Was diese Zahl erzählt:

Was diese Zahl erzählt:

Die Offenbarung des Johannes (Apokalypse) oder die Offenbarung des Wesens der Polarität

von Michael Stelzner

Inhaltsverzeichnis

1. Die Einordnung des Buches

Die „Offenbarung des Johannes“, die sogenannte „Apokalypse“ ist das letzte und wohl auch anspruchsvollste Buch der christlichen Bibel. Es gießt das Uranliegen jeder Religion, das Streben des Menschen nach Freiheit in letztdarstellbare Bilder. Liest man das Buch, so entsteht geradezu der gegenteilige Eindruck, denn kein Buch benutzt derart gewalttätige Bilder wir die Apokalypse. Doch es gibt eine Ausnahme. Das Extrem des christlichen, sogenannten Neuen Testaments findet in den ebenso extremen Bildern des siebten Buches des jüdischen, sogenannten Alten Testament seine Parallele. Auch dieses Buch, das „Buch der Richter“, greift am Ende zu apokalyptischen Bildern. Bei ihm geht es um den drohenden Verfall der Einheit des Volkes Israels. Der Name des Buches, das auch „Buch der Retter“ genannt wird, lässt von vornherein erahnen, dass die Erzählungen nicht nur Extreme beschreiben. Sie sind radikal im eigentlichen Wortsinn, denn sie zielen auf die Offenbarung der Wurzel allen Seins – die Einheit und Ganzheit. Jener erste aller Archetypen kann nur dem Menschen zuteil werden, der innere Freiheit erlebt. Um den Anschluss an diese Freiheit geht es in beiden apokalyptischen Büchern.

Die wesentliche Gemeinsamkeit der beiden Bücher ist ihr Bezug zur Sieben, die den Weg zur Befreiung des Menschen vorbereitet. Warum der extreme Gegensatz von Freiheit und Apokalypse auch radikal ist, das vermittelt das Wissen vom Wesen der Sieben. Die Deutungen der beiden Bücher und ihrer Erzählungen verlangen fundierte Kenntnisse über die Ordnung der Archetypen, wie sie vor allem in der Geometrie der Flussform der Zahlen (verlinken) sichtbar wird. Sie eröffnen einen neuen Zugang zu den beiden Büchern und zeigen, warum ihre Erzählungen dem Anderen und scheinbar Irrationalem in seinem Extrem nicht ausweichen, bis sie auf den Kern des menschlichen Bewusstseins treffen. Der Mensch ist erst dann wirklich frei, wenn er auch die wahre Beziehung zur Gottheit klärt, denn Freiheit ist immer eine Freiheit „von etwas“. In der Konsequenz muss eine befreiende Religion schließlich ebenso und vor allem die Theodizee-Frage beantworten. Sie muss beantworten, wie der von unglaublichen Gewalten getroffene Mensch sich von einer Gottheit befreit, die ihm unberechenbar und willkürlich erscheint.

2. Die Sieben, die Siegel und die Botschaften

Die Sieben stellt die gestörte Ordnung wieder her und wird darin zum „Symbol des Gerichts“. Der Gedanke hinter dieser Zuordnung ist das Wissen um die Notwendigkeit und Existenz eines Anderen und Jenseitigen hinter der sichtbaren Gestalt, das die sichtbare Ordnung erhält, so wie eben der Würfel mit seinen 6 Flächen nicht alles ist, sondern des 7. Punktes bedarf, um im scheinbaren Nichts platziert werden zu können oder auch der unsichtbare 7. Kreis im Hexagramm jenes erst aufspannt (Abb. 1). Der gleiche Gedanke trägt die christliche Offenbarung des Johannes. 

 

Abb. 1    Sechs im Kreis angeordnete Kreise machen ein verborgenes Siebtes sichtbar.

               Der siebte Kreis hat die gleiche Größe wie die von ihm aufgespannten sechs.

               Die Sechs erfüllt den Ursprung mit Dimension.

Im Buch der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes geht es um das Offenlegen des Wesens der Zahl 7, das systematisch durch die Archetypen 1 bis 7 hindurchdekliniert wird. Die Steuer- und Leitzahl 7 wird in der neutestamentlichen Schrift 59 Male genannt. Die Offenbarung berichtet vom kommenden Endzeitgericht, bei dem das „Buch mit den sieben Siegeln“ geöffnet wird. Schon die Vorrede des Johannes zur Apokalypse benennt, worum es geht: „Schreibe nun, was du gesehen hast und was ist und was nach diesem geschehen wird: Das Geheimnis der sieben Sterne …“ (Off 1:19f).

Es geht ausschließlich um das „Geheimnis“ des Wesens der Sieben und deren Beziehung zu unserer Vorstellung von der Gottheit. Die 59fache Erwähnung der Zahl Sieben betrifft 7 goldene Leuchter, 7 Sterne, 7 Gemeinden, 7 Engel, 7 Geister, 7 Hörner, 7 Augen, 7 Fakeln, 7 Siegel und 7 Sendschreiben u.a. Mit den Sendschreiben beginnt der konkrete Teil der Ausführungen. Das Senden von Botschaften aus dem ungreifbaren Jenseits in das konkrete Diesseits ist der Wesenskern der Sieben. Jedes der sieben Sendschreiben akzeptiert, würdigt und lobt ausdrücklich die jeweils einem Archetyp zugeordnete Gemeinde für ihr treues Verhalten. Zugleich macht es auf den Fehler aufmerksam, der jedem So-Seinden naturgemäß anhaftet. Die Sieben spiegelt das ihm Fehlende zurück. Das Benennen des Mangels hält dadurch die Entwicklung in Richtung Ganzheit in Gang. Die von der Siebenzahl in Gang gehaltene Entwicklung ist demnach eine dauerhafte und zyklische. Entsprechend sind auch Text und Aufbau der Apokalypse hierarchisch-zyklisch konzipiert. Selbst die endzeitliche Entscheidungsschlacht „Harmagedon“ die durch den 7. Engel und dessen Ausschütten der 7. Schale des Zorns entfacht wird, bedeutet nicht das absolute Ende und vor allem auch nicht das Ende des Prinzips des Widersachers, der in der Gestalt eines Drachens auftritt. Das Tier wird nur für weitere „1000 Jahre“ gefesselt. Nachdem 1000jährigem Reich wirkt es erneut für eine wiederum begrenzte Zeitspanne.

Weil die Offenbarung des Johannes ein Buch über die Zahl Sieben ist, spitzt der jeweils siebte Teil eines Erzählabschnitts die Botschaft auf besondere Weise zu. So wird gerade am siebten der sieben Sendschreiben besonders deutlich, dass die Sieben ein archetypische Wirkfaktor ist, der steuernd in das Diesseits eingreift und das ebenso von der konkreten, siebten Gemeinde einfordert. Im 7. Sendschreiben beschuldigt die Gottheit die an sich treue Gemeinde, „lauwarm“ zu sein. Wer „weder kalt noch warm ist“ werde von ihr „ausgespiehen“ (Off 3:16). Hier schließt sich der Kreis um die Sieben und erzeugt eine Paradoxie, denn das Ziel des Ausspeienden ist ja die Einheit. Die Siebenzahl stellt den bewussten Menschen in seine Verantwortung und in der muss er den Sinn der Ambivalenz erfassen: Die Wirkung der Sieben ist eine aktive. Sie ergreift Partei. Sie ergreift aber Partei für die Einheit und Ganzheit! Das führt zur Assoziation mit einem ewigen „Ausgeglichen-Sein“ der Dinge. Das wiederum stimmt nur, insofern das Gesetz des ewigen Flusses, der durch die Triade symbolisiert und unterhalten wird, Bestand hat. Jene Ambivalenz erfasst der Autor des Textes auch im Namen der 7. Gemeinde „Laodizea“. Der Name Laodizea ist zusammengesetzt aus den griechischen Begriffen „Volk“ (λάος / laos) und „Gerechtigkeit“ ( δικαιοσύνη / dikaiosynē ). Ein „gerechtes Volk“ das den Anspruch erhebt, vollkommen gerecht zu sein, ist in seiner Wirkung ein selbstgerechtes Volk, das „lauwarm“ ist, weil es nicht mehr wirklich Partei ergreift. Das ist Gift im Sinne des Flusses. Den Gedanken führt Johannes in der Apokalypse zum Extrem und gießt ihn in zerstörende Bilder. Endlich führen seine Bilder aber die Bilder der Evangelien nur konsequent weiter. Die Jesusworte „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen auf Erden, sondern das Schwert“ (Matth.10:34), sagen nichts anderes.

Die Offenbarung ist das letzte Buch des Neuen Testaments. Es greift die Archetypen aus der Genesis, dem ersten Buch des Alten Testaments auf. Beide, das Erste und das Letzte bescheinigen, dass die göttliche Ganzheit siebengliedrig ist und dass jedes der sieben Glieder einen eigenen Archetyp beschreibt, der notwendig einem Mangel unterliegt, der seine Existenz rechtfertigt. Die sich aus den Archetypen erhebenden und wiederum in einer Vielfalt existierenden Bewusstseinsstrukturen entscheiden, ob das von der Sieben zurückgeworfene „Fehlende“ erfüllend oder zerstörend wahrgenommen wird. Das Bewusstsein selbst wird dabei immer mit den zwei Seiten jedes Archetyps konfrontiert. Das von Johannes auf der Insel Patmos niedergeschriebene Buch der Apokalypse ist deshalb ausdrücklich „von zwei Seiten“ beschrieben: innen und auf der Rückseite“ (Off 5:1). 

Allein der Kontext, dass Johannes das Buch auf einer Insel, der Insel Patmos niedergeschrieben hat, verweist im Vorfeld auf den inhaltlichen Kern des Buches. Die vom Ganzen, dem Festland sichtbar abgetrennte Insel hat eine Zugehörigkeit und ist insofern nur ein scheinbar Abgegrenztes. Kurzum: Das Buch beschreibt die Einheit in der Zweiheit. Das ist die Grundweisheit, die Johannes in sieben Archetypen durchdekliniert. Dabei erzählt er von der herausragenden Bedeutung der Siebenzahl, die in ihrer „abschließenden“ und doch nicht endenden Qualität das reife Bewusstsein konstituiert.

Das mit 7 Siegeln versiegelte Buch wird „am Ende der Tage“, die symbolisch und inhaltlich von der Vierzahl getragen sind vom Messias geöffnet (Off. 6-8). Konkret laufen die Tage am Ende des 6. Tages ab. Die Spiegelfunktion der Sieben zeitigt für die „Welt der Tage“ einen substanziellen (4) Umsturz. Hat man die formelhafte Botschaft der Vier empfangen, kann man auch die symbolträchtigen vier apokalyptischen Reiter deuten und ertragen, über welche der Tod nach Rache an den Lebenden ruft, ein Erdbeben auslöst und Sonne und Mond schwarz werden.

3. Das versiegelte Buch im Alten Testament

Das Geheimnis um die Zahl Sieben durchzieht die gesamte heilige Schrift. Sie beginnt mit den aus sieben Wörtern bestehenden ersten Satz der Bibel, den 7 Tagen der Genesis und mündet in den heiligen Sabbat der zehn Gebote. Im späteren 7. Buch, im Buch der Retter finden die Erklärungen um die Sieben einen zwischenzeitlichen Höhepunkt. Darüber hinaus kennt aber auch das Alte Testament schon ein „versiegeltes Buch“ (Daniel 12,1-4) das geöffnet wird. Es wird aber geöffnet, um die Welt vor einer Katastrophe zu erretten. Im Neuen Testament hingegen geht eine Welt unter. Der Gegensatz ist kein wirklicher. Es handelt sich nur um die polare Beschreibung ein und des gleichen Geheimnisses: Das Wesen der Sieben, das man als „Schicksal“ (wörtlich: „das geschickte Glück“) empfindet, bricht unerwartet und unentrinnbar in das konkrete Dasein ein. Die 7 gehört als Unberechenbares zur Welt dazu. Sie gibt dem Menschen die Möglichkeit eines Weges. Sie droht nicht, sondern eröffnet und erklärt. Nur der empfindet sie als Drohung, der ihren Sinn (noch) nicht begreift, d.h. das „Buch mit den 7 Siegeln“ noch nicht zu lesen vermag.

4. Die Bilder der Apokalypse und ihre Metaphorik

4.1. Das grundlegende Prinzip in der „Offenbarung des Johannes“

Die Offenbarung des Johannes greift das für alles existentielle Dasein notwendige Prinzip der Zweiheit und Polarität auf und betrachtet es auf ganzheitliche Weise. Die allgegenwärtige Polarität durchdringt und prägt alle Archetypen. Das gilt konsequenterweise auch für das über dem konkreten Dasein stehende Prinzip der Gottheit, dessen Symbol die Siebenzahl ist. Mit anderen Worten: Die Sieben ist eine ins Extrem getragene Zwei. Die mit der Siebenzahl identifizierte Gottheit ist im Hinblick auf das konkrete Dasein in der Welt einerseits ein Anderes und Zweites. Andererseits wirkt sie auch und vor allem im Sinne der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit. Durch die Einheit jener zwei Eigenschaften verkörpert die Siebenzahl das Wirken der Gottheit. Ihr rechtes Verstehen bringt Licht ins Dunkel der vielfältigen Polaritäten. Kurzum: Die Sieben würdigt die Eins und adelt dabei im höchsten Maß die Zwei.

Solange ein Bewusstsein das Wesen der Zwei nicht auch im denkbar Höchsten, d.h. in der Gottheit erkennt, bleibt es unreif. Im Zugriff auf das Wesen der Sieben reift es zur »Ebenbildlichkeit« mit der Gottheit. Ein solches in der Polarität existierendes Bewusstsein empfängt aus der Sieben heraus eine auf sich zugeschnittene Botschaft, die einerseits einen existentiell bedingten Mangel anspricht, diesen andererseits aber zugleich als Dienst an der Ganzheit begreifen kann. Johannes vermittelt die Botschaften und sendet sie als eine letzte Wahrheit in Form von „sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden“ der vorbereiteten christlichen Welt.

4.2. Der Thron Gottes und das Lamm

Das Bild der Sieben ist der „Thron Gottes“. An dessen „rechter Seite“ befindet sich das „Buch mit 7 Siegeln“. Es ist „innen“ und auf der „Rückseite“ beschrieben (Off 5,1). Die Botschaft lautet: Das scheinbar Unwichtige und Kleine, das unsichtbare Innen und Rückseitige sind nicht bedeutungslos, sondern „beschrieben“. Das sogenannte Zweite erhält einen Wert, welcher durch die Sieben „offenbar“ wird.

Nur das reife Bewusstsein (5), das in mehreren Dimensionen zu Hause ist und über das Dingliche und Berechenbare hinauszuschauen vermag, kann die Tragweite der letzten Wahrheit erkennen. Sie besteht in der konsequenten Konfrontation mit sich selbst und dem Erkennen des Sinns der eigenen Begrenztheit. Das ist die Quintessenz (5) die zur Weisheit führt. Sie steht hinter der Metaphorik vom zum Tode verletzte Lamm, dem in der Verletzung die Würde zukommt, die geheimnisvollen sieben Siegel zu öffnen.

Die Offenbarung des Johannes erzählt von der Gottheit und vom wahren Wesen der Sieben, indem sie nach und nach Bilder der Vollkommenheit entwickelt, die aus den unterschiedlichsten Perspektiven von der Ordnung der Archetypen erzählen. Die sieben Sendbriefe an die sieben Gemeinden eröffnen die Bilderfolge. Schon sie zeigen, dass jeder der sieben Gemeinden für einen Archetyp steht, der durch seine spezielle Eigenart gezeichnet ist. 

Sowohl in der Perspektive der Sendschreiben als auch in den ihr folgenden hat die Zahl Vier als Zahl der Manifestation des Vollkommenen ein besonderes Gewicht. Ihre Botschaft ist die Grundlage aller anderen Botschaften. So berichtet der Text nach der Bekanntgabe der sieben Sendschreiben in Kapitel 4 von der Manifestation des Vollkommenen und Höchsten – dem „Thron Gottes“. 

Den Thron umgeben vier lebendige Wesen, ein (1) Löwe, (2) ein junger Stier, (3) ein noch Unbestimmtes mit dem Angesicht eines Menschen und (4) ein fliegender Adler. In deren Mitte aber „erhebt“ sich analog der Spitze einer Pyramide ein bewusstes Fünftes – das Lamm.

In der Polarität des Lammes zur linearen Daseinsebene des Körperhaften entfaltet sich die letzte Wahrheit. Sie ist die Wahrheit der Dynamik (3), einer Dynamik der wahren und rechten Polarität, wie sie über die Sechszahl sichtbar wird. Die Sechszahl entfaltet das triadische Prinzip auf polare Weise ( = 2 x 3 = +). Niemand kann ihr entrinnen. Sie entfaltet sich unabhängig davon, ob deren Vollkommenheit von den Handelnden auch reflektiert wird. Bei den vier himmlischen und lebendigen Wesen, die je „sechs Flügel“ haben und unaufhörlich „Heilig, heilig, heilig …“ sagen, ist das der Fall (Off 4,8). Die erdgebundenen und unbewussten Wesen hingegen erfahren die Sechs auf lineare und zumeist Leid verursachenden Weise. 

Lösung und Erlösung der Polarität geschehen über das sie Hinausgehende, über die Dynamik (3). Niemand der in der Zweiheit gefangen ist, kann das Buch sehen oder gar öffnen, weder „im Himmel und auf der Erde“, noch jemand „auf oder unter der Erde“. Die wohlgewählten Worte und deren Botschaft erzählen nicht nur einfach von der Existenz der Spannung erzeugenden Polarität selbst, denn sie sind wiederum zueinander polar aufgebaut. Als Erstes erzählen sie, dass die Polarität allein unzureichend ist und als Zweites zeichnen sie das Bild einer fraktalen Struktur indem die Erde wiederum polar (auf)geteilt wird. Ein Fraktal bedient sich der Polarität, bringt aber vor allem eine Dynamik zum Vorschein. Die wird in der Metapher nur vom Lamm erkannt, das bereits geschlachtet war. Nur durch die Einverleibung (4) des Todes (2) war das Lamm würdig und konnte das Buch öffnen! Die erfahrene und angenommene Verletzbarkeit rückt den Sinn und Wert der Zwei ins rechte Licht.

Nachdem das triadische Prinzip über seine polaren Elemente beschrieben wurde und durch das Lamm tätig umgesetzt wird, ist der Übergang von der Zwei zur Drei in Form der „Stimmen der Engel“ zu hören. Der Engel ist das Symbol des Geistes, der die Verhaftung im Linearen zugunsten der höheren und dritten Dimension überwachsen hat. Wie aus der Grundlinie des Dreiecks (1—2) die Fläche wird, so wird aus der einfachen Addition die Multiplikation – die fortgesetzte Addition. „Die Zahl ihrer (Engel) Stimmen ist 10.000 mal 10.000 und 1.000 mal 1.000“ (Off 5,11). 

4.3. Die Sieben und das Schweigen

Beim Öffnen des siebten Siegels entstand „etwa eine halbe Stunde lang ein Schweigen“ (Off 8,1). Die Sieben erhebt, denn sie wertet das „Halbe“, das „Schweigen“ als Ausdruck des Ganzen. Das Schweigen „spricht“ vom Un(be)greifbaren. Es bedeutet nicht das Ende, im Gegenteil. Ihm folgen sieben Posaunen.

Die der Sieben folgenden neuen Töne sind nicht mehr linearlogisch und rational zu erfassen. Unter diesem Aspekt erhält Johannes ein Buch von einem Engel, der mit dem rechten Fuß auf dem Meer und mit dem linken auf der Erde steht und die offenbaren Gegenpole miteinander verbindet. Auf den Befehl des Engels muss Johannes das Buch aufessen. Linearlogisch und rational macht ergibt das keinen Sinn, wohl aber metaphorisch, denn es bedeutet, dass Johannes sich das Buch und dessen Inhalt einverleiben muss. Das ist „bitter für den (erdbehafteten) Magen, doch süß wie Honig für den Mund“ (Off 10,9f).

Danach wird vom Tod und dem Auferstehen von zwei Zeugen berichtet. Während der 7te Engel noch posaunt, „wurde der Tempel Gottes im Himmel geöffnet“. Jetzt sah man auch die Bundelade. Das Bild beschreibt die Sieben als einen fortwährenden Prozess durch den schließlich das Heiligste in Form der Bundeslade Gestalt annimmt und sichtbar wird.

4.4. Der Drache und die schwangere Frau

Das Bild von der sichtbar gewordenen Bundeslade verbindet das Konkrete und Erdhafte mit dem Heiligsten. Es eröffnet den Blick auf die Substanz und ihre Wesenheiten. Die Polarität von oben und unten spiegelt sich sodann in der Spannung zwischen dem Drachen und der schwangeren Frau (Off 12,1ff). Die beiden Subjekte sind nicht nur die zwei Pole, die das Bild von der Spannung auf der Erde zeichnen, sie selbst verkörpern, jeder für sich den Archetyp der Zwei. 

Die Frau ist bekleidet mit der Sonne (1). Der Mond (2) befindet sich unter ihren Füßen. Auf ihrem Haupt trägt sie einen Kranz mit 12 Sternen! Sie vereint die Extreme. Sie ist schwanger und schreit doch unter den Schmerzen.

Der Drache, der große Zweimacher droht das Kind der Frau zu verschlingen. Doch es gelingt ihm nicht, denn es wird zur Gottheit und ihrem Thron entrückt. Das Gegeneinander geht gut aus. Allein der Text über den sogenannten Drachen, des „Anderen und Bösen“ erzeugt Zwist und Angst: 

Und es erschien ein anderes Zeichen im Himmel. Und siehe, ein großer, feuerroter Drache, der 7 Köpfe und 10 Hörner und auf seinen Köpfen 7 Diademe hatte“ (Off 12,3). Das Ungeheuer wirkt der Geburt des Kindes entgegen und trägt mit seiner feuerroten Farbe und seinen Hörner die Symbole von Aggression und Zerstörung. Um der wahren Bedeutung des tobenden Drachens näher zu kommen, ist es notwendig, seine Erscheinungen zu betrachten:

Hörner sind paarweise angeordnete Waffen. Da der Drache 7 Köpfe aber nur 10 Hörner hat, muss der ihn Betrachtende zwischen gehörnten und nichtgehörnten Köpfen unterscheiden. 5 der Drachenköpfe tragen Hörner und 2 sind unbewaffnet. Die eine Minderheit darstellenden 2 Köpfe haben offenbar einen „Fehler“. Der bewirkt jedoch Eigenartiges. Jene Zweiheit von Köpfen ist wirkmächtig, weil sie Frieden statt Angst symbolisiert, denn ihr fehlen die Zeichen des Zwiespaltes, der Aggression und der Verteidigung. Die zwei Köpfe sind geradezu das Symbol für Einheit und Ganzheit. Sie sind es im scheinbaren Unterschied zu den anderen 5. Doch die Unterscheidung über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Hörnern ist eine subjektive, d.h. eine aus dem Subjekt (5) geborene. Der Text löst sogleich den Verdacht der Negativität von Subjektivität auf und unterordnet beide Arten von Köpfen einer symbolischen Einheit, die den Glanz des Ganzen ins Bild setzt: Alle 7 Köpfe tragen Diademe, auch die, welche Hörner tragen! Das Diadem ist ein Symbol für die Einheit in der Vielheit, denn es vereint die vielen, voneinander getrennten Diamanten zu einem beeindruckenden Ganzen.

Die Aussage über den Drachen ist gewaltig. Sie besagt, dass auch seine Erscheinung zweifelsfrei eine göttliche ist. Sie besagt aber zugleich, dass jener große Zusammenhang aus der Erdperspektive in verkürzter Weise wahrgenommen wird und dort anders erscheint. Die lineare Perspektive kann die höhere und prinzipiell erhebende Dimension der Drei (siehe Dreieck) nicht vollständig erfassen. Die in der Linearität empfindenden Subjekte erfahren die Wirkungen der dritten Qualität nur in deren Projektionen auf das Linienhafte. Das meint der Satz, welcher der Vorstellung des Drachen in Off 12,3 f folgt: „Und sein (des Drachens) Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmels fort. Und er warf sie auf die Erde“ (Off 12,4).

4.5. Der Engel MICHAEL

Die Spaltung auf der Erde ( ) und die Aufspaltung in „Himmel und Erde“ () sind linearer und dinglicher Natur. Sie erzeugen einen notwendigen Kampf, der sich aus der ebenso notwendigen Parteinahme der beteiligten Subjekte nährt. Über ihnen steht ein Drittes und Entscheidendes, das eine fruchtbare Fortentwicklung befördert. Im Text der Offenbarung ist das der Engel MICHAEL. Er ergreift die notwendige Partei: „Und es entstand ein Kampf im Himmel: MICHAEL und seine Engel kämpften mit dem Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel“ (Off 12,7). 

MICHAEL ragt unter den Engeln heraus, weil er die Polarität auf die rechte und bewusste Weise zur Anwendung bringt. Er kämpft mit dem Drachen, aber weder er noch der Drache können gewinnen, denn der Gegensatz ist die Bedingung des Lebens. Doch findet im Kampf eine Richtungsweisung statt, denn der „große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan“ wird von MICHAEL auf die Erde geworfen, wo er das Lebendige herausfordert. Er fordert es heraus, bis die dort vermeintlich existierenden, linearen Erscheinungen zur Dimension der Drei aufsteigen und in Form einer zweifachen Drei im Archetyp der Sechs erfahrbar werden.

4.6. Die Zahl 666 und die Unterschiedenheit der Tiere

Der auf die Erde geworfene Drache entwickelt dort seine Wirkmacht und löst, von fortlaufenden Polaritäten (2) getragen kaskadenförmige Funktionen (3) aus. Er steht auf dem „Sand des Meeres“ und somit auf der Vielfalt der Dinge und auf zweifelbehaftetem und zwiespältigem Grund. Seine Funktion ist das Verbinden der dort herrschenden Gegensätze, das „Meer“ und das „Land“. Aus jedem der beiden Pole steigt ein weiteres Tier auf, welches das Sinnen des Drachens trägt (Off 13; 1ff). Das erste Tier erhebt sich aus dem Meer und das zweite aus der Erde. Im Hinblick auf den Drachen entsteht das Bild einer Triade. Mit anderen Worten: Das Wesen des Erdhaften und Tierischen ist – wie alles Existierende – ein prinzipiell Dreifaches. Nur besteht sein Wesen im „Blick nach unten“ und der Verhaftung in der Substanz!

Schon das erste, dem Drachen folgende Tier ist von dreifacher Erscheinung. Es sieht aus wie ein „Panther“, ein „Bär“ und ein „Löwe“. Der Drache stattet es mit einer dreifachen Anlage aus, mit „Kraft“, einem „Thron“ und mit „Macht“. Die Tier-Triade und das dem Drachen folgende, nächstkleinere Tier aus dem Meer stehen in einer triadisch-fraktalen Beziehung zueinander. Der Drache und das Tier aus dem Meer verfügen substantiell wie funktionell über Wirkung hervorbringende Eigenschaften. Das zeigt ihre Ähnlichkeit. Wie der Drache selbst hat auch das Tier 7 Köpfe, die eigenartig und zunächst rätselhaft unterteilt sind.

Während die Drachenköpfe alle, die gehörnten wie auch die nichtgehörnten in Form von Diademen den Glanz der Ganzheit transportieren, ändert sich das bei dem ihm nachfolgenden und ihm ähnlichen Tier. Das fällt nicht „von oben“ herab, sondern steigt aus dem Meer empor. Trotz unterschiedlicher Wirkrichtungen folgt es dem Sinnen des Drachens. Wie er hat es 2 + 5 Köpfe. Die aber sind vielgestaltiger als die des Drachens und transportieren eine zusätzliche Botschaft. 

Die 2 nichtgehörnten Köpfe tragen keine Diademe mehr. Das bedeutet: Beim nachfolgenden Zweiten, dem hier erstgenannten Tier kommt dem Nichtgehörnten nicht mehr der Glanz von Ganzheit zu. Umgekehrt ausgedrückt: Dem Nachfolgenden und Zweiten kommt der Glanz von Ganzheit nur zu, wenn es gehörnt, also wehrhaft ist, „polarisiert“ ist und einer Orientierung folgt! Das verlangt der Archetyp der Zwei, der stets der Einheit dient. Fehlt dem Zweiten scheinbar oder vorübergehend die Orientierung und Wehrhaftigkeit, so verschwindet der Glanz der Einheit und erscheint in jenen übrigen, „anderen“ Elementen, welche Wehrhaftigkeit erkennen lassen. Deshalb trägt das dem Drachen nachfolgende Tier auf jedem seiner einzelnen zehn Hörner je ein Diadem. Sein Glanz überstrahlt mit 10 Diademen sogar den des Drachens, der nur 7 Diademe auf seinen 7 Köpfen trägt.

Die Zahlen die das aus dem Meer emporsteigende Tier beschreiben, erzählen von einer heilenden, „ganz machenden“ Beziehung. Da jedes ihrer einzelnen 10 Hörner ein Diadem trägt, wird hier unausgesprochen das Symbol der 5 (Köpfe) mit dem der 10 (Diademe) verbunden. Die darin enthaltene Symbolik verweist auf die unausgesprochene Verbindung, die den Gottesnamen JHWH (10-5-6-5) konstituiert, der ebenso als „unaussprechbar“ gilt. Auch der die Zahlensymbolik des Gottesnamen JHWH erzählt vom Entstehen eines größeren Subjekts (10) aus der Polarität zweier scheinbar einander entgegenwirkenden Subjekte (5) analog der Gleichung 10 = 5+5. Das mit jener Symbolik verbundene Diadem ist ein Sinnbild für die Einheit in der Vielheit, denn es vereint die vielen, voneinander getrennten Diamanten zu einem beeindruckenden Ganzen. Die 10 Diademe erzählen vom Ideal, dem die 5 unterschiedlichen Köpfe folgen, obwohl sie paariger und somit widersprüchlicher Natur sind.

Das aus dem Wasser emporsteigende Tier ist ein Spiegel des JHWH-Prinzips. Wie ein Spiegel die Seiten verkehrt, so erscheint auch das Tier infolge seiner Verhaftung in der Substanz mit negativem Vorzeichen. Seine 7 Köpfe tragen „Namen der Lästerung“. Die aus dieser Sieben hervorgehenden Worte und Zeichen haben für die im konkreten Dasein existierenden Subjekte eine negative, verstörende und zerstörende Wirkung. Die aber ist aus dem Gesamtbild heraus betrachtet subjektiver Natur. Das erzählt die Zahl 10 der Diademe und der im Bild verborgene Name JHWH.

Das Tier hat eine zweifache Natur. Es ist fehlerbehaftet und in ihm wirkt eine Heilkraft, die Kraft des Ganzen. Einer der 7 Köpfe erscheint „wie zum Tode geschlachtet“ (Off ). Gleichwohl wird die Wunde geheilt, analog der Sieben, die Heil und Ganzheit bringt. Die Heilung beeindruckt jene, die auf der Erde wohnen. Sie beteten den Drachen und das Tier an. Das Tier erhält dadurch Macht und Aufmerksamkeit und kann „42 Monate lang Lästerungen gegen die Gottheit aussprechen“. 

Die Zahl 42 erzählt von den zwei sich widersprechenden Qualitäten des Tieres, die da sind das Zweite, die Halbheit und Fehlerhaftigkeit einerseits und die vom Ersten verliehene Ganzheit und deren Heilkraft andererseits. Der herrschende Kontext des Tieres ist jedoch die Zweizahl und ihre Fehlerhaftigkeit. 42 Monate der Macht bedeuten 3 ½ Jahre und das ist die Hälfte ( ½ ) des durch die Siebenzahl repräsentierten Ganzen. 

Den Erdenwesen entgeht das Wesen der auf die Vollkommenheit gerichtete Sieben. Ihre Sichtweisen und Urteile bleiben in der Linearität und Zweiheit verhaftet. Die scheinbar uneingeschränkte Herrschaft der Unvollkommenheit alles Zweiten führt zu einer fraktalen Erweiterung der Phänomene der Zwei. So steigt neben dem Drachen und dem Tier aus dem Meer noch ein weiteres, zweites Tier auf. Es steigt aus der Erde empor und bildet zum Tier aus dem Meer wiederum eine neue Polarität. Das zweite Tier ist noch mehr in der Substanz verhaftet. Seine Erscheinung ist ein regelrechtes Abbild der Zwei. Es hat „zwei Hörner wie ein Lamm, redet wie der Drache, dient dem ersten Tier und zieht die Anbetung derer auf sich, die auf der Erde wohnen“. Die leben in ihrer Vorstellung von einem „Bild von dem Tier“ (Off 13,14 ff) das nur „nach unten“ zu schauen vermag und werden immer abhängiger von ihm. Endlich tragen sie selbst das Zeichen des Tieres, ohne das sie nicht einmal mehr kaufen und verkaufen können, obwohl schon das den unvollständigen Umgang mit den Zahlen widerspiegelt. Ein jeder der das Zeichen nicht trägt, wird sogar vernichtet. 

Das Zeichen dieses zweiten und „anderen“ Tieres ist die Zahl 666. Die Zahl ist insofern die Zahl der Zwei. Zugleich ist das zweite Tier ein Abkömmling des größeren Drachens und aus solch linearen Sicht zugleich auch ein drittes Tier. Aus der Perspektive ist die Zahl 666 eine Erscheinung der Drei. Um diesen Widerspruch geht es beim Verstehen der 666. Der geheimnisumwitterte Zusammenhang der Zahl 666 besteht in der Linearität die sie vermittelt, die aber auch und vor allem das Wesen der Drei in sich trägt. Die 666 gibt das Wesen der Drei schlicht und einfach nur sehr verkürzt wider. Sie wird der vom Erheben und der Erhabenheit erzählende, umfänglichen Qualität der Drei nicht gerecht.

Das Verwirrende und wahrhaft Diabolische in der scheinbar existierenden Perfektion der tierischen Welt ist die Tatsache, dass all ihre Erscheinungen den Zusammenhang der Archetypen Zwei und Sechs zwar aufzeigen, aber wegen ihrer Verhaftung auf der Erde die entscheidenden Dimensionsunterschiede nicht sichtbar machen und nicht vermitteln. Obwohl das Bild des Tieres „Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen lassen kann“ (Off 1313), wirkt es dem Erschließen einer neuen Dimension entgegen. Einerseits ist das Tier-Sein ein Gefangensein in der 666. Andererseits vermag es das Bewusstsein des Menschen, die in der Linearität verborgene, höhere Dimension zu erkennen, was die Zahl auch und vor allem zur „Zahl eines Menschen“ macht (Off 13,18).

Im Wissen um die Gefahr der Reduktion von Dimensionen erhält die schon in Off 12,4 vorangestellte Aussage über den Drachen und sein Wirken ihre notwendige Erklärung: „Und sein (des Drachens) Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmels fort. Und er wirft sie auf die Erde“.  (Off 12,4). Aus der Perspektive der Erd-Ebene ist die Zweiheit die alleinige Herrscherin. Ihre Darstellungsform ist die der Linearität. Die in ihr existierenden und von der Drei ausgehenden Projektionen erzeugen beim Nichtwissenden Angst und Schrecken.

4.7. Die Zahl 144.000

Im Archetyp der Sechs/Sex eröffnen sich dem Bewusstsein die zwei, scheinbar gegenläufigen Seiten der Funktion (3). Das Öffnen des 6ten der 7 Siegel reflektiert diese und macht die allgegenwärtige, aber meist im Verborgenem wirkende Ganzheit sichtbar. Was der Archetyp der Vier schon vorher in Bezug auf die Substanz offenbart hat, das wird beim Öffnen des sechsten Siegels nun auch im Hinblick auf die Funktion der Dinge offenkundig. Die Offenbarung der Sechs kommt deshalb ohne Rückgriff auf das Wesen der Vier nicht aus. Wie die Vier eröffnet auch die Sechs Zukunft und lässt dabei die Substanz (4) beben. Der an sich fruchtbare Vorgang wühlt die Beteiligten regelrecht auf und kann von ihnen – je nach Sichtweise – auch negativ empfunden werden. Der Text illustriert das am Bild des „Erdbebens“, das beim Öffnen des 6ten Siegels einsetzt. Gleichwohl lässt er über die immer wieder benannte Vier keinen Zweifel an der Ganzheitlichkeit des Geschehens aufkommen. Wer in den aufwühlenden Vorgängen sodann den Blick für die Ganzheit entwickelt, der ist ein „Versiegelter“. Ein solcher blickt über die Sechs hinaus auf die Sieben und erschaut deren Ganzheit erstellende Qualität. Für einen „Versiegelten“ eröffnet auch das über die Sieben in die Welt einbrechende Unberechenbare Zukunft.

Der Text benennt die Zahl der sogenannten Versiegelten mit 144.000 (Off 7,4). Zugleich beantwortet er auch systematisch die Frage nach den Archetypen alias den Zahlen, aus denen sich die 144.000 ableitet. Dabei ist das Grundmaß des Geschehens wiederum das Wesen der Drei-Einheit: „Und ich hörte es wie eine Stimme inmitten der vier lebendigen Wesen, die sagte: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar! Und dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu!“ (Off 6,6). 

Die in der Vier wirkende Drei garantiert die Fruchtbarkeit aller Ereignisse, auch derer, welche sekundärer Art sind und erst durch das Einwirken des Menschen entstehen, wie das beispielsweise bei den Kulturgütern Öl und Wein der Fall ist. Das Zusammenwirken des Einen mit dem Anderen in einem Ganzen beschreibt die 12, die Zahl der Ordnung. Wesensmerkmal der Versiegelten ist aber nicht nur die vermeintliche Ordnung und deren Zahl 12, sondern auch das grundlegende, allgegenwärtige und immer wieder hervorgehobene ganzheitliche Wesen der Vier. Denn: Das ihr zukommende Quadrat erzählt von einer Ganzheit, die auch noch die einfache, linear betrachtete 12 als Form der herrschenden Ordnung übersteigt und sogar das scheinbar Andere und Abartige (2) miterfasst, von dem beispielsweise die Zahl 13 erzählt. Das Quadrat der 12 erzählt von dem, „was mehr“ ist als die 12. Es ist das Produkt von zwei Ordnungen, der himmlischen und der erdhaften. Die Botschaft ist nicht nur die von der Existenz der himmlischen, sondern vor allem auch die von der Notwendigkeit der erdbehafteten Ordnung. Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Diesseitigen und Jenseitigen alias dem Menschlichen und dem Göttlichem, von dem auch die Sieben erzählt.

Durch die Sieben erfolgt ein enormer Dimensionssprung, der die Berechenbarkeit sprengt und in seiner Grundsätzlichkeit erstmals im Übergang von der Zwei (ï⎯⎯ï / Linearität) zur Drei ( / Fläche) augenscheinlich wird. Was die Geometrie in den Formen der Linie und der Fläche abbildet, das erfasst die Sprache im Begriff der Tausend mit den der Eins folgenden und linear angeordneten drei Nullen. 

Die Offenbarung des Johannes versucht die drei Darstellungsformen, die Erhöhung durch drei Nullen, das Wesen der 12 und das der Vier und ihrem Quadrat zum Ausdruck zu bringen und kommt dabei auf die Zahl 144.000. (1.000 x 12 x 12). Sie erscheint konkret erstmals in Off 7,4 nachdem der Text die Abfolge der Qualitäten und ihr Zusammenwirken beschrieben hat. In der Folge wird dann in Kapitel 8 auch das entscheidende siebte Siegel geöffnet. Seine, für jeden ersichtliche Botschaft ist, dass das Göttliche auch das Halbe und scheinbar Unvollkommene umfasst: „Und als es (das Lamm) das siebente Siegel öffnete, entstand ein Schweigen im Himmel, etwa eine ½ Stunde“ (Off 8,1). Das Schweigen versinnbildlicht das dubiose und bedrohlich wirkende Nichts. In Wirklichkeit erschallen nach ihm aber die sieben Posaunen von 7 Engeln. Sie eröffnen den Blick auf das Himmlische.

Der nunmehrige Blick vom Himmel ist ein gewandelter. Das allgemeine Sein und das konkrete Da-Sein werden nicht mehr allein aus der linearlogischen Perspektive beurteilt. Hinter allen Absurditäten und Rohheiten lässt sich das Wirken einer Ganzheit erkennen. Obwohl die lineare Sicht möglich und notwendig bleibt, eröffnet sich dem reifen Bewusstsein die triadische Sicht, welche auch die scheinbaren Absurditäten mit Sinn erfüllt. In diesem Zusammenhang (s.o.) erhält Johannes von einem Engel, der mit dem rechten Fuß auf dem Meer und mit dem linken auf der Erde steht und so die aktuellen Polaritäten miteinander verbindet, ein Buch. Der Engel befiehlt ihn, das Buch „aufzuessen“. In der neuen, triadischen Wirklichkeit bedeutet das, dass Johannes sich das Buch und dessen Inhalt einverleiben muss. Das ist „bitter für den (erdbehafteten) Magen, doch süß wie Honig für den Mund“ (Off 10,9f).

Wie die Verbindung von Linearem und Triadischem dem fleischlichen und dem geistigen Auge erscheint, das macht die Zahl des (zweiten) Tieres, die 666 deutlich (s.o.). Nachdem die Zahl die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten beider Sichtweisen beschreibt, greift der Text in Off 14,1 ff die Zahl 144.000 erneut auf. Sie ist die Zahl derer, welche „von der Erde erkauft worden…“, den Namen des Lammes und seines Vaters auf der Stirn tragen und ein „neues Lied lernen“. Dabei ist ihnen das „alte Lied“, das Lied vom Kaufen und Verkaufen der Kaufleute, Krämer und Rechner noch geläufig, denn über dieses haben sie Zugang zu dem neuen bekommen. Insofern wurden sie tatsächlich „von der Erde erkauft“. Das neue Lied singen sie „vor dem Thron und vor den vier lebendigen Wesen“.

Die Zahl 144 setzt das Wissen um das Wesen der Vier und der 12 voraus, die beide auf ihre Weise von der Einheit der Gegensätze sprechen. War die 144.000 noch die verbindende und zugleich unterscheidende Zahl zwischen den unbewussten Erdenwesen und den bewussten und erlösten himmlischen Wesen, so wird die 144 in Off 21,17 f in einem nächsten Schritt nun auch noch zur Maß-Zahl der Mauer des himmlischen Jerusalems. Dort ist sie das „Maß eines Menschen“, welches zugleich das „Maß eines Engels“ ist. Die Zweiheit des Maßes 144 ist eine Replik und Fortführung der zuvor genannten Zweiheit des Maßes 666. Beide Zahlen erzählen gleichermaßen von der Verknüpfung zweier Bewusstseinsebenen. 

Die Aussage der 666 und deren Fortführung in der 144 erreicht im 21ten der 22 Kapitel der Apokalypse einen entscheidenden Höhepunkt. Auf ihm werden all die Zeugnisse radikal der Dinglichkeit enthoben und auf die in ihr beschriebenen Funktionen „reduziert“: Im himmlische Jerusalem gibt es keinen Tempel mehr! Es gibt nicht einmal mehr die Dinglichkeit der Zahlen 1 und 2, wie es weder ihr Repräsentanten Sonne noch Mond gibt. Der Tempel ist der Allmächtige und das Lamm selbst. Die wiederum sind Sinnbilder für das reife Bewusstsein, das man als sogenanntes Christusbewusstsein bezeichnet. Im Bild des Christus wächst das Bewusstsein des suchenden Individuums.

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