Die Gottheit JHWH (10-5-6-5) ist gemäß der in ihr verborgenen Zahlenformel (10 = 5+5) die Gottheit der Subjekte (5) und ihrer Beziehungen (6). Die Existenz und das Wirken JHWHs setzt darin das Erheben der Subjekte voraus und mit der Geburt des KAIN nimmt es seinen Lauf. Der erstgeborene KAIN vollzieht dabei nur den ersten Schritt zum Erheben seines Bewusstseins (5). Er bleibt gegenüber der Intension seiner Gottheit notwendig ein Stückweit zurück. Zum Ausgleich bringt er der Gottheit ein Geschenk, das allerdings seinem Bewusstsein entsprechend ebenso zurückbleibt. JHWH reflektiert das Geschenk nicht, denn sein Blick ist nicht mehr allein auf den Erdboden gerichtet. Dem Gott der Subjekte geht es vielmehr um die Subjekte selbst und um ihr Verhalten zueinander. Während das Geschenk KAINs nur die Botschaft des Grundgesetzes transportiert, ist das bei dem zweitgeborenen ABEL anders. Die Botschaft seines Geschenks kommt aus einer erhobenen Dimension, nämlich aus der von lebendigen Wesen. Das Tieropfer entspricht der Intension JHWHs, weshalb er es auch als Wohlgeruch wahrnimmt.
„Am Ende der Tage“ stoßen sowohl KAIN als auch ABEL an die Grenzen des Linearen. Für ABEL, dessen Name «Windhauch» bedeutet, ist das sein physischer Tod. ABEL wird vom Fluss der Dinge mitgerissen. Während er aus dem konkreten Dasein tritt, muss sich der ihn tötende KAIN immer noch mit dem Anderen und Neuen auseinandersetzen, denn das Gesetz JHWHs lässt die herkömmliche Vorstellung vom Tod nicht zu.
Der Text sagt, «KAIN entbrennt». Einer Flamme gleich erhebt er sich unfreiwillig aus der scheinbar ruhenden Substanz. Der einst Erste fühlt sich zurückgesetzt und empfindet sich nun als ein «Zweiter». Das führt dazu, dass er seinen Blick senkt. Der aufflammende Widerspruch zwischen Ersten und Zweiten spricht (ruft) JHWH erneut an. Die Gottheit der Subjekte spricht das Subjekt, das sich zurückgesetzt glaubt, vehement an: «So nicht!» JHWH verwehrt ihm die Opferrolle und klärt ihn über die Zusammenhänge von rechtem, angemessenen Verhalten und solchem von unangemessenem und unrechtem Verhalten auf. Die Gottheit nimmt KAIN nicht die Freiheit seiner Entscheidung. Doch lässt sie keinen Zweifel an der Notwendigkeit des Unterscheidens aufkommen. Sie nimmt KAIN nicht seine Freiheit, zeigt ihm wohl aber auf, dass das Erlangen der Freiheit dem «Gesetz des Erhebens» unterliegt.
Der entbrannte Kain nimmt notwendig und folgerichtig den Kontakt zu seinem Bruder auf: „Und es sprach Kain zu Abel“ (Gen 4:8). Doch der tut das eben gerade nicht mit erhebenden Gedanken und entsprechend erhobenem Kopf. KAIN geht mit ABEL aufs (ebene) «Feld» (300-4-5). Das «Feld» ist nicht der Kultur- und Ackerboden (s. 1-4-40), der die göttlichen Gesetze repräsentiert, aus dem Fortentwicklung stattfindet und aus dem das Bewusstsein der Subjekte (5) erwächst. KAIN wendet sich vielmehr zurück und handelt von einem archaischen Standpunkt aus, von dem aus nicht das wahre Wesen der Zwei erkannt werden kann.
Der hier verwendete Begriff des «Feldes» kommt erstmals im zweiten Satz der zweiten Schöpfungserzählung vor, dort aber seinem Archetyp entsprechend gleich zweimal (Gen 2:5).⁵ Die Rückwendung KAINs macht die in ihm angelegte und herausgeforderte Erhebung zu einer vollständig unbewussten Handlung, zu einem Affekt: „Und Kain erhob sich gegen Abel, seinem Bruder und er schlug ihn tot.“ Der Täter hatte sich im Sinne von Überheblichkeit «erhoben».
Die Gottheit JHWH, die selbst aus dem Gesetz der Vier erwachsen ist, macht in dessen Erfüllung KAIN auf das ihm nun Fehlende aufmerksam und fragt: „Wo ist dein Bruder ABEL?“ Aus seiner archaischen Existenz heraus antwortet KAIN unwissend ehrlich: „Ich weiß es nicht!“ Im Hebräischen sind das zwei Wörter: «Nicht ich-weiß» ( ידצתי לא ). Hierzu muss man wissen, dass das an dieser Stelle gebrauchte «low» ( לא / 1-30 / H3808) unter den möglichen Verneinungen im Hebräischen die denkbar stärkste ist. Sie hat die Bedeutung von «keineswegs, weil unmöglich». Tatsächlich kann KAIN die Frage nicht beantworten, da er aus seiner Perspektive des Erdbodens oder gar des noch unkultivierten Feldes den Tod nicht kennt. Er kann ihn als der erstgeborene, von Menschen gezeugte Mensch noch nicht kennen. Wie ein Tier hat er noch keine Vorstellung vom ihm und weiß nicht, «wo» sein Bruder ABEL nun «ist». Als ihn jedoch JHWH als Diener des Erdbodens und der in ihm enthaltenen Ganzheit als ein Gegenüber anspricht, soll die im Gesetz des Erdbodens bereits verborgene Verantwortung ans Licht kommen. Doch noch fühlt sich KAIN für die von JHWH gestellte Frage nicht zuständig und weist sie mit der Gegenfrage zurück. KAIN glaubt aufgrund der Umstände unbeteiligt zu sein, obwohl JHWH ihn noch vor der Tat wegen seines gesenkten Blicks auf die Folgen seines Handelns hingewiesen hat. Die Frage „Der Hütende des Bruders bin ICH?“ transportiert eine Schuldzuweisung an JHWH in dem Sinn: „Bist nicht vielmehr DU, JHWH verantwortlich dafür, dass die Subjekte zusammengehalten werden?
JHWH fragt weiter und differenziert nach dem nun Fehlenden in seiner Handlung: „Was hast-du-getan? Deines Bruders Blutesstimme schreit vom Erdboden aus zu mir“. JHWH gibt die Antwort selbst. KAIN wird nun ständig von seinem Herrn, dem Erdboden (1-4-40) „angesprochen“, denn ihm, der Substanz (4) dient er. Mit dem Fehlen seines Bruders fehlt ihm die zur Sichtbarkeit strebende Einheit. Im Bild des Blutes wird ihm das bewusst, denn das Blut (4-40) transportiert das Wesen und die Zahlenfolge seines Herrn, des Erdbodens (1-4-40). Nur fehlt dem Blut gegenüber dem Erdboden die Zahl 1, die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit und um deren Sichtbarkeit geht es in jeder konkreten Existenz.
KAIN hat das Gesetz des Erdbodens, das Gesetz der Vier verdrängt und verleugnet, obwohl es die prinzipielle Unsterblichkeit des Seins versinnbildlicht, die auch ihn einschließt. KAIN fürchtet, er fällt der Sterblichkeit anheim. Das aber ist dem universellen Gesetz nach nicht möglich. JHWH schreibt ihm dazu das Zeichen der prinzipiellen Unsterblichkeit auf die Stirn und KAIN kann nicht mehr von fremder Hand getötet werden. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als auf der einfachen, substantiell-physischen Ebene das Prinzip zu leben, das ihm mit seinem Bruder ABEL, dem «Windhauch» verloren gegangen ist. KAIN wird „unstet und flüchtig“ und steht nicht mehr automatisch im Nutzen des Ertrages, den der Erdboden seinem Wesen nach verspricht. KAIN muss dessen Gesetz nun selbst aktiv und bewusst verwirklichen.
Konkret geht er weg vom Angesicht JHWHs, dem Gott der Subjekte. Er geht ins Land Nod. Dort bearbeitet er das von ihm bis dahin nicht umgesetzte Grundgesetz der Vierzahl, das die Einheit von «innen und außen», von «Gott und Welt», von «1 und 4» beschreibt. KAIN erkennt sodann sein Gegenüber, sein Weib und zeugt seinen Sohn HENOCH. Der wird Städtebauer, erzeugt also sichtbare, Heimat gebende Substanz. HENOCH gibt der Stadt seinen Namen, also den Namen ihres Erbauers und stellt somit sichtbar die Einheit von Grund (1) und Erscheinung (4) wieder her. Er erfüllt das Gesetz der Vier (1-4) und darin die noch offene Mission. HENOCH lebt 365 Jahre. Die Zahl symbolisiert «Ganzheit», denn ein ganzes Sonnenjahr hat 365 Tage. Während KAIN «am Ende der Tage» die Ganzheit verfehlt hat, lebt sie nun sein Sohn HENOCH. Deshalb stirbt der am Ende seiner Tage nicht im herkömmlichen Sinn, sondern wandelt ab da an mit der Urgottheit ELOHIM. HENOCH wurde, wie am Ende des Pentateuchs auch Moses, von der Gottheit direkt aufgenommen. Er hatte die Substanz erfüllt und überwunden. HENOCH ist in der gesamten Tora der Erste von nur drei Subjekten, die dem Tod entkommen. Das sind HENOCH, ELIA und MOSES.⁶