarchetypen zu erforschen, stellen sich immer wieder Hindernisse auf, die unserer in den Substanzen verhafteten Denkweise entspringen. Die Erforschung und Beschreibung des Wesens der Sieben eignet sich in besonderer Weise dazu, das zu illustrieren. Sie werden regelrecht zur Nagelprobe der Erkenntnisgewinnung. Die Forderung der Sieben, auf den Einsatz eines altbekannten und bis dahin geschätzten Werkzeugkasten zu verzichten, fällt schwer. Die Forderung macht uns unerbittlich darauf aufmerksam, dass es beim Erheben über alte Sichtweisen immer ein Stückweit um einen Verzicht geht. Der Verzicht wird zur Bedingung und entfaltet seine positive Seite. Beim Erheben über das, was die einen «Septum» und die Anderen «Septem» nennen, tritt das eindrucksvoll hervor.

Aus metaphysischer alias ontologischer Sicht handelt es sich sowohl beim Begriff «Septum» als auch beim Begriff «Septem» um das Hervortreten des Wesens der Sieben. Aus etymologischer Sicht haben die zwei Begriffe jedoch keinerlei Beziehung und doch beschreiben sie das Gleiche. An dem Widerspruch wird deutlich, dass eine Grenze nicht nur zwei Dinge voneinander trennt. Die Grenze erhält ihre Qualitäten aus beiden Seiten. Sie trennt und sie verbindet das Getrennte voneinander. Ein hartgesottener Etymologe kann daran verzweifeln. Noch schlimmer wäre es, wenn er dem Kain-Abel-Prinzip folgt und der anderen Sicht ihre Berechtigung zu nehmen versucht. Den zeitlich angebrachten Verzicht auf die etymologische Wissenschaft hat Karl Jaspers herausgearbeitet:

«Etymologie ist ein altes Verfahren der Philosophen, auf den »Ursinn« der Worte zu achten, um mit der verborgenen Weisheit der Sprache ihre Gedanken zu stützen oder zu illustrieren und mit einer neuen Ausdruckskraft zu versehen. Die Mehrzahl solcher Etymologien seit Plato haben sich als falsch erwiesen. Wenn sie aber auch richtig sind, sind etymologische Einsichten sprachgeschichtliche, niemals sachliche Einsichten. Die sprachgeschichtliche Erkenntnis kann zuweilen offenbar machen, welche Vergleiche oder Identitaten in der ursprünglichen Metapher, in der alle Wortbedeutung entspringt, als überzeugend gelten konnten. Niemals aber kann der Rückzug auf den Wurzelsinn der Worte sachliche Erkenntnis fördern, außer der sprachgeschichtlichen».¹

Die in ihre Schranken gewiesene Etymologie wird dabei nicht überflüssig. Sie hilft oft tiefer zu schauen. Vor allem bekommt sie bei ihrem Versagen Hilfe von der Ätiologie, einem anderen Zweig der Sprachwissenschaft. Die zwei Forschungsgebiete ergänzen sich, indem sie unterschiedlichen Konzepten folgen und die unterschiedlichen Kontexte der Wörter betrachten. Die Etymologie betrachtet die Ursprünge von Wörtern in Hinblick auf ihre Sprachwurzeln, deren Entwicklung im Laufe der Zeit und ihre ursprüngliche Bedeutung. Die Ätiologie hingegen beschäftigt sich mit der Erforschung der Ursachen von Ereignissen oder Phänomenen. Beide betreiben Ursprungsforschung, doch tun sie es auf unterschiedlichen Ebenen. Die Erzählungen der Zahlen ergänzen die zwei Ebenen mit einer dritten, verbindenden Ebene.

Der irrationale Gegensatz von Mann und Frau in der Bibel

Der über die Zahl Sieben sichtbar werdende und ins Extrem getriebene Widerspruch ist der ureigene Gegenstand von Religionen. Sie thematisieren den Gegensatz von Diesseits und Jenseits, von Gott und Mensch. Von ihm erzählt die Zahl Sieben, die in der Theologie des Judentums, Christentums und des Islam für die erste und eine Gottheit steht.²

Das Bewusstsein des Menschen ist in zwei Seins-Ebenen verankert, in der Ganzheit und Einheit (1) einerseits und in der Polarität und dem Widerspruch (2) andererseits. Die biblische Genesis konfrontiert dieses Bewusstsein mit der allbekannten Sieben-Tage-Ordnung. Sie ist die Grundlage, auf der sich das Bewusstsein immer weiter erhebt. Es beginnt mit der Realisierung der Existenz des maximalen Widerspruchs in Form von Rationalität und Irrationalität, von Berechenbarkeit und Zufall.

Die zwei sich widersprechenden und doch ergänzenden Bewusstseinsanteile des Menschen erfasst der Bibeltext in der Beschreibung des Augenblicks, in dem der Gegensatz von Mann und Frau augenscheinlich wird. Zuvor spricht der Text noch ausschließlich vom ungeschlechtlichen Wesen «Mensch», das er über den Begriff «Adam» erfasst und der zugleich «fruchtbarer Erdboden» bedeutet. Erst als die Gottheit aus diesem «Erdling Adam» heraus die Frau erschafft, wird aus dem einstigen Erdling das männliche Subjekt, das der Text nun mit dem gleichlautenden «Namen Adam» belegt.

Die Botschaft von der Erschaffung des Menschenpaares ist hochkomplex, fußt aber auf einem entscheidenden Prinzip: Die Frau (2) wurde im «Tiefschlaf des Erdlings» aus einer seiner zwei Seiten geformt. Das hebräische Wort für «Seite» (2) bedeutet zugleich «Rippe», was Eingang in die populären Übersetzungen gefunden hat. Der Akt der Geburt des Menschenpaares besteht also ausdrücklich im Erheben (!) der Zwei aus einem ungreifbaren Ganzen (1). Wohlgemerkt: Im Akt des Erhebens der Frau (2) entsteht auch der Mann in Form der zurückgebliebenen Hälfte.

Die Botschaft die die neu erschaute Zweiheit bereithält, findet man in dem Satz, in dem erstmals die Begriffe «Mann» und «Frau» auftauchen und der zugleich die maßgebenden Unterscheidungskriterien für das Bewusstsein erfasst. Der Satz verknüpft die Unterscheidungskriterien mit dem Begriff «Fleisch», der im Hebräischen zugleich «Botschaft» bedeutet!

«Und es sprach der Mensch: Diese ist dieses Mal Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch. Zu dieser soll gerufen werden Männin, denn vom Mann ist sie genommen.» (Gen 2:23)³

Mit dem Erschauen der Gegensätze, an dem der Erschauende selbst teil hat, erwachen die Subjekte und die Subjektivität der Menschen. Die Schauenden nehmen bewusst eine Ordnung war, aus der sie eine erste Orientierung ablesen können. Zunächst spricht der Mann, wie zuvor die Gottheit sprach, als sie die Archetypen der Schöpfung vorstellte. Mit anderen Worten: Der Mensch führt in der archetypischen Folge das fort, was die Gottheit begonnen hat. Im Sprechen definiert er sich als «Mann». Seine Worte aber sind auf die Existenz der «Frau» gerichtet! Die biblischen Bezeichnungen für «Mann» und «Frau» verraten die zwischen ihnen bestehende Beziehung, die mehr als nur eine Dimension in Augenschein nimmt. Sie erhellen das zuvor Gesagte über das Wesen der Etymologie:

Die hebräischen Wörter für «Mann» und «Frau», «iš» (vyai / 1-10-300) und «išša» (hV’ai / 1-300-5) klingen im Hebräischen auffallend ähnlich, haben aber keinerlei etymologische Beziehung. Der Gleichklang ist es, der ihre größtmögliche Nähe offensichtlich macht. Um das Wortspiel, das über die Formen hinausgeht, ins Deutsche zu übertragen, übersetzte Luther den hebräischen Begriff für «Frau» mit «Männin».

Die auf Identität hinweisende Ähnlichkeit in der Form findet man bereits im «Gesetz der Vier», das erstmals die Einheit (1) in der Vielheit (4) in Zeichen und Zahlen erfasst. In der Schöpfungserzählung wird sie sichtbar im Verhältnis von Schöpfer (1) und dem von ihm Geschöpften (4) und dessen Subjekten, den Geschöpfen (5). Was bereits der 6. Schöpfungstag mit der Schöpfung des Menschen «… im Bilde Gottes» sichtbar macht, das bekommt Gestalt in den Subjekten (5) Mann und Frau und entfaltet sich fortlaufend in deren Bewusstsein.

Die umfangreiche Botschaft dieses Satzes setzt das Wissen um Bedeutung der Wörter voraus, die mehrere Dimensionen übergreifen. Die Wörter sind «Gebein», «Fleisch» und «Frau». Die jeweils polar, also zweifach gebrauchten Begriffe werden durch ein im Hintergrund wirkendes Drittes zu einem Ganzen. Das Wirken dieses Dritten macht den hier erstmals zur Sprache kommende Menschen zur Sprache und zu echter Erkenntnis fähig. Deutlich wird das am Begriff «Gebein» ( M x o / 70-90-40), der den anderen zwei Begriffen «Fleisch» und «Frau» bewusst vorangestellt ist. Das Gebein eines lebendigen Wesens ist nicht unmittelbar sichtbar und doch trägt es und stabilisiert dessen äußere Form. Die im Außen sichtbaren Gegenpole werden durch die im Hintergrund wirkende und dem fleischlichen Auge verborgene Mächtigkeit zusammengehalten. In ihm sind sie ein noch undifferenziertes Ganzes. Die hebräische Sprache lässt keinen Zweifel an dem Zusammenhang. Die Wortwurzel für «Gebein» ist auch die für «mächtig» oder «gewaltig».⁴ Sie steht für eine Pluralität, die «zu groß ist, um sie zählen zu können». Das, was man mit Zahlen nicht erfassen kann, das bleibt im Numinosen.

In der Metapher vom «Wirken des Gebeins» verbirgt sich eigentliche Botschaft des entscheidenden Satzes von der Menschwerdung. Die Botschaft aber kann nur über das Äußere, das Fleisch empfangen werden. Deswegen bedeutet im Hebräischen «Fleisch» zugleich «Botschaft». Der Begriff erfasst zwei Dimensionen. Analog verhält es sich mit «Mann» und «Frau», die voneinander Getrennte sind, jedoch danach streben, ein Ganzes zu sein.

Im Wissen um die Mehrfachbedeutung der hebräischen Wörter kann man den so anspruchsvollen Satz der Menschwerdung von Mann und Frau zum besseren Verständnis in völlig freier Übersetzung beispielsweise folgendermaßen lesen:

«Und es sprach der zur wahren Schau nun fähige Mensch: Dieses Mal sehe ich in meinem Gegenüber das Potential meines Potentials und die Botschaft meiner Botschaft. Diese wahre Zwei (11) soll Eins (1) heißen, denn sie hat sich aus der Eins erhoben.»

Fußnoten

¹ Karl Jaspers: Was ist Philosophie? dtv, isbn 3-423-01575-6, München 1980, S. 314.

² Die Sieben-Tage-Erzählung ist nicht nur die Grundlage des Judentums, sondern auch die des Christentums und des Islams. In ihr ordnet die biblische Genesis die Zahl Sieben der Gottheit zu:

« … Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte. Und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte er von all seinem Werk, das Gott geschaffen hatte, indem er es machte … » (Gen 2,1ff / Elb) .

 

³ Linearübersetzung Gen 2:23

rm,aYOw:

~d’a’h‘

tazO

~[;P;h;

~c,[,

ym;c'[]me

rf’b’W

Und-es-sprach

der-Mensch:

Diese

diesmal

Gebeine

von-meinen-Gebeinen

und-Fleisch

6-10-1-40-200

(3)5-1-4-40

7-1-400

5-80-70-40

70-90-40

40-70-90-40-10

6-2-300-200

 

yrIf’B.mi

tazOl.

areQ’yI

hV’ai

yKi

vyaime

von-meinem-Fleisch;

zu-dieser

es-soll-gerufen-werden

Männin,

denn

vom-Mann

40-2-300-200-10

30-7-1-400

10-100-200-1

1-300-5

20-10

40-1-10-300

 

⁴ Wilhelm Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch, ISBN 978-3-540-68363-6 Springer Verlag.

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