Die Speisung der 4000 und die Speisung der 5000
Die Speisung der 4000 und die Speisung der 5000 von Michael Stelzner Inhaltsverzeichnis 1. Die geistige Nahrungsaufnahme und die unberechenbare Sieben Um die Erzählung der
Die letzten Worte Christi am Kreuz und ihre Botschaften
von Michael Stelzner
Das Wesen von heiligen Schriften besteht darin, die Existenz von Archetypen vor Augen zu führen, sie zu benennen und sie zum Auffinden rechten Verhaltens der Menschen hin zu deuten. Heilige Schriften geben den Menschen ein Orientierungswissen in die Hand. Die archetypische Ordnung ist eine triadische Ordnung, wie wir sie in der triadischen Flussform der Zahlen erkennen. Ihre Struktur finden wir, indem wir die Natur der Dinge und die einfache, lineare Ordnung des Zahlenstrahls hinterfragen.
Wer sich über die lineare Ordnung hinaus der triadischen Ordnung zuwendet, der entdeckt die zentrale Rolle des Archetyps der Sechs als das universelle Funktions- und Wirkprinzip alles Lebendigen. Die zentrale Botschaft aller religiösen Helden ist folgerichtig vor allem eine Botschaft über den rechten Umgang mit dem Archetyp der Sechs. Das trifft auch auf den Gottes- und Menschensohn Jesus Christus zu und auf die von den Evangelisten geschilderten Ereignisse am Kreuz.
Die Sechs führt den Leser der Texte und den Betrachter ihrer Bilder aus der linearen Perspektive heraus und zeigt ihm die Relativität von Grenzen auf und mit ihr die Vielfalt des Lebens. Die so zustande kommenden und sich auf unterschiedliche Weise unterscheidenden Perspektiven prägen die vier Evangelien. Bei allen Unterschieden verweisen sie – wie die Sechs selbst – auf ein im Hintgergrund wirkendes Ganzes, das von einem gereiften Bewusstsein reflektiert werden kann. Der Perspektivwechsel über die linearen Dimensionen hinaus ist dabei wesentlich und erfolgt im Sinne der schon an anderer Stelle beschriebenen „Formel Vier“.
Man kann die Erzählungen der Evangelisten deshalb nicht, wie das Theologen oft tun, linearlogisch miteinander verknüpfen, d.h. man kann die Geschehnisse nicht zeitlich harmonisieren. Man kann die von den Evangelisten übermittelten Worte Jesu am Kreuz nur im Kontext des jeweiligen Evangeliums deuten. Wer jene Struktur missachtet, der verliert den Blick auf das Ganze hinter den Erzählungen. Wer aus den insgesamt sieben Kreuzesworten eine lineare Zeitenfolge konstruiert, der erklärt die Evangelisten zumindest für unmündige Zeugen. In Wirklichkeit ist ihre erste und wichtigste Botschaft: Am Anfang steht der Widerspruch (2).
Den Bruch (2) in der Linearität zu berücksichtigen, ist nicht nur für das ganzheitliche Verstehen der Kreuzesworte, sondern für alle in den Evangelien angesprochenen Themen essentiell. Alles lebt vom Bruch, der Zweizahl und ihrer verborgenen Fruchtbarkeit, der Sechs. Das trifft in besonderer Weise auf Jesus den Erlöser (Christus) zu. Auch er gehört notwendig einem zweifachen Dasein zu. Die heilige Schrift bezeichnet ihn deshalb als den „Menschen- und Gottessohn.
Durch seine bewusste Existenz in der Polarität verfügt er über das Potential, in seinem Tun zwei Dimensionen, das Diesseits und das Jenseits miteinander zu verbinden. Jesus erlöst die Polarität der Welt, indem er einen anderen Blick auf sie wirft (siehe Symbolik 2®6) und sodann dessen Folgen an sich beispielhaft verdeutlicht. Sein Wirken ist das der Sechs. Jesus betritt die Welt über ihr Wesen und er verlässt sie auch über das Wesen der Sechs. Er wurde nicht nur, wie allgemein bekannt, am 6. Wochentag (Freitag) in der sechsten Stunde ans Kreuz geschlagen (Mt 27,45; Mk 15,33; Lk 23,45). Wie die Welt in 6 Tagen erschaffen wurde und der Mensch am 6. Tag erschien, so ist auch jeder Mensch das Produkt von 6. Das gilt auch für den Menschen- und Gottessohn Jesus Christus. Wir erfahren es in Lukas 1,26: „Im 6. Monat ward der Engel Gabriel zu der Jungfrau Maria gesandt“. Der sogenannte „einzig Geborene der Gottheit“ ist ein Zweiter, doch ein wahrhaftig Zweiter, denn er ist auf die Gottheit, die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit aus- und hingerichtet. In seinem Da-Sein in der Welt wird er mit den für sie zugehörigen zwei Grenzen, die scheinbar endgültige Grenzen sind, konfrontiert: Anfang und Ende alias Geburt und Tod. Über sie setzt er die Sechs, das allgegenwärtige Fluss- und Verwandlungsprinzip ins Bild.
Wie die Kreuzessymbolik in vielfacher Weise und unter den verschiedenen Blickwinkeln das Wesen der Sechs und den «rechten» Geist des Erlösers ins Bild setzen, ist Gegenstand zweier gesonderter Aufsätze, deren Ausführungen den hier gesteckten Rahmen sprengen würden. Sie sind:
Die Worte, die Jesus am Kreuz gesprochen haben soll, sind auf die vier Evangelien wie folgt verteilt:
(•) + (•) Matthäus (1.) und Markus (2.) kennen ein gemeinsames Kreuzeswort:
„Eli, Eli, lema asabtani? Das heißt:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46 / Mk 15:34)
Lukas (3.) kennt 3 Kreuzesworte:
(•) „Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34)
(•) „Und er sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir:
Heute wirst du mit mir im Paradies sein“. (Lk 23,43)
(•) „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“ (Lk 23,46)
Johannes (4.) kennt 3 Kreuzesworte:
(•) „Frau, siehe, dein Sohn!“ … „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26f)
(•) „Mich dürstet!“ (Joh 19,28)
(•) „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30)
Die zwei ersten Evangelisten berichten beide über einen einzigen aber dennoch gemeinsamen Satz, den Jesus am Kreuz gesprochen haben soll. Ihre Einhelligkeit (1) fällt auf, denn das von ihnen gemeinsam bezeugte Kreuzeswort ist das einzige übereinstimmende Kreuzeswort in den Evangelien. Mit anderen Worten: Die in Form der zwei ersten Evangelisten erfasste Zweizahl überwindet den ansonsten, notwendigen und fortlaufenden Widerspruch (2). Der mit der Zwei hervortretende Zwiespalt findet seine Begründung und Erlösung in seiner Ausrichtung auf die Einheit und Ganzheit. Das macht plausibel, warum die beiden ersten Evangelisten trotz ihrer offensichtlichen Widersprüche nur einen und zudem den gleichen Satz nennen. Mit ihm demonstrieren sie den rechten, auf die Einheit gerichteten Umgang mit der Zwei. Der aber beschreibt zugleich das Wesen der Sechs, denn in ihr findet der spannungsgeladene Zwiespalt seine Erlösung.
Die Überwindung des Zwiespaltes durch Sechs ist kein Zufall, denn sie basiert auf der Konstitution der Vierzahl und der Substanz (siehe bzw. Dreieck II = 4-5-6), die ihn in ein großes Ganzes einbindet. Die Sechs ist der mehr oder weniger bewusste Vollzug der Einbindung. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass die Überwindung des Zwiespaltes in seiner Eskalation am Kreuz durch vier von Jesus gesprochene Worte vollzogen wird. Die konkret manifestierte «Vierheit» bindet die «Zweiheit» und Zwiespältigkeit in ein nun wahrnehmbar «Ganzes» ein. Die Schrift setzt mit diesem Satz die Formel der Formeln, die «Formel der Vier» in Wort und Bild um.
Das Besondere an diesem Satz ist die Sichtbarkeit des Widerspruchs. Der Erlöser schafft ihn nicht aus der Welt, sondern lässt ihn vielmehr in einem ganzheitlichen Licht erscheinen, sodass er auf allen Ebenen sichtbar wird. Der von ihm gesprochene Satz selbst zeigt ihn mehrfach. Denn: Obwohl die von Matthäus und Markus überlieferten Kreuzesworte sich ihrem Inhalt nach nicht voneinander unterscheiden, zeigen sie Unterschiede in der Form. Das zeigt ihre jeweilige Zahlenstruktur:
Matthäus |
||
ηλι ηλι λεμα σαβαχθανι τοῦτ᾽ ἔστιν θεέ μου θεέ μου ἱνατί με ἐγκατέλιπες |
Eli, eli lema sabachtani, das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? |
4 arm. Wörter ß 7 grch. Wörter |
Matthäus übersetzt 4 aramäische Wörter in 7 griechische Wörter |
Markus |
||
ελωι ελωι λεμα σαβαχθανι ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον ὁ θεός μου ὁ θεός μου εἰς τί ἐγκατέλιπές με |
Eloi, eloi lema sabachtani, was übersetzt bedeutet: (Der) Mein Gott, (der) mein Gott, warum hast du mich verlassen? |
4 arm. Wörter ß 10 grch. Wörter |
Markus übersetzt 4 aramäische Wörter in 10 griechische Wörter |
Matthäus und Markus bezeugen den Transformationsprozess aus zwei verschiedenen Perspektiven. Die vier am Kreuz (4) gesprochenen Wörter werden zum Ankerpunkt der Botschaft: Jesus geht den „Weg der Vier“, den „Weg des Kreuzes“. Die zwei Zeugen Matthäus und Markus verweisen auf nicht weniger, als auf das Geheimnis des Christusbewusstseins, das im Wissen um das „Gesetz der Vier“ und seiner Universalität besteht und das notwendig auch das Bewusstsein an sich konfiguriert.
Das Wissen um das Gesetz und die aus ihm resultierende rechte Schau auf den Widerspruch (2) führen zu weiteren konsequenten Formulierungen. Die zwei Evangelisten vermitteln, dass mit dem Widerspruch notwendig der Zweifel und das Fragen einhergehen. Ihre Botschaft ist deshalb notwendig ein Fragen! Ebenso konsequent enthalten ihre Formulierungen Unterschiede, welche die unterschiedlichen Dimensionen ihrer Sichtweise preisgeben. Bei Matthäus werden aus den vier aramäischen Wörtern sieben griechische Wörter und Markus verwandelt die Vierzahl der aramäischen Wörter in die Zehnzahl von griechischen Wörtern. In den zwei Verhältnissen verbergen sich die zwei voneinander unterscheidenden Schrittgrößen mit denen sie jeweils die Entfaltung des Bewusstseins beschreiben. Deren Ursprung finden wir in der Tora im Verhältnis der ersten beiden Bücher, der Genesis und dem Exodus. Schon in der Genesis wird der aus vier Sätzen bestehende Prolog zunächst in die 7er-Ordnung der Schöpfungserzählung übertragen. Im Exodus mündet das Wissen um die Vierheit sodann in den Dekalog, in das «Gesetz der Zehn».
Das Augenmerk des Matthäus ist das Verhältnis der Zahlen 4 und 7, das von der Vergeistigung der Materie (4) erzählt. Markus hingegen richtet sein Augenmerk auf den Übergang der Vier, des Kreuzes und der vier Worte auf die Zehnzahl, die eine neue Ebene der Manifestation anzeigt (4—» 10). Das hinter seinem Blickwinkel stehende mathematische Muster ist die Tetraktys (1+2+3+4 = 10), die das Entstehen einer neuen Existenzebene aus der Vierzahl heraus anschaulich macht. Erblickt man bei Matthäus vor allem die «Vergeistigung der Materie» (4—» 7), so erfasst Markus den Vorgang im Bild der «Materialisation des Geistes» (4—» 10), wie er im Dekalog niedergelegt ist. Der dort über die Gottheit JHWH formulierte Geist der Freiheit wird von Jesus am Kreuz in Wahrhaftigkeit umgesetzt.
Die zwei Evangelisten erzählen von einem letzten Schrei des gekreuzigten Menschen- und Gottessohns (Mat 27:46-50; Mk 15:34-37). Wer hier das Gesetz und die in ihm verborgene Dynamik der Fruchtbarkeit nicht kennt, gerät schnell in Verzweiflung und deutet den Schrei als ein jämmerliches Gewinsel. In Wirklichkeit ist er der Schatten der Sechs, der auch beim Durchdringen des Körpers des Menschen- und Gottessohns entsteht. Er hat zwei sich ergänzende Seiten, die fälschlicherweise oft als zwei Schreie interpretiert werden. Tatsächlich aber besteht der erste Schrei in der lauten Anrufung des Elias.¹
Nur der zweite ist ein wirklicher Schrei im Sinne einer reinen Emotionsäußerung. Matthäus und Markus – die zwei Ersten – vermitteln darin zum einen, dass das Wesen der Zwei und Zweiheit und ihrer Zwiespältigkeit noch ein sehr lautes ist! Sie vermitteln aber auch, dass die Lautheit zwei ganz konkrete Seiten hat. Die eine ist die Artikulation und die andere und vordergründig besonders beeindruckende, die Emotion.
Hinweis: Die Herkunft und die wahre Bedeutung der von Matthäus und Markus überlieferten und von Jesus am Kreuz gesprochenen Worte ist Gegenstand des gesonderten Aufsatzes „Die letzten Worte Jesu am Kreuz nach Matthäus und Markus“.
Lukas ist der dritte der vier Evangelisten. Als solcher abstrahiert er die Dinge und das Geschehen und wertet die mit ihnen einhergehenden Gegensätze nicht ab. Er weiß, dass sie auf unterschiedlichen Bewusstseinsgraden beruhen und seine Aufgabe darin besteht, sie zu einem größeren Ganzen zu vereinen. Die lukanische Erzählung lässt Jesus deshalb drei Ebenen miteinander verbinden, die Ebene seiner Peiniger, die seiner Mitgekreuzigten und die der Gottheit. So kennt das Evangelium des Lukas drei Kreuzesworte (s.o.).
Durch Lukas wird die einstige Einheit zur Drei-Einheit. Alle drei Kreuzesworte zielen auf die Einheit des göttlichen Seins. Das erste Kreuzeswort (Lk 23,34) ist nach unten auf seine Peiniger gerichtet und entlastet ihn so von der Versuchung, sie ins Unrecht zu setzen. Die an den göttlichen Vater gerichtete Bitte, ihnen zu vergeben, ignoriert dabei nicht die hierarchischen Dimensionen. Jesus kennt die Folgen ihres Nichtwissens. Er weiß, dass aus ihm Gräuel erwachsen. Doch er weiß auch, dass selbst diese nicht dem Gesetz der Vier widersprechen. Das „Gesetz des Kreuzes“ stellt endlich das Teilen und Zweimachen immer wieder in ein positives Licht. Der dem ersten Kreuzeswort nachgestellte Satz „Sie aber verteilten seine Kleider und warfen das Los darüber“ besagt, dass aus der Sicht der niederen Dimension heraus scheinbar der Zufall die Welt regiert.² Dass die Zwei und das Zweimachen sogar in diesem Fall noch durch das Gesetz der Vier getragen werden, das erzählt später Johannes, der vierte Evangelist. Bei ihm erfahren wir, dass das „eine Gewand“ in „vier Teile“ zerrissen wurde (Joh 19:23).³
Das zweite von Lukas übermittelte Kreuzeswort verbindet die aus der Sicht Jesu sich ergebenden Gegensätze (Lk 23,43, s.o.). Sie sind von horizontaler Art. Jesus greift die Zweiheit in ihrer positiven und fruchtbaren Erscheinung auf und trägt das vermeintlich Schlechte (2) ins Paradies, an den Ort, den die Tora als den „Garten der Wonne“ (6) bezeichnet.
Das dritte von Lukas übermittelte Kreuzeswort richtet sich über Jesus hinaus an den göttlichen Vater (Lk 23,46, s.o.). Das Subjekt (5) Jesus vermittelt zwischen der niederen, unbewussten und der dem Tier nahestehenden Ebene des Volkes (4) und dem erhebenden göttlichen Geist (3). Analog dem pythagoreischen Dreieck 3-4-6) entsteht darin eine neue Dimension mit einem neuen Geist. Es ist der Geist der Sechs. Wie sich in der Sechs das Weibliche und das Männliche ineinander ergießen, so ergießt Jesus sich in den Geist der Gottheit.
Johannes kennt 3 Kreuzesworte und ist doch in der Reihe der Evangelisten ein Vierter. Um die Erlösung dieser Spannung zwischen dem dritten und vierten Archetyp, die vom Individuum (5) vollzogen werden muss, geht es im Johannesevangelium.
Als ein Vierter abstrahiert Johannes einerseits die Dinge und Ereignisse noch weitreichender als das schon Lukas, der Dritte getan hat. Andererseits manifestiert Johannes seinem Archetyp entsprechend als Vierter eine neue und konkrete Ebene des Daseins. Während die Perspektive des Lukas vorwiegend von der Neutralität der Dinge und Ereignisse bestimmt wird, muss sie von Johannes nun auf einer neuen und höheren Ebene konkret manifestiert werden und zwar in einer Weise, die all den Erdexistenzen eine Zukunft eröffnet. Nur so kann das durch die Vier zur Erscheinung kommende «Gesetz der Addition» erfüllt werden. Die Erzählung des Johannes vergisst, verachtet oder ignoriert keine der vorangehenden Qualitäten. Sie versucht nicht, sie aus der Welt zu schaffen. Die Herausforderung des vierten Evangeliums besteht darin, sie auf einer höheren Ebene zur Erscheinung bringen (s. I-II / 1-4 Dreiecke /als PupUPFenster gestalten). All das kann nur durch eine veränderte Sichtweise auf die Zwei, den Zwist, den Widerspruch und die falschen Angebote im Leben geschehen.
In der profanen Welt führt die Kreuzigung Jesu zu großen Wunden. Die umfassen wiederum drei Dimension. Die einfachste und besonders ergreifende ist die der Mutter Maria, die den Tod ihres Sohnes vor Augen hat. Das ausgerechnet sie das Gesetz der Vier und die in ihm verborgene Vollkommenheit verkörpert und somit ein Symbol für den gewandelten Blick auf die Zwei und den Zwiespalt eröffnet, das kann ein unwissender Leser nicht erfassen. Die Kunst transportiert das in Maria verborgene Wissen immer wieder, indem sie die ewig fruchtbare Mutter auf dem Mond, dem Symbol für die Zwei und auf der Vier in Form der konkreten Erde stehend, abbildet.
Über dem Leid der Erde, der Substanz und der Maria steht die zweite Daseinsdimension, verkörpert durch den leidende Jesus. Wiederum darüber steht die dritte und höchste Dimension, die göttliche. Sie entsteht in der Vorstellung von einem Höchsten und der Vorstellung, das Vollkommene im Bewusstsein des Individuums auch realisieren zu können und somit zu manifestieren.
Im vierten Evangelium besteht die Aufgabe Jesu dank seines besonderen Bewusstseins darin, eine neue Realität zu manifestieren. Sie betrifft alle drei genannten Dimensionen. Die drei von Johannes überlieferten Kreuzesworte ergreifen sie und setzen sie manifest ins Bild. Im ersten Kreuzeswort gibt Jesus der zurückgelassenen Mutter einen neuen Sohn und im Gegenzug „seinem Jünger, den er liebte“ eine neue Grundlage, eine neue Mutter (Joh 19,26f).
Sein zweites Kreuzeswort betrifft den zwischen Himmel und Erde ausgespannten Jesus direkt. Wie alles Lebendige erlebt auch er den lebensnotwendigen Mangel. Wie jedes Lebendige versucht auch Jesus diesen Mangel durch das Aufnehmen des ihm Fehlenden auszugleichen. Auch hier wird Johannes sehr konkret und anschaulich. Jesus artikuliert den Mangel in Form seines „Durstes“.⁴ Die Ursache seines Leidens besteht darin, dass ihm die Erfüllung im Geist fehlt. Der ihm zur Vollkommenheit fehlende Geist ist nicht der des Profanen wie beispielsweise der Geist des Weines, obwohl schon der ein Kulturgut ist (s. NOAH der Weinbauer, der Ersterbauer eines Altars). Nicht der reine Weingeist und auch nicht seine zwei Varianten, der mit Galle (Matthäus) oder der mit Myrrhe (Markus) versehene verkörpern das im Bewusstsein Fehlende. Der fehlende Geist ist von einem höheren Reifegrad, einem Reifegrad der aus der Erdenperspektive wenig oder selten schmackhaft erscheint. Es ist der «ausgegorene Wein», der Essig. Den bekommt Jesus und er bekommt ihn wunderbarer Weise sogar von den Profanen gereicht. Dass im Reichen des Essigs eine neue Daseins-Dimension angesprochen wird, welche die linearlogische übersteigt, erzählen die in diesem Zusammenhang genannten Utensilien, die Schale, das Rohr und der Schwamm (s.o. „Das «Sterben» von Jesus am Kreuz im «rechten Geist» und die Bedeutungen von Wein, Galle, Myrrhe, Essig, Schwamm und Rohr“). Sie alle verkörpern eine Linearität, bergen in Wirklichkeit, d.h. in ihrer Wirkung jedoch eine höhere Dimension.
Das dritte und letzte von Johannes übermittelte Kreuzeswort ergreift das denkbar Höchste, die Vollkommenheit. Hier vollbringt Jesus das größte aller Wunder. Er bringt die denkbar größten Extreme zusammen. Er überwindet die Urspannung, welche sich zwischen dem Archetyp der Einheit und dem der Zweiheit auftut, um deren Verstehen und Erlösung jede Religion ringt. Kurzum: Selbst das Höchste, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, die Einheit, Ganzheit und Vollkommene bedarf der Zweiheit, des Anderen und einst Verschmähten. Ohne jenen Archetyp der Zwei zu würdigen und zu erhöhen, kann auch die Vollkommenheit nicht gedacht werden. Der Leistungserbringer ist ein verbindlich handelnder Dritter – der Menschen- und Gottessohn Jesus Christus.
Die von Jesus am Kreuz gesprochenen Worte verbinden die Gegensätze in der Welt und darüber hinaus das Diesseitige mit dem Jenseitigen. Sie drücken eine fortlaufende Dynamik aus, die sich über die profane Polarität und ihre Hilfsgrössen Anfang und Ende erhebt. Ihr Archetyp ist die Dreizahl.
Wenn die Erzählungen über die Kreuzigung, wie es vordergründig erscheinen mag, ausschließlich die männliche Perspektive einnehmen würden, dann würden sie dem verbindenden Charakter dieser letzten und höchsten christlichen Inszenierung eklatant widersprechen. Die allumfassende Verbindung der Gegensätze aufführende Kreuzigung kann die weibliche Sicht nicht ausschließen, denn jegliche Dynamik entspringt der Zwei.
Welchen Bezug die Frauen zum Geschehen am Kreuz haben, beschreibe ich datailliert im gesonderten Aufsatz «« Die «Frauen und das Kreuz» im Licht der vier Evangelien »». Die Evangelien klammern die Frauen und die von ihnen ausgehende Dynamik keineswegs aus. Vielmehr entwickeln sie eine eigene, in sich geschlossene Sicht und ergänzen damit die vordergründige beschriebene männliche Sicht. Alle vier Evangelisten tragen ihrem Charakter nach dazu bei (Mt 27,55f; Mk 15,40f; Lk 23,48f; Joh 19,25). Drei von ihnen, MATTÄUS, MARKUS und JOHANNES benennen jeweils drei Frauen. Immer wird zwei von ihnen der Name MARIA zugeordnet. MARIA ist das Symbol für das vollkommene, weibliche Prinzip, dass in seiner Vollkommenheit auch das Andere und scheinbar Unvollkommene einschließt. MARIA ist die personifizierte Vierzahl. Dem «Gesetz der Vier» entsprechend erlöst sie die profane Zwei und den mit ihr einhergehenden Zwiespalt und fügt ihn fruchtbar in ein neues Ganzes ein.
JOHANNES der vierte Evangelist bringt den Zwiespalt zwischen den drei jeweils namentlich genannten Frauen, von denen jedoch nur zwei MARIEN sind, auf den erlösenden Punkt. Auch bei ihm fehlt bei einer der Frauen der Name MARIA, doch lässt er keinen Zweifel mehr darin aufkommen, dass es sich ebenso um eine MARIA handelt, denn er benennt sie unmissverständlich als die «Mutter von JESU» (Joh 19,25).
Hinweis: Siehe auch den Aufsatz «Die von Jesus am Kreuz gesprochenen Worte»
Fußnoten
¹ Elija galt im jüdischen Volksglauben als Nothelfer der Gerechten, vor allem als Beistand in der Todesstunde. Elia ist der Bote der guten, der überraschenden Nachricht. Er stirbt nicht und kennt nicht den Geschmack des Todes. Nach der Überlieferung ist er mit Pinchas dem Sohn des Eleasar bzw. Sohn des Akrons (4.Mose 25,7-14) identisch.
² Dieser Satz fehlt in alten und wichtigen Handschriften. Sein Hinzufügen macht es dem Leser leichter, die Verbindung des dritten zum vierten Evangelisten in der Weise zu erfassen, wie es das Gleichnis vom pythagoreischen Dreieck der Seitenlängen 3, 4 und 5 erzählt. Die Verbindung führt zur Flächendimension der Größe Sechs. Die jeweils drei von Jesus (5) gesprochenen Sätze vereinen sich ebenso zur Sechs.
³ Johannes führt das „Gesetz der Vier“ noch weitergehend auf die erste aller Beziehungen, auf die Beziehung 1—2 zurück. Er verbildlicht sie in Form des Untergewandes und des Obergewandes. Das der Zwei zugeordnete Untere war ohne „Naht von oben an durchgewebt“ (Joh 19:23f). Es war ein Ganzes (1).
⁴ Das zweite von Johannes genannte Kreuzeswort Jesu „Mich dürstet“ ist konsequent und bezieht sich auf das jedem konkreten Dasein zugehörige Verlangen. Wir begegnen ihm bereits im zweiten Satz der Genesis, der im Allgemeinen mit „Und die Erde, sie war Wüstenei und Leere“ übersetzt wird. Die Übersetzung erfasst mangels Wissen nicht die Bedeutungsfülle des sogenannten „tohu wawbohu“. Wie ich an anderer Stelle beschreibe, wäre der Satz treffender übersetzt mit: „Und die Erde, sie war Verlangen und Gegenverlangen“.
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