Das Wesen einer Wissenschaft ist das Erkennen von Mustern und Strukturen. Die dazu verwendeten Methoden und Systeme sind vielfältig. Am Ende aber laufen alle auf das Wesen der Zahl zu. Keine Wissenschaft kommt ohne die Zahl aus (s. Aufsatz „Warum die Zahlen zählen“). Die sich daraus ergebende Schlussfolgerung, dass Zahlen notwendig eine Qualität haben, wird dann jedoch zumeist mit dem Hinweis übergangen oder verworfen, dass es eine Vielzahl von unterschiedlicher Zählsystemen gibt. Ihre Existenz nährt den Zweifel daran, dass einer Zahl ein gleichbleibender Charakter zugeordnet werden kann.
So berechtigt der Zweifel auch scheint, so sicher erscheint auch die Quantentheorie, in der die Zahl die entscheidende, feste Größe ist, welche unausweichlich «neben» den unterschiedlichen Naturgrößen steht, deren Quanten (kleinste Größen) sie zählt. Die Zahlen sind existent! Was aber kann eine Größe alias Quantität haben, das keine Qualität alias Existenz hat? Der Glaube, die Zahl hätte keine Qualität geht auf das naturwissenschaftliche, zählende Verständnis von der Zahl zurück, das seinem Grunde nach ein streng lineares Verständnis ist, das dem Denken nicht erlaubt, die einst postulierten Grenzen zu überschreiten. Was das für die Mathematik und die mit ihr operierenden Naturwissenschaften bedeutet, das hat uns der Philosoph und Mathematiker KURT GÖDEL im Jahre 1931 mit dem von ihm begründeten Unvollständigkeitssatz gezeigt. GÖDEL bewies, dass jedes logische System Sätze enthalten muss, die wahr, aber niemals beweisbar sind. Entgegen dem einstigen Traum der Mathematiker ist die Mathematik unvollkommen und nicht in der Lage, aus sich selbst heraus ihre eigene Konsistenz zu beweisen. Die Mathematik ist die Gefangene ihrer Grenzen und diese Grenzen sind die der Linearität. Es ist die Vorstellung vom Kontinuum des Zahlenstrahls, der das Denken gefangen hält.
Will man die Konsequenzen aus dem o.g. Unvollständigkeitssatz ziehen und der Mathematik und den Wissenschaften im allgemeinen im Hinblick auf das Wesens der Zahlen gerecht werden, so muss man deren Linearität und Sukzessivität mit den in ihnen wirkenden Dimensionssprüngen zusammendenken.
Die Religionen haben sich dem Problem angenommen und versuchen, die jeweils herrschenden Linearitäten zu überwachsen, indem sie die höhere Dimension des Seins im Dasein der Dinge und Subjekte miterfassen. Dabei fliehen sie nicht vor der Wirklichkeit. Wie die Mathematiker und Physiker wissen sie, dass jegliche Ordnung an der Zahl hängt. Auch wenn ihre Argumente unterschiedliche sind, so weiß doch jeder ernsthafte Wissenschaftler, dass ohne Zahl keine Ordnung vorstellbar ist.
Die Zahlen sind die letzten bzw. ersten Entitäten und somit die Ur-Sprache der Natur. Aus diesem Grunde entspricht in heiligen Alphabeten jeder Buchstabe einer Zahl. Buchstaben sind Zahlen und umgekehrt. Schaut man genauer auf die Alphabete, so entdeckt man weiter ihre triadische Konstitution. Die in den Alphabeten eingefangene Ordnung bedient sich der linearen Abfolge des Zahlenstrahls, der auch die zählenden Naturwissenschaften folgen. Doch erfassen die Buchstaben alias Zahlen nicht nur den bekannten Wechsel von Dimensionen, wie er im Dezimalsystem beispielsweise nach der Zehn erkennbar ist. Die heilige Ordnung der Buchstaben erzählt vielmehr von einem allgegenwärtigen, prinzipiellen Wechsel der Dimensionen in Form einer universellen, fraktalen Struktur! Wir erblicken den Wechsel der Dimensionen bereits im Sprung von einer Zahl zur nächsten. Zwei Zahlen trennt jeweils ein archetypischer Bruch (2). So verkörpert die Zwei und Polarität in ihrem Unterscheidungspotential bereits eine völlig andere Dimension als die ihr vorausgehende Eins und Einheit. Jede weitere Zahl bringt eine neue Dimension hervor und erzählt von der ihr eigenen Qualität. Der von der einzelnen Zahl erzeugte Bruch führt über die so entstehende Linearität der Zahlen zu einer weiteren Dimension, die uns in Form der Zählsysteme erscheinen, denn die verschiedenen Zählsysteme legen verschiedene Längen von Linearitäten zugrunde. Auch Zählsysteme treten wiederum in eine lineare Beziehung. Sie führen zu einer neuen und höheren Linearität und einer neuen Dimension. Der durch ein bestimmtes Zählsystem veranschaulichte Bruch ist nicht allein die Erscheinung einer speziellen Linearität und Zählweise, sondern ein allgegenwärtiges Prinzip, das als solcher durchschaut werden will. Das macht die triadische Ordnung der Archetypen.
Die heilige Ordnung fängt die fortlaufenden, fraktalen Brüche als Ganzes ein. Dabei bedient sie sich der Zahlensprache in einer höheren Weise. Sie reflektiert, dass jede Dimension nur durch einen «Schlupf», eine gewisse Unvollkommenheit existiert und sie reflektiert auch, dass in jeder der Dimensionen eine jeweils noch unerkannte und höhere Dimension wirkt.¹ Was KURT GÖDEL mit seinem Unvollkommenheitssatz für die Mathematik formuliert hat, ist die Grundlage der heiligen Alphabete. Unter ihrem Blickwinkel erschließt sich deren Konstitution.
Die Tora wurde mit den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets verfasst und das basiert wiederum auf der Ordnung von neun Archetypen, die sich in wachsenden Dimensionen wiederholen (Abb. 1). Die zunächst ins Auge fallende Linearität ist jedoch keine profane, denn sie entsteht durch die Ordnung von Archetypen in der jeder Buchstabe einer Zahl entspricht. Die Identität von Buchstaben und Zahl erzählt vom Zusammenwirken zweier Dimensionen. Die Verbindungselemente der zwei Dimensionen sind die jedem Archetyp jeweils zugeordneten Bildsymbole. Jeder Archetyp wird so über drei Ebenen erfasst, (1) die Zahl, (2) den Buchstaben und (3) das ihm entsprechende Bildsymbol. Die triadische Schau sprengt die Vorstellung von einer profanen Linearität und öffnet sich der Erzählung der Zahl. Das derart konstituierte Alphabet enthält zwei Ordnungsstrukturen, die sich, wie wir noch sehen werden, auch in zwei Zahlenordnungen und zwei Zählsysteme niederschlagen.

Abb. 1 Das hebräische Alphabet hat 22 Buchstaben. Es folgt der heiligen Ordnung der Zahl. Ihre Basis ist die 3 bzw. deren Quadrat (9 = 32). Die 22 Buchstaben bieten so einen dreifachen Erkenntniswert: Buchstabe, Zahl und Sinnbild
Zu den drei Erkenntniswerten des hebräischen Alphabets tritt mit dem Archetypus 10 ein neuer und vierter Erkenntniswert hinzu, der den Zahlenwert nochmals differenziert. Die 10 überschreitet die scheinbare Linearität der Neun und manifestiert eine neue Grundlage, aus der eine neue Ordnung mit einer neuen Linearität (10-90) erwächst. Die nun höhere Zahlenordnung ist die der differenzierten «Zahlenwerte». Sie wird sichtbar in den Zahlenwerten 10-90. Die abermals neue Unterscheidung von «Reihenwert» und «Zahlenwert» ermöglicht neue Erkenntnisse.
Waren Reihenwert und der Zahlenwert eines Buchstabens bis einschließlich der 10 noch identisch, so ändert sich das aufgrund des durch die 10 erzeugten Bruches. Obwohl die 10 den Bruch herbeiführt, sind bei ihr Reihenwert und der Zahlenwert noch eines. Erst der Archetyp 11, der zweite Wert der zweiten Dimension (10-90) macht die Differenzierung auch sichtbar. Sein Zahlenwert ist nicht 11 sondern 20. Die erschaute Unterscheidung von „gezähltem“ Buchstaben und dem ihn zugeordneten «erzählenden» Zahlenwert führt zu einem differenzierteren und höheren Blick auf das Wesen der Polarität und des Unterscheidens (2). Das erzählt der Wandel der 2 zur 20.
Die mit der Zehn grundgelegte, zweite und andere Dimension ist die «Bewusstseins-Dimension» (siehe die Bewusstseinsformel 10 = 5 + 5). Sie reflektiert über die vom Zählen abweichenden Zahlenwerten die bis dahin verborgen gebliebenen, doch gleichwohl immer schon vorhandenen und erzählten, inhaltlichen Werte!²
Die heilige Ordnung der Buchstaben und Zahlen macht insbesondere über ihre zweite Dimension (10-90) deutlich, dass es nicht nur ums «Zählen», sondern ums «Erzählen» von Werten geht. Die neuen, vom profanen Zählen abweichenden Zahlenwerte überwachsen das zählende Element der ersten, linear erscheinenden Dimension. Deren Prinzip aber wirkt weiterhin. Die Buchstaben alias Zahlen der zweiten Dimension folgen noch immer der einstigen Linearität des Zahlenstrahls. Doch manifestiert diese sich nun in Form von Sukzessivität, die neue und höhere Werte sichtbar macht. Sukzessivität ist mehr als Linearität, setzt aber die Erfahrung von Linearität voraus.
Die Sukzessivität überwächst die Vorstellung von der profanen Linearität. Aus der Perspektive der zweiten Dimension (II) erscheint die erste Dimension (I) unvollständig (s.o. KURT GÖDEL), weshalb sie dem «Verfehlenden» nun notwendig die fehlenden Werte hinzufügt. Doch fügt sie die (nur) ihrem Vermögen nach hinzu, das seinerseits ein beschränktes ist. Das den Dimensionen jeweils Fehlende verleiht nicht nur ihnen, sondern auch dem Gegensatz der Dimension zueinander (I ⇔ II) Konturen. Die ermöglichen der dritten Dimension (100-400) dann wiederum, die Widersacher zu verbinden – «zu einen». Die dritte Dimension berichtet von «einem» letzten zusammenfassenden Wert. Der besteht aus vier Zahlen (100 200 300 400). Die letzte und höchste von ihnen ist die zweifach erhöhte Vier (400). Das ihr zugeordnete Sinnbild ist das «Kreuz» oder «Zeichen». Es steht formal und inhaltlich für alles nach ihr Kommende.