Als Beispiel dafür, dass hinter dem Symbol der Quaste sowie den Legenden, Ritualen und Bräuchen, Archetypen wirken, möchte ich einen im Südharz in meiner Kindheit erlebten Volksbrauch beschreiben, das Questenfest nahe der Ortschaft Questenberg.

Abb. 2 Die Queste in Questenberg / Südharz (Foto: Vincent Eisfeld / nordhausen-wiki.de)
Das Questenfest ist ein sehr alter und noch immer lebendiger Pfingstbrauch.
Als Queste bezeichnet man hier einen im Durchmesser ca. zwei Meter großen Kranz, an dem seitlich zwei Quasten befestigt sind. Der Kranz mit seinen zwei Quasten wird an einem rund zehn Meter hohen entrindeten Eichenstamm mit einer Querstrebe aus Birkenholz befestigt. Der künstlich aufgerichtete Baumstamm steht auf einem Berg, der von dem rund 50 Meter tiefer gelegenen Ort Questenberg «erschaut» (5) werden kann.
Die Queste ist das ganze Jahr über zu sehen. An jedem Pfingstmontag, also dem zweiten Pfingsttag wird er erneuert. Schon zehn Tage vorher, am Himmelfahrtstag schlagen die Männer des Dorfes die dazu nötigen Bäume. Das geschieht nicht willkürlich, sondern im «Rückfelde» südlich der Ortschaft Questenberg. Der eigentliche Stamm der Queste wird entrindet und die Äste werden bis auf eine Länge von einer halben Elle entfernt. Auch der Transport vom «Rückfelde» her zu seinem Bestimmungsort unterliegt Regeln. Der Stamm muss getragen und darf nicht gefahren werden. Man muss Hand anlegen!
In der Nacht vom ersten zum zweiten Pfingsttag erscheint ein Bote aus dem benachbarten Rotha und übergibt «ein Brot und vier Käse» als eine Art Zinszahlung (siehe unten). Der Mann wird gut bewirtet, muss Questenberg aber noch vor Sonnenaufgang wieder verlassen. Sollte der offensichtlich geringe Zins dennoch einmal nicht geleistet werden, dann würde den Questenbergern das schönste Rothaer Rind zukommen.
Die Dorfbewohner werden an dem zweiten Pfingsttag zwischen 3 und 4 Uhr morgens mit Trompetenschall geweckt. Nach ihrem anschließenden Marsch auf den nahegelegenen Questenberg wird der Kranz heruntergenommen und die alten Quasten mit dem Reisig des Kranzes verbrannt. Dabei verzehren die Beteiligten mit «zwei Fingern in Schwurstellung» Sauerteig mit Strietzel.
Die anschließende rituelle Begrüßung der Sonne zum Sonnenaufgang ist der Augenblick der Weihe, denn er trennt und verbindet die erste und zweite Tageshälfte von und miteinander. Das Dunkle und das Helle werden durch das größere Ganze zu dem ganzen Tag.
Am Nachmittag wird der Kranz mit frischem Birken-Grün neu gebunden, neue Quasten angehängt und am Stamm hochgezogen. Am Ende werden noch «drei Schüsse der Fruchtbarkeit» durch das Zentrum der Quaste hindurch abgefeuert.
Das Questenfest mit seinem Ritual und seiner Dauerhaftigkeit ist beeindruckend und erfreut selbst die profanen Geister. Über die Zeiten hinweg haben die gegensätzlichsten Ideologien versucht, es für sich zu deuten und zu vereinnahmen. Der Blick auf das Ritual ist und bleibt wechselhaft und zwiespältig, wie der Wechsel der Queste.
Was aber erzählt das Ritual wirklich? Was erzählt es aus der Perspektive der Existenz von Archetypen? Kennt man sie, ist die Antwort einfach: Es erzählt vom wahren und immer wieder verkannten Wesen der Zwei. Erkennt das erwachte Bewusstsein (5) die unter der Herrschaft der Sonne, dem größeren Ganzen stehende und erneuernde Wirkung der Zwei (Quasten), dann verliert es die Angst vor der Zwei und dem Zwiespältigen in ihr. Ein solches Bewusstsein erhebt sich. Im Ritual zieht es die zwei Quasten am Stamm empor. Es erhöht die Zwei und ihre Erhabenheit ist das ganze Jahr über sichtbar.
Auch das astronomische Jahr ist ein Teilhaftiges und nur ein Teil von einem ewig Ganzen. Doch das Ritual hebt das Erlebte aus Zeit und Raum hinaus. Wie die Sonne alles Dasein «umkränzt», so erlebt das aufsteigende Bewusstsein das voneinander Getrennte und scheinbar Zwiespältige im «Einklang» mit der Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit.
Die symbolischen Hintergründe fallen nur dem ins Auge, der die beständige Natur und ihre wechselnden und oft täuschenden Oberflächen durchschaut. Der von seiner Schale befreite Eichenstamm ist ein Symbol für die Entblößung der Natur (4) durch das Bewusstsein des Menschen (5). Der einst noch grüne Stamm gehörte zur Natur, die stets aber noch unbewusst der Sonne zustrebt (siehe das an anderer Stelle beschriebene «Gesetz der Vier»). Der geschälte Stamm ist anderer Art. Er ist «übernatürlich» (4® 5). Als Kunstprodukt muss er nun sehr bewusst aufgerichtet werden. So entfaltet der Mensch aus der Natur heraus die Kultur. Das geschieht nicht von allein. Der Mensch muss Hand anlegen und das entrindete Stück Natur an den rechten, von ihm gewählten Platz bringen.
Im Wissen um die Symbolik der Queste und ihres Rituals muten die Diskussionen um ihre Herkunftskultur oder gar ihrer Herkunftsideologie peinlich an. Was wir im Ritual erleben ist archetypischer Art und die Archetypen waren schon vor den Religionen und Kulturen da. Sie sind Zahlenarchetypen, deren Ordnung bereits die chemischen Elemente folgen. Um in diesem Zusammenhang in der Gegend des Südharzes zu bleiben, sei hier der in Blankenburg im Jahre 1880 geborene Philosoph OSWALD SPENGLER erwähnt, der das in seinem Buch «Der Untergang des Abendlandes» im Kapitel über die Zahlen erzählt.