MATTHÄUS und MARKUS benennen die gleiche Folge der Frauen. Und doch sind sie ein Gegensatzpaar, das sich auf ein und den gleichen Ursprung bezieht, der hier in Form der MARIA MAGDALENA greifbar wird. Ihre geringen Unterschiede werden vor allem in den ihr zwei nachfolgenden Frauen benannt. Sie treten aber auch in anderen Details zutage, wie beispielsweise in der Stellung des Begriffs der „viele Frauen“.
MATTHÄUS nennt erst die Vielheit der Frauen und danach drei von ihnen namentlich. Strukturell handelt es sich um eine von der Dreizahl dominierte Viergliederung. MARKUS geht den umgekehrten Weg zu ihm und erweitert ihn zugleich. Er nennt „die von Ferne schauenden Frauen“, spricht aber nicht mehr von „vielen“. Nachdem auch er drei namentlich benennt, fügt er sodann doch wieder an, dass es noch „viele andere“ Frauen gibt, die JESUS folgen. Im Bild der von der Dreizahl dominierten Viergliederung bei MATTHÄUS erweitert MARKUS durch das Nachstellen der „vielen“ das Bild zu einer von der Dreizahl dominierten Fünfgliederung. Hinter dem Zahlenspiel der zwei Aufzählungen verbergen sich die Zahlen des pythagoreischen Dreiecks der Seitenlängen 3, 4 und 5, das zum Entstehen der höheren Dimension der Fläche mit der Größe 6 führt und welches das Konstruktionsdreieck der zweiten Pyramide (CHEPHREN) ist.
Das Ausgliedern und der Wechsel des Wortes „viel“ vom Anfang bei MATTHÄUS zum Ende bei MARKUS beschreibt einerseits die Polarität der beiden Evangelisten. Andererseits bekräftigen sie ihre Einheit, denn sie beziehen sich beide auf eine triadische Grundstruktur. In der nun repräsentiert MARKUS als zweiter Evangelist in besonderer Weise das Wesen der Zwei. Seine Erzählung nimmt – der Zwei entsprechend – den Mangel in gesteigerter Weise in den Blick. Die einfachste Art ihn darzustellen, besteht in der Reduktion eines bereits Existierenden. Das Weglassen des „viel“ ist eine solche.
Die Reduktion eines Bestehenden wird auch in der Art deutlich, wie MARKUS die zweite MARIA beschreibt. MARKUS bezeichnet ihren Sohn JAKOBUS nun zusätzlich als den „Kleinen“ und JOSEF nennt er mit dessen Kosenamen „JOSEs“. Das Wortspiel enthält einen „zweifachen Zwiespalt“, denn die Spannung kommt nicht allein durch ein einfaches Reduzieren zustande. Die Verkürzung zu „JOSEs“ wird nämlich durch die Vermehrung seiner Buchstaben bewirkt.
MARKUS demonstriert zwei Weisen der Reduzierung. Die eine ist das Wegfallen von etwas Bestehendem, wie im konkreten Fall das Wegfallen des „viel“ beim Erfassen der Frauen. Die andere und gegenteilige ist das Erweitern von etwas Bestehendem, wie wir es beim Hinzufügen des „Kleinen“, beim Erweitern durch den Kosenamen oder dem Anfügen des „viel“ sehen. Die zweifache Funktion (3) des archetypisch Zweiten beschreibt den Archetyp der Sechs. MARKUS erzählt von ihm, indem er zu sich scheinbar widersprechenden Sprachformen greift.
Auch die drittgenannte Frau macht die Unterschiede zwischen MATTHÄUS und MARKUS noch einmal besonders deutlich, obwohl beide archetypengerecht ihre verbindende Funktion hervorheben. Beide beschreiben die Dritte über ihre zwei Söhne, benennen deren Namen aber nicht. Es geht ihnen nicht um deren dingliche Existenz, sondern um die Funktionen und Beziehungen der Frau und Mutter. Über sie wird die Dritte begreifbar.
MATTHÄUS spricht von der «Mutter der Söhne ZEBEDÄUS‘». Die namentlich nicht genannten Söhne JAKOBUS und JOHANNES folgen dem Ruf JESU und werden seine Jünger (Mt 4,21). Später folgt auch sie, die Frau des ZEBEDÄUS JESUS nach. Die hier dritte Frau und zugleich zweitgenannte Mutter ist eine zugleich «andere» Mutter. Während Mütter primär Leben gebären und behüten, tritt hier eine scheinbar gegenteilige Funktion (3) hinzu. MATTHÄUS verwandelt das Empfangen der Frau über deren zwei Söhne zu einer zweifachen Aktivität.
Der Bezug zum Vater und Ehemann ZEBEDÄUS ist ein bewusst gewählter. ZEBEDÄUS sitzt mit seinen Söhnen «in einem Boot», als JESUS sie ruft (Mt 4,21) und so die Jüngerschaft manifestiert (4). ZEBEDÄUS weigert sich nicht, sondern bleibt «mit den Gehilfen im Boot zurück» (Mk 1,20). Er zeigt seine weibliche, ganzheitliche Seite und wird seinem Namen gerecht, der «Steigbügelhalter» bedeutet.
Das Bild des Vaters und seiner zwei Söhne ist ein triadisches Bild, dem eine Symmetrie innewohnt. Die Brüder gleichen den zwei symmetrischen Erscheinungen, deren „vereinigender“ Hintergrund der Vater ist. Das Bild des Dritten und seiner ihm innewohnenden Symmetrie spiegelt sich in der Funktion der Mutter und dritten Frau. Auch sie hat die Aufgabe, scheinbare Gegenpole zu vereinen. Nur ist der Anspruch an sie noch gewaltiger. Er erwächst aus den zwei ihr voran genannten Frauen, der «Sünderin» und der «Gottesmutter». Als Dritte im Bunde hat sie deren scheinbare Gegenpositionen zu einen.
MARKUS der zweite Evangelist spricht nicht mehr von der «Mutter der Söhne ZEBEDÄUS‘». Er nennt stattdessen den Namen »SALOME« und erzeugt darin einen bewussten Bruch (2) im Kontinuum der Erzählung. MARKUS geht den umgekehrten Weg zu MATTHÄUS. Er begreift die dritte Frau nicht über den Namen des Vaters ihrer Söhne, sondern über ihren eigenen Namen. Das ist deshalb besonders erwähnenswert, da die Namenlosigkeit, wie zuvor beschrieben, ein wichtiges Kriterium des Dritten ist. MARKUS sorgt für eine erneute Umkehr. Das ist mehr als ein einfacher Widerspruch. MARKUS demonstriert an ihm den Einschluss des scheinbar ausgeschlossenen Pols. Damit ergänzt er, der Zweite die männliche durch die weibliche Sicht.
Der Namen Salome wird zumeist in der Bedeutung von «die Friedsame» übersetzt. Hier an dritter Stelle kommt ihm jedoch eine Funktion zu, der Funktion, dem Ganzen und dem Frieden zu dienen. Man sollte ihn besser als die «Friedensstiftende» übersetzen.
MARKUS benennt die scheinbar namenlose Frau. Der Akt der Benennung ist ein Akt der Zuordnung und somit ein Akt der Unterwerfung des Benannten unter ein Höheres. Das konkrete Benennen heilt den scheinbaren Mangel der Zwei.
Zusammenfassend werten sowohl MATTHÄUS als auch MARKUS das weibliche Dasein insbesondere über die von ihnen genannte dritte Frau auf. Beide erzählen vom selbstbewussten und eigenständigen Handeln der Frauen. MARKUS geht noch einen Schritt weiter und gibt jener Frau einen Namen. Beide Neubeurteilungen und Aufwertungen des Daseins der Frauen erfolgen aus einer polaren Position heraus und sind somit mängelbehaftet und angreifbar. Die matthäische «Mutter der Söhne ZEBEDÄUS‘» ist auf das männliche Dasein bezogen und die markinische «SALOME» wird analog dazu durch ihren Namen gebunden. Jede Beziehung bedeute Bindung. Die entscheidende Wirklichkeit beider Bindungen besteht in ihrem Dienst an einem Höheren und der zeichnet beide Frauen aus, sowohl die namenlose Mutter als auch die Frau, die einen Namen hat und dem Erlöser folgt.
Das Handeln der zwei an dritter Stelle genannten Frauen rückt die verkürzte und schiefe Sicht auf das EVA-Prinzip ins rechte Licht. Im Lichte der Drei-Einheit treten auch die von beiden Evangelisten an erster Stelle genannte MARIA MAGDALENA und die von ihnen bisher nur an zweiter Stelle genannte Gottesmutter MARIA aus ihren Schatten.