Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Der Koran und der goldene Schnitt

von Michael Stelzner

Der KORAN hat 114 Suren. Davon enthalten 85 Suren den Namen ALLAH. Man nennt sie die „ALLAH-Suren“. Ihnen stehen 29 Suren gegenüber, die den Namen ALLAH nicht enthalten. Der erste Eindruck ist der einer Zweiteilung. Die aber erfolgt im Hinblick auf den Namen ALLAH, mithin zum Vollkommenen. Das Unterteilen und Zweimachen verliert durch den Bezug seinen zerstörenden Aspekt, denn es erfolgt im Hinblick auf das Ganze und steht in dessen Dienst. Was hier ins Bild gesetzt wird, ist ein besonderes Dreieckverhältnis. Das Verhältnis des Einen zum Anderen, das seinerseits wiederum auf ein höheres Ganzes verweist, beschreibt ganz allgemein die Dreieck-Beziehung der Zahlen 1, 2 und 3. Es beschreibt aber mehr. Es beschreibt bereits den Kern einer vollkommenen Beziehung, wie wir sie später im goldenen Schnitt vorfinden. Dort betrachten wir Minor (0.618…), Major (1) und das Ganze 1.618…). Die Besonderheiten der Zahlen des goldenen Schnitts bestehen darin, dass Major, der zweite Wert in der Reihe die Zahl 1 ist. Sie ist nicht nur die Einheit. Sie steht in der Mitte. Sie ist eine «vermittelnde Einheit», denn sie verbindet die Extreme Minor und das Ganze. Das Zweite und vermeintlich Geringe geht nicht nur nicht verloren, im Gegenteil. Es wird aufgewertet und zum Teil des Ganzen.

Was schon das einfache Dreieckverhältnis der Zahlen1, 2 und 3 erzählt, das greift der goldene Schnitt inhaltlich auf. Indem er nun dem Zweiten (Major) die verbindende Eins zuordnet, tritt eine neue Verbindung hervor. Es ist das prinzipiell Verbindende des goldenen Schnitts, das aus der Zahl 5, dem Bewusstsein erwächst. Das im einfachen Dreieck noch profan erscheinende Zusammenwirken von Gegensätzen wird nun zu einem Akt des Bewusstseins.

Die Suren des KORAN thematisieren das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein des Namens ALLAH. Was zunächst als Gegensatz erscheint wird durch die Zahl 114 und dem voran aufgezeigten Muster zum Dreieckverhältnis. Das rückt zugleich die Frage nach dem herrschenden Bewusstsein (5) ins Blickfeld. Auch wenn an dieser Stelle die Botschaft der Zahl 29 noch unklar bleibt, kann man doch schon ersehen, dass das Fehlen des Namens in 29 Suren weder Zufall noch Willkür ist.

Die Zahl 29 «spaltet» nicht nur in ALLAH-Suren und Nicht-ALLAH-Suren. Sie macht eine weitergehende Differenzierung sichtbar und überschreitet dabei sogar die Grenze des Begreifbaren. Vor 29 Suren stehen sogenannte Initialen. Das sind Vorbuchstaben bzw. Vorzahlen, die dem Text einer Sure jeweils vorangestellt sind. Sie sind ungleichmäßig über die Suren verteilt und wirken wie Fremdkörper ohne Sinn und Bedeutung. Weil sie ein offenbarter Teil der Schrift sind, haben sie Bedeutung und müssen bei der Koran-Rezitation mitrezitiert werden. Jener eigenartige Kontext legt nahe, dass die scheinbar sinnlosen Vorbuchstaben die Hüter einer Schwelle sind, hinter der sich eine letzte und höchste Botschaft verbirgt. Was sie im Einzelnen aussagen, ist Gegenstand des gesonderten Aufsatzes «Die mysteriösen Koran-Initialen und das polare Wesen der Zahlen». Hier geht es zunächst um die Zahl 29 und ihre Beziehung zu den Zahlen des goldenen Schnitts, die aus der Zahl 5 erwachsen.

Die 29 wirft einen zweifachen den Blick auf das Wesen des Differenzierens. Einmal steht dabei der Name ALLAH und das andere Mal die numinosen Initialen im Zentrum der Betrachtung. Beide Fokusse stehen zunächst nicht miteinander in Verbindung. Eine solche kann man nicht erkennen, weil beide unterschiedlichen Dimensionen zugehören. Der Bruch zwischen beiden ist offensichtlich. Die Initialen sind kein Ersatz für den Name ALLAH. Das Gemeinsame ist die Zahl 29 und die Verhältnisse die sie hervorbringen und doch kommen die Summen von je 29 auf unterschiedliche Weise zustande. Auch wenn es keinen direkten linearen Zusammenhang gibt, kann man wohl erkennen, dass es in beiden Fällen um die Beschreibung des Ganzen und seiner Teile geht. Dass hinter ihrem Erscheinen die Zahl 5 und der aus ihr hervorgehende goldene Schnitt wirkt, erweist die nachfolgend beschriebene Geometrie der zwei Verhältnisse. In beiden Fällen geht es um das Zusammenwirken, um die Einheit in der Unterschiedenheit.

Um die tieferliegende Botschaft des KORANs empfangen zu können, versucht der den Leser in seinem Empfinden der Dinge abzuholen und führt ihn die Teile und das Ganze vor Augen.

Das für unser Dasein übliche Denken in Linearitäten lässt scheinbar keinen Zweifel am Rang der Dinge aufkommen. Das herrschende Paradigma bewirkt scheinbare Eindeutigkeit. Das Große ist groß und das Kleine ist klein. So funktioniert das profane Erleben. Das sich aus diesem Dasein erhebende Bewusstsein führt uns sodann immer wieder den Bruch dieser liebgewonnenen Linearitäten vor Augen. Wir bemerken, dass der Bruch in unserem vermeintlichen Wissen über das Eindeutige wurzelt. Das Eindeutige ist dann nicht mehr das, wofür wir es gehalten haben. Es beherbergt die Zwei und den Zweifel. Der Kern des Problems ist unsere Schau auf den Anfang, unsere Schau auf die Eins – das Göttliche und Ganze. Wir, die Betrachter können dem Ganzen nur inne werden, wenn wir es aus zwei Perspektiven heraus betrachten. Das erzählt im wörtlichen Sinn der Koran über die voran beschriebenen zwei Perspektiven auf das Ganze (114) und seine zwei Teile, das Kleine (29) und das Große (85).

114 Suren  =    85 Suren  mit Namen ALLAH    +    29 Suren ohne ALLAH

114 Suren  =    85 Suren ohne            Initialen    +    29 Suren  mit   Initialen

Die Dreier-Struktur vom Ganzen, dem Großen und dem Kleinen lässt sich nicht mehr auf einfache Weise und linear erfassen. Einmal treten die 85 Suren, alias der linear größere Teil durch das «mit ALLAH» und das andere Mal durch das «ohne Initialen» hervor. Das «mit» und das «ohne» sind die zwei Seiten des Größeren. Ebenso sind der Name ALLAH und die Initialen die zwei Seiten der Einheit und Ganzheit, um die zu erkennen, es immer geht. Der KORAN setzt hier über die Zahlen 114, 85 und 29 das ins Bild, was die Zahlen des goldenen Schnitts aussagen. Und die erzählen auf nichtlineare Weise endlich vom hohen Wert des Zweiten und Gebrochenen. Deutlich wird das, wenn man die drei Größen des goldenen Schnitts – die ihrem archetypischen Wesen nach eine Drei-Einheit sind – in der uns vertrauten, linearen Weise niederschreibt (s. Abbildung). In der Abfolge von Minor, Major und dem Ganzen nimmt die Zahl 1 die zweite der drei Positionen ein. Ausgerechnet die Eins, das Symbol für Einmaligkeit und Eindeutigkeit bringt die Identität mit dem Archetyp der Zwei zur Anschauung. Mit anderen Worten: Die Eins erfüllt die Zwei. Der Betrachter des goldenen Schnitts erlebt, wie die Einheit und Ganzheit über alles Teilhaftige hinweg regiert. Das gilt auch und vor allem für die Zwei, für den Archetyp, der in unserer vorwiegend linearen Weltsicht für das Andere und Widersprüchliche steht.

Abb. 
oben: Die drei Größen des goldenen Schnitts als lineare Erscheinung.
unten: Die Struktur des Koran vor dem Hintergrund des goldenen Schnitts.

Der goldene Schnitt erzählt in erster Linie vom wahren Wesen des Zweiten, des Kleinen und Geringen. Seine Zahlen erzählen von Identitäten. Sie machen anschaulich, dass das Kleine und Geringe keineswegs unbedeutend ist – im Gegenteil. Die über die Dimensionen hinweggreifende Identität ist Ausdruck der Einheit und Ganzheit, die explizit über das Zweite und «Kleinere» anschaulich wird. Die Zahlen rechts und links neben der Eins finden ihre Identität mit dem Ganzen geradezu und nur über das Kleine. Im goldenen Schnitt sind das die Zahlen hinter dem Komma, die uns das vor Augen führen (0,6180… und 1,6180…).

Das Phänomen des goldenen Schnitts ist das mathematische Vorbild für die Struktur des KORAN. Das gilt allgemein für das Verhältnis des Menschen zu seiner Gottheit, dass man über die Sprache der Zahlen erschließen kann. Insbesondere aber gilt es für das Verstehen seines Namens ALLAH und für die eigenartigen KORAN-Initialen, die sich einer linearlogischen Interpretation entziehen.

Wie sehr der KORAN sich am goldenen Schnitt orientiert und zu einem Blickwechsel auf das vermeintlich Zweite und Geringe auffordert, wird klar, wenn man seine Zahlen mit denen des goldenen Schnitts vergleicht, wie das die Abbildung zeigt.

Die Anzahl der «ALLAH-Suren» und die Anzahl der eigenartig initialisierten Suren sind nicht zufällig. Sie haben zur Gesamtzahl der Suren ein Verhältnis, das die gleichen Phänomene hervorbringt, die wir beim goldenen Schnitt finden. Auch hier geht es um das scheinbar Kleine und Niedere, das Identität stiftet:

  • Das Verhältnis aller 114 Koransuren zu den 85 Suren, die den Namen ALLAH enthalten, ist 114 : 85 = 1,34117647
  • Die 29 Suren, die den Namen ALLAH nicht enthalten, stehen zu 85 ALLAH-Suren im Verhältnis   29 : 85 = 0,34117647
  • Die 29 Suren mit Initialen stehen zu den 85 Suren ohne Initialen im Verhältnis
      29 : 85 = 0,34117647
  • Das Verhältnis aller 114 Koran-Suren zu den 85 nicht initialisierten Suren ist
      114 : 85 = 1,34117647

Der Goldene Schnitt wie der KORAN beschreiben über die identischen Ziffern nach dem Komma auf mathematische Weise die Zusammengehörigkeit aller Teile, mithin die Göttlichkeit der Schöpfung. Erschaut werden kann sie jedoch nur von einem fortgeschrittenen Bewusstsein (5), das die Oberflächen der Linearitäten durchschaut und sie in ein größeres Verhältnis zu setzen vermag.

Versucht man die dargestellten Verhältnisse mit einer letzten, einer archetypischen Aussage zu erfassen, so geht es um die Schau des ersten aller Verhältnisse, um das Urverhältnis von Eins und Zwei, das uns auf lineare Weise regelmäßig im Verhältnis von «Ja» und «Nein» begegnet und schließlich im Verhältnis des Menschen zu seiner Gottheit gipfelt.

Der Widerspruch von «Ja» und Nein» zeigt sich in den ALLAH-Suren und den Koran-Initialen über das «mit» und das «ohne» (siehe Abbildung). Was der goldene Schnitt über die nackten Zahlen ins Bild setzt, das interpretiert der KORAN zusätzlich über die Unbegreifbarkeit des Namen ALLAH und die eigenartigen KORAN-Initialen. Obwohl beide in keiner direkten Beziehung stehen, korrespondieren ihre Zahlen auf nichtlineare Weise. Hier sei nochmals erwähnt, dass beide Muster unterschiedlichen Dimensionen zugehören und es nicht so ist, dass die Initialen ein Ersatz für den Name ALLAH wären. Trotz der Trennung der Dimensionen gibt es, wie die Zahlen zeigen, eine Verbindung, denn beide erzählen von ein und dem gleichen Einen. Was die eine Sicht über das Vorhandensein (siehe «mit») aussagt, das sagt die andere Sicht über das Nichtvorhandensein (siehe «ohne») aus. Das betrifft sowohl beide Muster einzeln, als auch das Verhältnis beider zueinander. Im Grunde begegnen wir hier dem «Gesetz der Vier», welches von noch grundsätzlicherer Art ist und an anderer Stelle von mir ausführlicher beschrieben wurde.

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