Zunächst aber noch einmal zu den vielen Sprachen. Derer gibt es mehr, als wir glauben, denn alles ist Sprache. Neben der allgemeinen Umgangssprache, gibt es die Sprache der Bewegung, die Sprache der Dichtung, der Kunst und die Sprache der Mathematik, die genau genommen eine Sprache der zählenden und erzählenden Zahlen ist.
Wir stehen vor einer Skala von Sprachen, die uns ein graduell unterschiedliches Wechselspiel von Inhalten und Formen bietet. Die gesprochene Sprache und die der Mathematik scheinen dabei zwei unterschiedlichen Welten zuzugehören und sich sogar polar gegenüber zu stehen. Im Bild der Scala wären sie ihr Anfang und ihr Ende. Das Ende einer Sprache allein ist nichts Außergewöhnliches. Nach dem phänomenalen Siegeszug der universellen Mathematik konfrontiert uns ihr Grenze mit etwas Schlimmeren, nämlich mit dem scheinbaren Ende der Existenz einer Universalität. Der «im Bilde der Gottheit erschaffene Mensch» kann das nicht hinnehmen und ist aufgefordert, wieder Licht ins Dunkel seines Daseins bringen.
Der überwältigende Siegeszug der Mathematik scheint darauf zu beruhen, dass man sie mit Hilfe von geometrischen Figuren und Formeln – und nicht zu vergessen, den Zahlen – von der gesprochenen Sprache weitgehend befreit hat. Schauen wir uns die so ins Hintertreffen geratene Sprache genauer an, dann kann man nicht behaupten, die Sprache würde keine mathematischen Elemente enthalten. Spätestens die Grammatik beweist das Gegenteil. Die Sprache ist Zeuge eines Phänomens, das jede Polarität kennzeichnet: im Kern des Einen scheint das Andere auf, ähnlich dem Tai-Chi-Zeichen, das solchen inneren Zusammenhang vermittelt.
Was in der Mathematik unter „Befreiung“ von der Sprache verstanden wird, führt paradoxerweise wieder zu einer Sprache, der „mathematische Sprache“. Zwischen Sprache und Mathematik gibt es ein unauflösliches Band. Um wieder im Bild der Skala zu bleiben, können wir auf ihr das Maß der Konzentration an Inhalten ablesen. Wenn auf der linken Seite der Skala gesprochener Sprachen die allgemeine Umgangssprache steht, dann steht auf ihrer rechten Seite die Dichtkunst. Die Dichtkunst konzentriert die zu vermittelnden Inhalte. Sie „verdichtet“ sie zu einer Qualität, die über die einfache Sprache hinauswächst.
Spätestens in der Metrik der Dichtkunst tritt auch für den Unsensiblen die Verwandtschaft zur Mathematik hervor. Natürlich erfolgt die inhaltliche Konzentration schon viel früher, nämlich bereits in der Wahl der einzelnen Worte, in denen sich symbolhaft komplex-sinnliche Inhalte ausdrücken.
Die Kunst wie die Musik haben ihren Platz auf der Skala der Sprachen. Kunst und Schönheit leben von der Symmetrie und wo Symmetrien sind, dort sind auch Zahlen – die Entitäten, die auch die Mathematik begründen. Hier wird klar, dass der Zahlbegriff die Vollkommenheit tangiert und mehr ist als die ihrer Inhalte entleerte Zahl wie sie im Geschäft des mechanischen Zahlenrechnens gebraucht wird.
Die Kunst ist die Quelle unseres Gefühlslebens. Sie erweckt die in unserer Seele vorhandenen göttlichen (ganzheitlichen) Inhalte und bringt sie zum Mitschwingen. Ohne diese Resonanz wären wir nur trockene Nützlichkeits- und Verstandesmenschen. Wie wenig mechanisch agierenden Mathematikern die Abtrennung der Inhalte gelingt, erleben sie, wenn sie von der in der Mathematik verborgenen Kunst einmal ergriffen werden. Das geschieht, sobald sie von den inneren Symmetrien der Mathematik ergriffen werden, und die Mathematik ihre Harmonien preisgibt.
Doch bei allem: Das Verbindungsglied zwischen den Sprachen ist die Zahl. „Alles ist Zahl“ (Pythagoras).
Reflektieren wir, was wir in unserer Umschau soeben getan haben: Wir haben nicht die Zahl von der Kunst getrennt. Wir haben den Wert beider deutlich umrissen und sie zu einer Einheit, zur „Kunst der Zahlen“, der ZAHLENKUNST zusammengeführt, von der Platon vor 2.500 Jahren bereits gesprochen hat und auf der seine Lehre (be)ruht.