Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Jesus und die Samaritanerin (Joh 4) – ein Lehrstück für Sechs

von Michael Stelzner

Übersetzung n. Elberfelder Bibel:

1 Als nun der Herr erkannte, daß die Pharisäer gehört hatten, daß Jesus mehr Jünger mache und taufe als Johannes 2 obgleich Jesus selbst nicht taufte, sondern seine Jünger, 3 verließ er Judäa und zog wieder nach Galiläa. 4 Er mußte aber durch Samaria ziehen. 5 Er kommt nun in eine Stadt Samarias, genannt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab. 6 Es war aber dort eine Quelle Jakobs. Jesus nun, ermüdet von der Reise, setzte sich ohne weiteres an die Quelle nieder. Es war um die sechste Stunde. 7 Da kommt eine Frau aus Samaria, Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren weggegangen in die Stadt, um Speise zu kaufen. 9 Die samaritische Frau spricht nun zu ihm: Wie bittest du, der du ein Jude bist, von mir zu trinken, die ich eine samaritische Frau bin? Denn die Juden verkehren nicht mit den Samaritern. 10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du die Gabe Gottes kenntest und <wüßtest>, wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken! so hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. 11 Die Frau spricht zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief. Woher hast du denn das lebendige Wasser? 12 Du bist doch nicht größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab, und er selbst trank daraus und seine Söhne und sein Vieh? 13 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten; 14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt. 15 Die Frau spricht zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit mich nicht dürste und ich nicht hierher komme, um zu schöpfen. 16 Er spricht zu ihr: Geh hin, rufe deinen Mann und komm hierher! 17 Die Frau antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jesus spricht zu ihr: Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann; 18 denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; hierin hast du wahr geredet. 19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist. 20 Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, daß in Jerusalem der Ort sei, wo man anbeten müsse. 21 Jesus spricht zu ihr: Frau, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen, denn das Heil ist aus den Juden. 23 Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden[a]; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter. 24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten. 25 Die Frau spricht zu ihm: Ich weiß, daß der Messias kommt, der Christus genannt wird; wenn jener kommt, wird er uns alles verkündigen. 26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin es, der mit dir redet …

Die im Johannesevangelium (Joh 4,1-42) erzählte Begegnung von Jesu mit der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen ist ihrem Kern nach die Beschreibung einer notwendig gewordenen Grenzüberschreitung. Ein solche liegt grundsätzlich immer vor, wenn ein Archetyp in den ihn folgenden übergeht. Im Falle des vierten Evangelisten betrifft die Grenzüberschreitung den in der ganz konkreten Welt (4) in allen Bereichen stattfindenden Übergangs in eine höhere Daseinsdimension, wie er vom geometrischen Gleichnis des rechtwinkligen Dreiecks der Seitenlängen 3, 4 und 5 sowie dessen darin entstehender Fläche 6 veranschaulicht wird.

Jesus, das göttliche Subjekt (5) vollzieht eine konkrete und symbolisch Grenzüberschreitung, indem er von Judäa nach Galiläa zieht. Auf dem Weg dorthin lässt er sich am Jakobsbrunnen in Samarien nieder. Der Jakobsbrunnen wurde offenbar von Jakob, dem gemeinsamen dritten Urvater beider Länder begründet. Er und der sich nahe bei ihm befindende Berg Garazim transportieren deshalb den Geist der Verbindung. Sie sind der Ort an dem die Geschichte der 12 Stämme Israels begann.

Jesus begegnet an dem Brunnen einer samaritanischen Frau, die zum Wasserschöpfen dorthin kam. Dabei fordert er sie auf, auch ihm Wasser zu schöpfen. Das verwundert die Frau in mehrfacher Weise, denn Juden ist der Verkehr mit Samaritanern untersagt und Jesus hat nicht einmal das notwendige, konkrete Gefäß dabei, um an diesen tiefen Brunnen das Wasser zu schöpfen. Das zeigt: Die Begegnung beinhaltet nicht nur eine profane und horizontale Grenzüberschreitung sondern zudem eine der hierarchischen, also geistigen Art. Indem Jesus, der Mehrwissende, von dieser anderen, geistigen Welt berichtet und das auf sie gerichtete Bedürfnis der Frau erweckt, werden zwei Bedürfnisarten zusammengeführt. Es wird offensichtlich, dass beiden ein doppeltes Bedürfnis haben. Das materielle Bedürfnis des Subjekts (5) nach dem physischen Wasser (4) paart sich mit ihrem Bedürfnis nach geistiger Befriedigung (3).

Jesus hat bei der Samariterin eine Grenzüberschreitung initiiert. Hatte sie zuerst nur den „Grenzbruch“ das Juden Jesus benannt, so verlangt sie nun innig nach etwas, das einer ihr fremden Welt zugehört. Jesus lenkt den in ihren vorangehenden Worten einst enthaltenen Vorwurf seiner Grenzüberschreitung durch eine neuerliche, geistige Grenzüberschreitung auf sie zurück und eröffnet ihr die Möglichkeit zur Wahrhaftigkeit. Hatte das Gespräch bis dahin noch einen komplizierten, religionsgeschichtlichen und theologischen Zusammenhang, so wendet es Jesus jetzt abrupt um und überträgt es in die konkrete und sinnliche Welt der Samariterin. Er fragt sie nach ihrem Mann. Daraufhin wird deutlich, dass die Frau in ihrer Welt mit ihren fünf Männern und dem nun sechsten Mann, der „nicht ihr Mann ist“, ebenso Grenzen überschreitet, wie Jesus das in seiner Welt tut. Die geistige und die körperliche Welt kommen hier zusammen, so, wie es der Archetyp der Sechszahl verlangt. Spätestens hier wird deutlich, warum das Geschehen ausdrücklich in der sechsten Stunde stattfindet. Die Zahl Sechs ist der Grenzbereich der konkreten Welt zur geistigen. Was dort geschieht zielt auf Fruchtbarkeit. Dabei bedient es sich, wie auch der Sex dem Schutz des Raumes. Jesus und die Samariterin sind eigens unter sich, denn die begleitenden Jünger Jesu sind Brot holen und bemühen sich um die rein körperliche Speise.

Jesus und die Samaritanerin kommen aus zwei unterschiedlichen Welten. Sie treffen sich an einem Brunnen. Der ist ein Symbol für die Vierzahl. Über seine jakobinische Herkunft transportiert er zudem die Qualität der Dreizahl. Drei und vier, sowie die sie verbindenden Subjekte (5) sind die Ausgangselemente für die höchste aller weltlichen Funktionen, der Sechs. Was an diesem Brunnen geschieht, wird von der Zusammenkunft zweier Bedürfnisse hervorgerufen, dem körperlichen Durst und dem geistigen Verlangen nach Erfüllung. Beide drängen in beiden Subjekten (5), dem bewussten Jesus als auch in der noch weniger bewussten Samaritanerin. Die Begegnung ist zum einen sowohl eine horizontale als auch eine vertikale. Die Sechszahl umfasst zum anderen alle denkbaren Subjekte, auch das göttliche und größte, wie es der Namen JHWH (10 = 5 + 5) versinnbildlicht und wie es Jesus beifolgend benennt:

Es kommt aber die Stunde und sie ist jetzt, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter.“ (Joh 4:23)

In der Erzählung von der Begegnung mit der Samariterin fließen das Körperliche und das Geistige zusammen. Das ist Sechs. Der Fluss ergreift die horizontalen und die vertikalen Gegensätze.

Was an diesem Brunnen geschieht und zunächst über einen großen religionsgeschichtlichen Zusammenhang daherkommt, das geschieht im Kleinen im Leben der Geschlechter. Die Erzählung löst einen möglichen Zweifel daran auf, indem sie den vorerst großen philosophischen Zusammenhang unmittelbar und nur scheinbar plötzlich auf die Geschlechterbeziehung herunterbricht. Sechs ist der Zusammenfluss der Gegensätze auf allen Ebenen. Die Erzählung von Jesus und der Samaritanerin eröffnet darin u.a. einen Zugang zum zumeist unverstandenen Text von Off 13:18.

„Hier geht es um Weisheit. Wer Verstand hat, der finde heraus, was die Zahl des Tieres bedeutet, denn sie steht für den Namen eines Menschen. Es ist die Zahl 666.“

Wenn sich Geist und Körper wahrhaft begegnen, dann wird eine neue und höhere Seinsebene gegründet. Das den Körper, den Geist und das Subjekt umschließende Kriterium ist dabei die Wahrhaftigkeit. Ein Individuum (5) verhält sich wahrhaftig, wenn es nicht vor sich nach außen flieht, sondern nach innen gerichtet ist und sich begegnet. Das mathematische Gleichnis dafür ist sein Quadrat (52). In diesem Falle verbindet es auf rechte Weise (rechtwinklig) den wahrhaftigen Körper (42) mit dem wahrhaftigen Geist (32). Das aber ist die inhaltliche Aussage des Satz des Pythagoras (32 + 42 = 52), der den Hintergrund der Erzählung von der Begegnung Jesus mit der Samaritanerin.

 

Abb.  Pythagoreisches Dreieck

Der «Satz des Pythagoras» symbolisiert die wahrhaftige («quadrierende») Begegnung von Geist (3) und Substanz (4). 

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