Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Der König SALOMO und seine legendäre Weisheit

von Michael Stelzner

Der König SALOMO ist der Inbegriff für höchste Weisheit und darüber hinaus auch für Macht und Reichtum. Der von SALOMO errichtete, sogenannte erste Tempel der Israeliten in Jerusalem wird zum Urbild aller Tempel der abrahamitischen Religionen.

Will man den archetypischen Hintergrund der Erzählungen um den legendären König verstehen, so muss man auf seine Position in der Folge der israelitischen Könige schauen. SALOMO war nach SAUL und DAVID der dritte König der Israeliten. Er repräsentiert das Prinzip der Triade. Die wiederum ist die Grundlage des religiösen, triadischen Denkens, aus dem heraus der Name der Gottheit JHWH (Link zu Name JHWH setzen) erwächst. JHWH erwählt unter allen Völkern das Volk Israel zu seinem Volk aus. Die Israeliten sind „Erhabene“, weil sie dem Prinzip der Triade, dem Prinzip des Erhebens folgen. Unter den Erhobenen ist der noch weitergehend Erhabenere ihr König. Der dritte der Könige, SALOMO verkörpert noch einmal darüberhinausgehend eine nochmals höhere Dimension des Prinzips der Drei. In der Figur des SALOMO wird so das Wirken der Triade in gleich drei Dimensionen verdeutlicht.

Gegenstand der Erzählungen um den legendären König SALOMO sind die Konsequenzen, die aus einem triadischen statt einem linearen Denken für das Dasein eines reifen Bewusstsein erwachsen, das einerseits Zugang zu einer höheren Bewusstseinsdimension hat, anderseits aber in der linear erscheinenden, konkreten Realität steht und dort die Aufgabe des verantwortlich Handelnden zu erfüllen hat.

Die Figur SALOMO überwindet in ihrem Denken die einfache, lineare Sichtweise und erhebt eine höhere und ganzheitlichen Perspektive zur Maxime ihres Handelns. Das, was früher fremd und bedrohlich war, wird bei SALOMO zum Bestandteil eines höheren Ganzen. Das Zweite und mitunter Abartige wirkt bei ihm in erster Linie positiv, insofern es dynamisiert, aber weiterhin das Andere bleibt und als ein solches auch benannt wird.

Die biblische Erzählung über diesen außergewöhnlichen König beginnt mit der Feststellung, dass er die Tochter des Pharaos zu Frau nimmt. Die darin beschriebene Spannung ist eine horizontale, eine zwischen Mann und Frau. Selbst ihre höhere Dimension, die Spannung die zwischen zwei Weltsichten ist noch als eine horizontale und konkrete Spannung zu begreifen. SALOMO erfasst sie aber im Lichte einer neuen und höheren Dimension. Das macht der Textzusammenhang deutlich, denn er überträgt die vordergründige horizontale Polarität in das Bild von einer vertikalen Dimension. Konkret verbindet der Text den Gedanken der Heirat mit dem Gedanken, dass es für seinen Vater DAVID der Ordnung entsprach, der Gottheit JHWH noch auf den Höhen der Berge Schlacht- und Rauchopfer darzubringen (1 Kön 3,1ff). Das Opferprinzip ist ein religiöses Prinzip. Es beschreibt den Archetyps der Sechs (), der hat zwei Seiten hat. Die eine Seite beschreibt die im Opfer demonstrierte Vergeistigung der Substanz () und die andere die dabei stattfindende Substantivierung des Geistes (). Letztere wird insbesondere von SALOMO umgesetzt, indem er die Opferungen von den Höhen der Berge auf die Erde bringt und dafür dem Namen der Gottheit JHWH ein Haus baut, in dem die Opfer vollzogen werden können. SALOMO denkt triadisch und erweitert darin den Horizont seines Vaters DAVID. Im Ergebnis führt sein neues und verbindendes Denken zu einer neuen Sicht auf die konkreten Dinge der Welt, die zuvor vielfach in einem nur negativen Licht gesehen werden konnten.

Der biblische Text illustriert die legendäre SALOMOnische Weisheit am Streit zweier Huren, welche beide den Anspruch erheben, die Mutter eines Knaben zu sein (1 Kön 3,16ff). Das entscheidende Kriterium, das inhaltlich das Prinzip wahrer Mutterschaft ist, ist endlich die Liebe zum Kind. Abstrakt gesprochen, demonstriert der Text die rechte Entscheidung an zwei Kriterien. Zum einen zeigt er, dass „rechtes Zweimachen“ unumgänglich und regelrecht notwendig ist. Zum anderen kennzeichnet er die rechte Entscheidung durch die Beantwortung der Frage, ob sie Zukunft eröffnet oder diese zerstört. SALOMO kann auf diese Weise die wahrhaftige Hure und Mutter von der unwahrhaftigen unterscheiden. 

SALOMO hat die Eins und Einheit mit der Zwei und der Unterscheidung zu einem Ganzen verbunden, wie das die Zahl 12 unter Beachtung der Hierarchie ebenso tut. Aus dem Prinzip der 12, das über die Zweistelligkeit die Einheit von Gegensätzen erstellt, bezieht SALOMO seine Nahrung. „SALOMO hatte 12 Vögte über ganz Israel, die versorgten den König und sein Haus.“ (1 Kön 4,7f). Nur aufgrund dieser verbindenden Qualität konnte SALOMO das Besondere leisten. Er vereinte nicht nur die zwei Königreiche JUDA und ISRAEL, er konnte vor allem den legendären und vorbildhaften Salomonischen Tempel bauen. Das gelang ihm, weil ihm der „Andere“, HIRAM, der König von Tyrus half und es gelang ihm, weil sein Gesamtumfeld keines mehr von Feinden und Widersachern, sondern eines von gottgegebener Ruhe war (1 Kön 5,17 f). 

Das reife Bewusstsein, wie es die Figur des SALOMOs demonstriert, ist in mehreren Dimensionen zu Hause. Es umfasst die Gottheit, das Volk und sich selbst als Vermittler. Der weise und erhabene König dient seinem Volk im Sinne der alles verbindende Gottheit. SALOMO erfüllt die Aufgabe durch den Bau des Tempels. Doch ist er nicht nur König, sondern – wenn auch nachgeordnet – zugleich ein real existierendes Individuum, das auch als Person in der Spannung zwischen der konkreten Substanz (4) und dem sie manifestierenden Geist (3) steht. Wie es das geometrische Gleichnis vom pythagoreischen Dreieck der Größen 3-4-5-6 fordert, muss er der Spannung auch als Person gerecht werden und aus ihr die neue und größere Dimension von Sechs / Sex erwachsen lassen.

So berichtet der Text davon, dass er nach der Fertigstellung des Tempels auch noch sein privates Haus, den königlichen Palast baut. Der Bau dauerte 13 Jahre (1 Kön 7,1). Die Botschaft der Zahl 13 ist wichtig, denn sie berichtet davon, dass selbst und gerade königliches Verhalten notwendig die gewohnte Ordnung der 12 übersteigt. Fest in der Ordnung der 12 zu stehen, bedeutet nicht, auch mit dem Unbekannten, Irrationalen und Bedrohlichem (13) konfrontiert zu werden. Die Spannung zwischen dem Rationalen und Berechenbaren und dem Irrationalem und Unberechenbaren alias dem Diesseitigen und dem Jenseitigen verschont selbst einen weisen und gerechten König nicht, denn erst sie macht das lebendige Subjekt zum Menschen. Am Ende eines solchen subjektiven Weges steht immer das Scheitern, der Zwiespalt, denn das konkrete Subjekt denkt auch immer linear und verortet sich deshalb zwischen den Polen Anfang und Ende. Nur über das höchste und göttliche Scheitern im Sinne der Triade kann sich das wahre Wesen der Zwei offenbaren. Das aber offenbart sich im rechten Umgang mit der Polarität und der wird in der Sechs sichtbar.

Die Erzählungen um SALOMO umgehen diesen Aspekt nicht, im Gegenteil. Sie artikulieren ihn ganz konkret: „Und die Königin von SABA hörte von SALOMOs Ruf … und  kam, um ihn mit Rätseln zu prüfen“ (1 Kön 10,1). Da das Prinzip Sechs/Sex an die Grenze des Diesseitigen führt und das unberechenbare Jenseitige in die Welt bringt, handelt es sich für die in der Welt real existierenden Subjekte tatsächlich um eine Prüfung, da im Augenblick der Begegnung Aufstieg und Untergang unter Akzeptanz des letzteren eines werden. Das Erleben von Sechs ist ein Erleben in der linear erscheinenden Welt, obwohl es deren höherdimensionalen Aspekte einschließt. Der Bibeltext umschreibt diesen Widerspruch der Dimensionen über die Zahl 666, welche eine aus drei Dimensionen bestehende 6 in die lineare Form der 666 überträgt. SALOMO würdigt die Mehrdimensionalität von 6 und besteht die Prüfung durch die Königin von SABA. Seiner Wahrhaftigkeit wegen gewinnt er ihr Herz „und sie gab dem König 120 Talente Gold und Balsamöle in sehr großer Menge und Edelsteine“ (1 Kön 10,10). Die Wirkung umfasste die ganze Welt SALOMOs. Sein Reichtum wuchs ins Unbegrenzte: „Und das Gewicht des Goldes, das bei Salomo in einem einzigen Jahr einging, betrug 666 Talente Gold (1 Kön 10:14).

Wie die Zwei und das Zwei-Sein in der Sechs zu dem ihr angeborenen Adel kommen, so wird auch der wahre König über die Sechs erhoben und geadelt. Im Bild dieser Symbolik fertigt SALOMO einen goldenen Thron an (1 Kön 10, 18 ff). Der sogenannte salomonische Thron besteht aus 6 Stufen, die jeweils rechts und links mit einem Löwenpaar besetzt sind. Die über die 2 zur 6 führende salomonische Inthronisation finden wir im Mittelalter im Wesen der Marienverehrung wieder. Vor allem Karl der Große sah sich in dieser Tradition. Auch er bestieg seinen im Obergeschoss des Westjochs der Aachener Pfalzkapelle aufgestellten Thron über die 6 Stufen des SALOMO. Die einstige Pfalzkapelle wurde zum Aachener Münster bzw. Dom. 

Alle später in Aachen gekrönten Kaiser stiegen die gleichen 6 Stufen empor, um den Herrschersitz einzunehmen, der den Thron SALOMOs zum Vorbild hat. Die imitatio Salomonis ist ein gewaltiger, ein nahezu ungeheuerlich wirkender Schritt, denn der Kaiser übersteigt die Rolle eines Königs und vollzieht die Einheit mit der unvorhersehbaren „jenseitigen Sieben“ – den Thronsitz. War die Sieben in der reinen Archetypenlehre, wie sie die biblische Genesis voraussetzt, noch einer unantastbaren Gottheit vorbehalten, so wird nun die Identität des auf dem Thron sitzenden Individuums mit der Gottheit initiiert.

Die legendäre SALOMOnische Weisheit wendet sich in ihrem Blick auf das Ganze nicht vom Schicksal des Einzelnen ab, das wegen seiner notwendigen Verhaftung in der Linearität stets auch ein Verfehlendes ist. Das gilt für den Einzelnen wie für den König und Kaiser. Mit anderen Worten: Dem Individuum begegnet die vollkommene 6 und mit ihr auch ein konkreter Untergang. Das gilt insbesondere auch für SALOMON selbst, der das Verhältnis von 6 und 7 vollumfänglich erfasst und die Qualität der 6 durchlebt. Die Weisheit des Individuums widerspricht nicht dem allgegenwärtigen Wesen der Drei, das allen lebendigen Wesen in Form der unberechenbaren Sieben begegnet und sie auf undurchdringbare Weise erhebt.

Unter dem Gesichtspunkt ist der Text über den weisen SALOMO zu verstehen, dem selbst und gerade im Wissen um das Wesen der 6 die Fehlbarkeit anhaftet: „Der König Salomo aber liebte viele ausländische Frauen, und zwar neben der (1.) Tochter des Pharao (2.) moabitische, (3.) ammonitische, (4.) edomitische, (5.) sidonische, hetitische, von den Nationen, von denen der JHWH zu den Söhnen Israel gesagt hatte: Ihr sollt nicht zu ihnen eingehen, und sie sollen nicht zu euch eingehen. Fürwahr, sie würden euer Herz ihren Göttern zuneigen! An diesen hing Salomo mit Liebe. Und er hatte 700 vornehme Frauen und 300 Nebenfrauen. Und seine Frauen neigten sein Herz. Und es geschah zur Zeit, als SALOMO alt geworden war, da neigten seine Frauen sein Herz anderen Göttern zu. So war sein Herz nicht ungeteilt mit JHWH seinem Gott, wie das Herz seines Vaters David“ (1Kön 11,1ff).

Die Sechszahl der genannten Gebiete beschreibt zunächst wertfrei, dass es sich bei der in der Welt wirkende „universelle Funktion“ um den Archetyp der Sechs handelt. In ihrem Vollzug bricht aus einem ganzheitlich orientierten Siebten (700) eine unabwendbare Funktion (300) in die einstige Welt der Sechs ein. Ihr Zurückwirken erschafft neue Polaritäten, die das „Herz der Handelnden“ teilen. Aber auch die neue Teilung bleibt auf die Ganzheit ausgerichtet, so, wie das Herz SALOMONs auf das wahre Wesen der Zwei in Form DAVIDs, dem zweiten König Israels ausgerichtet bleibt.

Weitere Beiträge